Drohende Zwangsräumung

Zeichnung dreier Ausrufezeichen

Am 31. August droht 22 Roma-Familien in der Gemeinde Garmen in Bulgarien die rechtswidrige Zwangsräumung. Sie gehören zu den insgesamt 124 Roma-Haushalten in der Gemeinde, die Abrissanordnungen erhalten haben. Die bulgarischen Behörden haben sich bislang nicht verpflichtet, grundlegende internationale Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte einzuhalten und sicherzustellen, dass niemand Opfer rechtswidriger Zwangsräumungen wird.

Appell an

MINISTERIN FÜR REGIONALE ENTWICKLUNG Lilyana Pavlova, Kiril I Metodii Street No. 17 – 19 Sofia, BULGARIEN (Dear Minister / Sehr geehrte Frau Ministerin) Fax: (00 359) 29 87 25 17 E-Mail: e-mrrb@mrrb.government.bg

REGIONALGOUVERNEUR VON BLAGOEVGRAD Biser Mihaylov, Geogi Izmirliev Street, No. 9 Blagoevgrad 2700, BULGARIEN (Dear Governor / Sehr geehrter Herr Regionalgouverneur) Fax: (00 359) 73 88 14 03 E-Mail: info@bl.government.bg

Sende eine Kopie an

BÜRGERMEISTERIN VON GARMEN Minka Kapitanova Gurmen village, No 35 "Purva" Str. 2960 Blagoevgrad región BULGARIEN Fax: (00 359) 75 23 31 79 E-Mail: obs_garmen@bitex.bg

 

BOTSCHAFT DER REPUBLIK BULGARIEN S. E. Herrn Radi Naidenov Mauerstr. 11 10117 Berlin Fax: 030-208 68 38 E-Mail: info@botschaft-bulgarien.de oder Embassy.Berlin@mfa.bg

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Bulgarisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 7. Oktober 2015 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

FAXE, E-MAILS UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte stellen Sie angemessene Alternativunterkünfte für die acht Familien, deren Häuser bereits abgerissen wurden, zur Verfügung und entschädigen Sie sie für ihre Verluste.

  • Bitte stoppen Sie umgehend alle Räumungsaktivitäten, bis eine wirkliche Konsultation mit der betroffenen Gemeinschaft stattgefunden hat, um alle möglichen Alternativen zu den geplanten Zwangsräumungen sowie angemessene Umsiedlungsmöglichkeiten zu prüfen. Sorgen Sie in dieser Hinsicht bitte auch dafür, dass gemäß internationalen Menschenrechtsnormen angemessene Alternativunterkünfte bereitgestellt werden.

  • Ich fordere Sie auf, rechtswidrige Zwangsräumungen gesetzlich zu verbieten und bei gesetzlich legitimierten Räumungen stets darauf zu achten, dass diese in Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsstandards durchgeführt werden.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging local authorities to provide the eight families whose houses have been demolished with adequate alternative housing and compensation for their losses.

  • Urging the authorities to engage, prior to any eviction, in meaningful consultations with the remaining families at risk, to explore all feasible alternatives to the planned evictions and resettlement options, including the provision of adequate alternative housing, in accordance with international human rights standards.

  • Calling on the Bulgarian authorities to adopt a law prohibiting forced evictions and ensure that lawful evictions are carried out in accordance with international standards.

Sachlage

Insgesamt sind 124 Unterkünfte in dem Viertel Kremikovtzi des Dorfes Marchevo in der südwestlich gelegenen Gemeinde Garmen von der Zwangsräumung bedroht. Die dort lebenden Menschen haben Abrissanordnungen erhalten. Die betroffene Gemeinschaft wurde nicht angemessen konsultiert, um Alternativen zur geplanten Zwangsräumung sowie angemessene Umsiedlungsmöglichkeiten zu prüfen. 22 Roma-Familien – 118 Personen, darunter eine Schwangere und zwei Kinder mit Behinderungen– droht nun am 31. August die rechtswidrige Zwangsräumung. Die Häuser von acht Roma-Familien wurden bereits am 29. Juni abgerissen. Vier dieser Häuser wurden von den bulgarischen Behörden demoliert, vier weitere offenbar von den Familien selbst, nachdem ihnen mit Geldstrafen gedroht worden war. Mindestens 16 Menschen sind dadurch obdachlos geworden. 80 weitere Haushalte haben Abrissanordnungen erhalten. Für die übrigen 14 Familien werden neue Räumungsverfahren eingeleitet.

Als Reaktion auf die am 30. Juli veröffentlichte Urgent Action von Amnesty International hat das Ministerium für Regionale Entwicklung und öffentliches Bauwesen erklärt, der Abriss der Roma-Unterkünfte werde umgesetzt und die Gemeinde Garmen müsse sicherstellen, dass "für alle Bewohnerinnen und Bewohnerillegal errichteter Gebäude angemessene und gesunde alternative Unterkunftsmöglichkeiten gefunden werden". Allerdings geht aus Angaben der Bürgermeisterin von Garmen gegenüber Amnesty International sowie aus früheren Aussagen der bulgarischen Behörden hervor, dass die Gemeinde keine Sozialwohnungen für die betroffenen Familien zur Verfügung stellen kann und dass Alternativunterkünfte nur vorübergehend verfügbar gemacht werden können, wenn überhaupt. Nach den Zwangsräumungen im Juni wurde Amnesty International von Angehörigen der Roma-Gemeinschaft sowie von NGOs, die eng mit der Gemeinschaft zusammenarbeiten, darüber informiert, dass den vertriebenen Familien nur eine Möglichkeit der alternativen Unterbringung angeboten wurde: Erwachsene sollten in Notunterkünften untergebracht werden, Kinder in Kinderbetreuungseinrichtungen. Dies würde allerdings bedeuten, dass Eltern von ihren Kindern getrennt werden.

Das Recht auf Wohnen ist in der bulgarischen Verfassung als Grundrecht verankert. Dennoch enthält die entsprechende nationale Gesetzgebung weder ein ausdrückliches Verbot von Zwangsräumungen noch die grundlegenden Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte, die laut Völkerrecht eingehalten werden müssen, damit es nicht zu rechtswidrigen Zwangsräumungen kommt. In den vergangenen Jahren berichteten die bulgarischen Medien sowie bulgarische NGOs über einige weitere Fälle rechtswidriger Zwangsräumungen in informellen Roma-Siedlungen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Die Roma-Familien leben seit Jahrzehnten in Garmen, einige von ihnen seit den sechziger Jahren. Damals mussten sie sich auf Grundlage einer Verordnung des Ministerrats dort niederlassen. Die Häuser wurden auf Agrarland erbaut.

Zwischen November 2010 und Juli 2011 wurden für alle 134 Häuser in dem Viertel von der Gemeinde Duldungsurkunden ausgestellt. Darin wurde ausdrücklich die langandauernde Besetzung durch die Gemeinschaft anerkannt und die Häuser vor dem Abriss geschützt. Nachdem die Gemeinde Garmen 2013/2014 eine öffentliche Ausschreibung organisierte, kauften 24 Roma-Familien die Häuser, in denen sie wohnten.

2012 widerrief die regionale Behörde für unrechtmäßigen Bau 104 dieser Duldungsurkunden. Die Gründe für den Widerruf wurden den Bewohner_innen der Häuser nicht mitgeteilt. Die regionale Behörde für unrechtmäßigen Bau erklärte nach Inspektionen außerdem 124 Häuser für unrechtmäßig erbaut und erteilte Anordnungen zum Gebäudeabriss. Zehn Häuser wurden als rechtmäßig erbaut erachtet und müssen laut der Behörde nicht abgerissen werden. Gegen manche der Anordnungen wurden bei Verwaltungsgerichten Rechtsmittel eingelegt. Die Gerichte bestätigten die Anordnungen allerdings, so dass diese nun ausgeführt werden können.

Amnesty International befürchtet, dass die Räumung von Roma-Familien in der Gemeinde Garmen ohne angemessene Schutzmaßnahmen einer rechtswidrigen Zwangsräumung gleichkommen wird, die laut Völkerrecht verboten ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit Urteil vom 24. April 2012 in einer wegweisenden Entscheidung erklärt, dass die Behörden gegen eine Gemeinschaft, die bereits seit einigen Jahren und mit de facto Duldung der Behörden auf einem Grundstück wohnt, nicht in der gleichen Weise vorgehen darf "wie in Fällen routinemäßiger Räumung ... von rechtwidrig besetztem Eigentum". Dabei müssten die Behörden das Risiko der Zerstreuung der Gemeinschaft sowie die Gefahren für sozial benachteiligte Menschen sorgfältig abwägen, denen durch die Zwangsräumungen die Obdachlosigkeit drohen könnte (Yordanova et al v. Bulgaria).

Bulgarien muss angemessene Alternativunterkünfte bereitstellen und gewährleisten, dass niemand aufgrund einer Zwangsräumung obdachlos oder anderen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wird. Opfern von Rechtsverletzungen müssen angemessene Rechtsbehelfe zugestanden werden, einschließlich der Bereitstellung von Entschädigungen für sämtliche Verluste sowie von angemessenen Alternativunterkünften für all diejenigen, die nicht selbst dafür aufkommen können. Diese Verpflichtungen gelten auf allen Regierungsebenen, auch für Stadtbehörden.

Bulgarien hat sich darüber hinaus zur Einhaltung einer Reihe weiterer internationaler und regionaler Menschenrechtsabkommen verpflichtet, welche rechtswidrige Zwangsräumungen untersagen und deren Verhinderung verlangen. Zu diesen Verträgen zählen unter anderem der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, das Übereinkommen über die Rechte des Kindes sowie das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 7 betont, dass Zwangsräumungen nur als letztes Mittel und nach wirklicher Konsultation mit den betroffenen Gemeinschaften durchgeführt werden dürfen, wenn alle anderen möglichen Alternativen ausgeschöpft wurden.

Selbst wenn eine Räumung als gerechtfertigt betrachtet wird, darf sie nur dann durchgeführt werden, wenn angemessene Verfahrensschutzmaßnahmen in Kraft sind und Entschädigung für alle erlittenen Verluste und angemessene alternative Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden.