Drohende Zwangsräumung

Amnesty International

Amnesty International

126 Roma-Familien droht in der Gemeinde Garmen in Bulgarien die rechtswidrige Zwangsräumung. Acht Familien sind bereits obdachlos. Die bulgarischen Behörden müssen grundlegende internationale Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte einführen und sicherstellen, dass niemand Opfer rechtswidriger Zwangsräumungen wird.

Appell an

MINISTERIN FÜR REGIONALE ENTWICKLUNG
Lilyana Pavlova
Kiril I Metodii Street No. 17 – 19
Sofia, BULGARIEN
(Dear Minister / Sehr geehrte Frau Ministerin)
Fax: (00 359) 29 87 25 17
E-Mail: e-mrrb@mrrb.government.bg

REGIONALGOUVERNEUR VON BALGOEVGRAD
Biser Mihaylov
Geogi Izmirliev Street, No. 9
Blagoevgrad 2700, BULGARIEN
(Dear Governor / Sehr geehrter Herr Regionalgouverneur)
Fax: (00 359) 73 88 14 03
E-Mail: info@bl.government.bg

Sende eine Kopie an

BÜRGERMEISTERIN VON GARMEN
Minka Kapitanova
Gurmen village, No 35 "Purva" str.
Zip 2960
Blagoevgrad región, BULGARIEN
Fax: (00 359) 75 23 31 79
E-Mail: obs_garmen@bitex.bg

BOTSCHAFT DER REPUBLIK BULGARIEN
S.E. Herrn Radi Naidenov
Mauerstr. 11
10117 Berlin
Fax: 030-208 68 38
E-Mail: info@botschaft-bulgarien.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Bulgarisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 11. September 2015 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

FAXE, E-MAILS UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich fordere Sie auf, die vorläufigen Maßnahmen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu befolgen. Bitte stoppen Sie unverzüglich alle Zwangsräumungen bis eine wirkliche Konsultation mit der betroffenen Gemeinschaft in Garmen stattgefunden hat, um alle möglichen Alternativen zu den geplanten Zwangsräumungen und Umsiedlungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Sorgen Sie bitte auch dafür, dass in Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsstandards angemessene Alternativunterkünfte für die betroffenen Familien bereitgestellt werden, so dass gewährleistet wird, dass die Familien infolge der Umsiedlung nicht getrennt werden.

  • Bitte stellen Sie angemessene Alternativunterkünfte für die acht Familien, deren Häuser bereits abgerissen wurden zur Verfügung und entschädigen Sie sie für ihre Verluste.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging authorities to comply with the ECtHR interim measures and halt all evictions until genuine consultation with the affected community in Gurmen has been conducted to identify all feasible alternatives to the planned evictions and resettlement options, including the provision of adequate alternative housing to the affected households, in accordance with international human rights standards, ensuring that families are not separated as a consequence of relocation.

  • Urging local authorities to provide the 8 families whose houses have been demolished with adequate alternative housing and compensation for their losses.

Sachlage

Das Ministerium für regionale Entwicklung plant, 126 Häuser in dem Viertel Kremikovtzi des Dorfes Marchevo in der südwestlich gelegenen Gemeinde Garmen rechtswidrig zwangsräumen zu lassen. Rund 850 Roma, darunter 350 Kinder, wären von der Räumung betroffen. Die Häuser von acht Roma-Familien wurden bereits im Juni abgerissen. Seitdem sind die Familien obdachlos. Vier dieser Häuser wurden von den Behörden abgerissen, vier weitere von den Familien selbst, nachdem ihnen mit Geldstrafen gedroht worden war. Nach einer Inspektion waren einige der 126 Häuser für unrechtmäßig erbaut erklärt worden. An die Bewohner_innen ergingen daraufhin Abrissanordnungen. Zwei der Häuser sollten bereits am 13. Juli abgerissen werden. Dies ist bisher allerdings noch nicht geschehen. Für den 31. Juli war der Abriss 22 weiterer Häuser geplant.

Am 10. Juli forderte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die bulgarischen Behörden dazu auf, den Abriss von Häusern zu stoppen, es sei denn den betroffenen Familien wurden bereits Alternativunterkünfte zur Verfügung gestellt. Die bulgarische Regierung informierte den EGMR, dass den Familien keine Zwangsräumung drohe, sollten keine geeigneten Alternativunterkünfte zur Verfügung stehen. Trotzdem wies das Ministerium für regionale Entwicklung die Gemeinde Garmen in einem Brief darauf hin, dass am 31. Juli 22 Häuser abgerissen werden sollten. Nach Angaben von NGOs vor Ort, die mit der Gemeinde zusammenarbeiten, haben soziale Dienste den betroffenen Familien erklärt, dass die Kinder in gesonderten Einrichtungen unterkommen und die Eltern in Notunterkünften untergebracht werden sollten. Dies würde bedeuten, dass die Kinder von den Eltern getrennt werden. Keine der betroffenen Familien wurde über mögliche Alternativunterkünfte informiert. Darüber hinaus gab es auch keine Konsultationen im Hinblick auf Alternativen zu den geplanten Zwangsräumungen und Umsiedlungsmöglichkeiten. Das Versäumnis rechtliche und verfahrenstechnische notwendige Schutzmaßnahmen umzusetzen, wird vielfache rechtswidrige Zwangsräumungen zur Folge haben, welche gegen die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Bulgariens verstoßen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Die Roma-Familien leben seit Jahrzehnten in Garmen, einige von ihnen seit 1969. Damals mussten sie sich auf Grundlage einer Verordnung des Ministerrats dort niederlassen. Die Häuser wurden auf Agrarland erbaut.

Zwischen November 2010 und Juli 2011 wurden für alle 134 Häuser in dem Viertel von der Gemeinde Duldungsurkunden ausgestellt. Darin wurden insbesondere die langandauernde Besetzung durch die Gemeinschaft sowie der Schutz der Häuser vor Abriss anerkannt. Nachdem die Gemeinde Garmen 2013/2014 ein öffentliches Angebot erstellt hatte, kauften 24 Roma-Familien die Häuser, in denen sie wohnten. Im Zeitraum von 2013 bis 2014 führte die Gemeinde Garmen eine öffentliche Ausschreibung durch, an deren Ende 24 Roma-Familien zu Eigentümer_innen der Häuser wurden, in denen sie wohnten.

2012 widerrief die regionale Behörde für unrechtmäßigen Bau 104 dieser Duldungsurkunden. Dies geschah trotz der Tatsache, dass es sich bei der ausstellenden Behörde um die Gemeinde Garmen gehandelt hatte und es kein Verfahren gibt, das den Widerruf solcher Urkunden durch eine andere Behörde ermöglichen würde. Die Gründe für den Widerruf wurden den Bewohner_innen der Häuser nicht mitgeteilt. Die regionale Behörde für unrechtmäßigen Bau erklärte nach Inspektionen außerdem 124 Häuser für unrechtmäßig erbaut und erteilte Anordnungen zum Gebäudeabriss. Zehn Häuser wurden als rechtmäßig erbaut erachtet und müssen laut der Behörde nicht abgerissen werden. Gegen manche der Anordnungen wurden bei Verwaltungsgerichten Rechtsmittel eingelegt. Die Gerichte bestätigten die Anordnungen allerdings, so dass diese nun ausgeführt werden können.

Amnesty International befürchtet, dass die Räumung von Roma-Familien in der Gemeinde Garmen ohne angemessene Schutzmaßnahmen rechtswidrigen Zwangsräumungen gleichkommen wird, die laut Völkerrecht verboten sind. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit Urteil vom 24. April 2012 in einer wegweisenden Entscheidung erklärt, dass die Behörden gegen eine Gemeinschaft, die bereits seit einigen Jahren und mit de facto Duldung der Behörden auf einem Grundstück wohnt, nicht in der gleichen Weise vorgehen darf "wie in Fällen routinemäßiger Räumung ... von rechtwidrig besetztem Eigentum". Dabei müssten die Behörden das Risiko der Zerstreuung der Gemeinschaft sowie die Gefahren für sozial benachteiligte Menschen sorgfältig abwägen, denen durch die Zwangsräumungen die Obdachlosigkeit drohen könnte (Yordanova et al v. Bulgaria).

Bulgarien hat sich darüber hinaus zur Einhaltung einer Reihe weiterer internationaler und regionaler Menschenrechtsabkommen verpflichtet, welche rechtswidrige Zwangsräumungen untersagen und deren Verhinderung verlangen. Zu diesen Verträgen zählen unter anderem der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, das Übereinkommen über die Rechte des Kindes sowie das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 7 betont, dass Zwangsräumungen nur als letztes Mittel und nach wirklicher Konsultation mit den betroffenen Gemeinschaften durchgeführt werden dürfen, wenn alle anderen möglichen Alternativen ausgeschöpft wurden.
Selbst wenn eine Räumung als gerechtfertigt betrachtet wird, darf sie nur dann durchgeführt werden, wenn angemessene Verfahrensschutzmaßnahmen in Kraft sind und Entschädigung für alle erlittenen Verluste und angemessene alternative Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden.