China: Menschenrechtler in schlechter Verfassung

Porträt von Yu Wensheng

Der chinesische Menschenrechtsanwalt Yu Wensheng (undatiertes Foto)

Am 26. Januar wurde der bekannte Menschenrechtsanwalt Yu Wensheng ohne Vorankündigung in das Gefängnis von Nanjing in die Provinz Jiangsu verlegt – 1000 Kilometer entfernt von seiner Familie. Seine Frau erfuhr erst am 3. Februar nach mehreren Anrufen im Gefängnis von Xuzhou davon und reiste sofort nach Nanjing. Am 5. Februar wurde dem Paar ein Videogespräch gestattet. In diesem gab Yu Wensheng an, dass die Haftbedingungen in Nanjing zwar etwas besser seien, er aber noch immer keine medizinische Versorgung erhalten habe. Diese benötigt er dringend für die Behandlung seiner Zähne und eines Nervenleidens im rechten Arm. Zudem leidet er an Unterernährung. Yu Wensheng ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der sich nur in Haft befindet, weil er friedlich sein Recht auf Meinungsfreiheit wahrgenommen hat.

Appell an

Director Zhu Yonghong

Nanjing Prison

9 Ning Shuang Lu, Yuhuatai Qu,

Nanjing City, Jiangsu Sheng, 220012


VOLKSREPUBLIK CHINA

Sende eine Kopie an

Botschaft der Volksrepublik China

S. E. Herrn Ken Wu

Märkisches Ufer 54


10179 Berlin

Fax: 030-27 58 82 21

E-Mail: presse.botschaftchina@gmail.com oder de@mofcom.gov.cn

 

Amnesty fordert:

  • Bitte sorgen Sie dafür, dass Yu Wensheng regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu angemessener Ernährung und medizinischer Versorgung erhält. Er muss umgehend ärztlich behandelt werden.
  • Sorgen Sie bitte außerdem dafür, dass er bis zu seiner Freilassung regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl und seinen Angehörigen erhält. Er soll weder unter mangelhaften Haftbedingungen noch unter Folter und anderen Misshandlungen leiden.
  • Bitte sprechen Sie sich dafür aus, dass Yu Wensheng umgehend und bedingungslos freigelassen wird, da er sich nur in Haft befindet, weil er das Recht auf freie Meinungsäußerung friedlich ausgeübt hat.

Sachlage

Der Menschenrechtsanwalt Yu Wensheng (余文生) wurde wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" (动颠覆国家政权罪) zu vier Jahren Gefängnis und einem dreijährigen Entzug seiner politischen Rechte verurteilt, weil er friedlich von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hat. Seit seiner ersten Festnahme 2018 hat sich sein Gesundheitszustand aufgrund der schlechten Haftbedingungen dramatisch verschlechtert. Yu Wensheng berichtete auch von Folter und anderen Misshandlungen.

Es ist grundsätzlich als gutes Zeichen zu werten, dass ihm am 5. Februar 2021 ein 30-minütiges Videogespräch mit seiner Frau Xu Yan gewährt wurde. Seit seiner Verlegung in ein anderes Gefängnis hatte er bis dahin keinen Kontakt zu seiner Familie gehabt. Zwar gab Yu Wensheng an, dass die Haftbedingungen im Gefängnis in Nanjing besser seien, allerdings habe er noch immer keine medizinische Versorgung für seine Zähne, seinen Arm und seine Hand erhalten. Seine Frau zeigte sich zudem besorgt darüber, dass Yu Wensheng weiterhin Anzeichen von Unterernährung aufweise.

Seit seiner Inhaftierung hat Yu Wensheng bereits vier Zähne verloren. Zudem kann er seinen rechten Arm aufgrund eines Nervenschadens kaum noch bewegen, sodass er auch nicht mehr schreiben kann. Wenn Yu Wensheng nicht umgehend medizinisch behandelt wird, steht zu befürchten, dass sich sein Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Er könnte sogar irreparable Schäden davontragen. Yu Wensheng ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der sich nur deshalb in Haft befindet, weil er friedlich seine Meinung zum Ausdruck gebracht hat.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Yu Wensheng ist ein bekannter Menschenrechtsanwalt in Peking. Er vertrat zahlreiche Personen in öffentlichkeitswirksamen Menschenrechtsfällen. So übernahm er unter anderem die Verteidigung verschiedener Falun-Gong-Anhänger_innen und des Menschenrechtsanwalts Wang Quanzhang. Wang Quanzhang war während des harten staatlichen Vorgehens gegen Anwält_innen und Aktivist_innen im Juli 2015 wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" angeklagt worden.

Yu Wensheng wurde von der Haftanstalt in Xuzhou nach Jiangsu in das Gefängnis von Nanjing verlegt und befindet sich somit nun etwa 1000 Kilometer von Peking entfernt. Seine Frau Xu Yan zeigte sich zutiefst enttäuscht über den Transfer, der ihr Besuche deutlich erschwert.

Yu Wensheng wurde am 17. Juni 2020 nach einem Prozess hinter verschlossenen Türen zu vier Jahren Gefängnis und einem dreijährigen Entzug seiner politischen Rechte verurteilt. Er hatte zuvor einen Offenen Brief geschrieben, in dem er Präsident Xi Jinping kritisierte und sagte, dieser sei wegen seiner zunehmend "totalitären" Herrschaft ungeeignet, China zu regieren. Angehörige und Freund_innen von Yu Wensheng glauben, dass seine Verurteilung mit diesem Brief zusammenhängt.

Kurz nach seiner Verurteilung legte Yu Wensheng vor dem Obersten Volksgericht der Provinz Jiangsu Rechtsmittel gegen den Schuldspruch ein. Am 27. Dezember 2020 erfuhren seine Rechtsbeistände durch ein Schreiben von der Entscheidung des Obersten Volksgerichts der Provinz Jiangsu: das Rechtsmittel wurde zurückgewiesen und das Gericht bestätigte das ursprüngliche Urteil, das eine Freilassung von Yu Wensheng am 1. März 2022 vorsieht.

Am 11. Februar wurde Yu Wensheng mit dem Martin Ennals Award 2021 ausgezeichnet. Sowohl die Finalist_innen als auch der_die Preisträger_in des Menschenrechtspreises werden von einer Jury ausgewählt, in der zehn der weltweit führenden Menschenrechts-NGOs vertreten sind. Der Preis soll Menschenrechtsverteidiger_innen in Gefahr schützen und unterstützen. Seine Frau berichtete ihm von der Auszeichnung und gab an, dass Yu Wensheng sich sehr dankbar gezeigt habe – auch für die internationale Unterstützung im Allgemeinen.

Xu Yan hat in den vergangenen drei Jahren unermüdlich für die Freilassung ihres Mannes gekämpft. Sie unternahm zahlreiche Versuche, ihren Mann zu besuchen, der 800 Kilometer von ihrem Zuhause in Peking entfernt in Einzelhaft gehalten wurde. Seit sie sich für ihren Mann einsetzt, steht Xu Yan unter ständiger Beobachtung und wird von den Behörden schikaniert. Sie wurde vorgeladen, verhört und mit einem Reiseverbot belegt.

In China werden Aktivist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen nach wie vor systematisch überwacht, schikaniert, eingeschüchtert, festgenommen und inhaftiert.