Drohende Zwangsräumung

Haus im Viertel "Nummerierte Straßen" in Miskolc (Ungarn)

Haus im Viertel "Nummerierte Straßen" in Miskolc (Ungarn)

In der ungarischen Stadt Miskolc droht etwa 100 Familien die rechtswidrige Zwangsräumung. Die Familien gehören zum größten Teil der Roma-Gemeinschaft an und wohnen in dem Stadtviertel "Nummerierte Straßen". Die meisten Familien, deren Häuser bisher geräumt wurden, haben keine angemessen Alternativunterkünfte oder Entschädigungsleistungen erhalten.

Appell an

BÜRGERMEISTER VON MISKOLC
Mr Ákos Kriza
Városház tér 8., Miskolc 3525
(Anrede: Dear Mayor / Sehr geehrter Herr Bürgermeister)
Fax: (00 36) 46 34 78 07
E-Mail: hivatal@miskolcph.hu

FÜR DIE RÄUMUNG ZUSTÄNDIGER BEAMTER
Dr. Schweickhardt Gyula
Városház tér 8., Miskolc 3525, UNGARN
(Anrede: Dear Dr. Schweickhardt Gyula /
Sehr geehrter Herr Dr. Schweickhardt Gyula)
Fax: (00 36) 46 34 88 01
E-Mail: schw.gyula@miskolcholding.hu

Sende eine Kopie an

MINISTER FÜR HUMANRESSOURCEN
Mr Zoltán Balog
Ministry of Human Capacities
Akademia utca 3.
Budapest, UNGARN
Fax: (00 36) 17 95 01 51
E-Mail: miniszter@emmi.gov.hu

BOTSCHAFT VON UNGARN
S.E. Herr József Czukor
Unter den Linden 76
10117 Berlin
Fax: (030) 229 13 14
E-Mail: infober@mfa.gov.hu

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Ungarisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 10. August 2015 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte setzen Sie alle Räumungen aus, bis umfassende Konsultationen mit den betroffenen Familien im Viertel "Nummerierte Straßen" durchgeführt wurden, um alle umsetzbaren Alternativen zu den geplanten Räumungen sowie mögliche Umsiedlungspläne zu erörtern. Sorgen Sie zudem bitte dafür, dass allen Betroffenen vor der Räumung Alternativunterkünfte zur Verfügung gestellt werden, die den Richtlinien internationaler Menschenrechtsnormen entsprechen.

  • Bitte führen Sie Räumungen nur dann durch, wenn alle Alternativen ausgeschöpft sind und beachten Sie dabei die internationalen Menschenrechtsnormen und -standards in vollem Umfang. Dies gilt auch für die geplanten Räumungen im Viertel "Nummerierte Straßen".

  • Sorgen Sie bitte dafür, dass die Personen, die 2014 und 2015 Opfer rechtswidriger Zwangsräumungen geworden sind, Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln und Alternativunterkünften erhalten.

Sachlage

Seit man Ende März die Zwangsräumungen wieder aufgenommen hat, wurden etwa 120 Familien aus dem Stadtviertel "Nummerierte Straßen" vertrieben. Viele der Familien mussten bei ihren Angehörigen unterkommen oder in renovierungsbedürftige Häuser ziehen, während anderen die Obdachlosigkeit droht.

Am 12. Juni besuchte Amnesty International das Viertel "Nummerierte Straßen" und sprach mit mehreren Familien, von denen man annimmt, dass ihnen die unmittelbare Zwangsräumung droht. Die Familien erhalten verwirrende und widersprüchliche Informationen, wodurch sich die Ungewissheit, mit der die Familien leben, erhöht. E.M., die mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern in dem Viertel wohnt, gab an, dass ihnen die Stadtverwaltung von Miskolc im Februar gesagt habe, dass sie ihr Haus bis zum 13. April verlassen haben müssten. Nach dieser Ankündigung folgte am 8. April ein Besuch durch einen Polizeibeamten, der sie nochmals darauf aufmerksam machte, dass sie ihr Haus bis zum 13. April verlassen soll. Am 9. April ging E.M. zum Rat der Roma der Stadt, um dort um Hilfe zu bitten. Die Vertretung sagte ihr, dass sie bis Mitte Juli bleiben könne. Am 10. April bestätigte der Malteserorden, von dem man annimmt, dass er eine Vereinbarung mit der Gemeinde getroffen hat, um bezüglich des Stadtviertels "Nummerierte Straßen" zu helfen, dass E.M. und ihre Familie bis Mitte Juli in dem Haus wohnen bleiben können. E.M. zahlt weiterhin Miete. Am 25. Juni bestätigte E.M., dass man ihr nochmals informell gesagt habe, dass sie auch nach dem 13. Juli noch in dem Haus bleiben könne. Ihre Familie hat dennoch keinen befristeten Mietvertrag oder eine schriftliche Bestätigung der Verlängerung ihres Mietverhältnisses erhalten. Die Familie von E.M. kann daher weder planen, noch vorhersehen, wann sie das Haus verlassen müssen.

O.A., seine Frau und seine beiden Kinder, deren Mietvertrag mit der Gemeinde unbefristet ist, haben ein Angebot für eine Alternativunterkunft in dem nahegelegenen Viertel "Eisenwerk" erhalten. Dieses Angebot ist an die Bedingung geknüpft, dass sie alle wesentlichen Reparaturen an der Wohnung, die nötig sind, damit die Wohnung bewohnbar ist, selbst durchführen. O.A. wurde darüber informiert, dass das Geld, das er für die Reparaturen bezahlen muss, von seiner Miete abgezogen werden würde. O.A. hat diese Bedingungen unterzeichnet. Er weiß weder, wie er die Reparaturen bezahlen soll noch, wann er das Viertel "Nummerierte Straßen" verlassen muss.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 8. Mai 2014 entschieden sich die Behörden der Stadt Miskolc dazu, das Viertel "Nummerierte Straßen" aufzulösen und kündigten die bestehenden Mietverträge. Durch die bevorstehenden Räumungen, für die keinerlei Entschädigungsleistungen vorgesehen sind, droht dem Großteil der Bewohner_innen nun die Obdachlosigkeit. Es hat keine umfassende Konsultation der Betroffenen stattgefunden. Amnesty International hat sich am 14. Juli 2014 schriftlich mit den Behörden von Miskolc in Verbindung gesetzt und Delegierte der Organisation haben sich im Oktober desselben Jahres mit Vertreter_innen der Stadt getroffen.

Am 14. Mai 2015 entschied das höchste Gericht in Ungarn, dass die Gemeinde Miskolc mit der Vertreibung von Hunderten Roma-Familien aus einem seit langer Zeit bestehenden Viertel das Gleichberechtigungsgesetz des Landes verletzt hat. Zudem gab das Gericht an, dass die Rechte der Familien auf Privat- und Familienleben sowie auf Bewegungsfreiheit verletzt wurden.

Am 5. Juni 2015 veröffentlichte das Büro des Beauftragten für Grundrechte einen Bericht über die Situation in Miskolc. Er kritisierte die Herangehensweise der Gemeinde bei der sogenannten "Räumung der Slums". Das Büro rief dazu auf, mit dem Malteserorden zu kooperieren, um Zwangsräumungen zu verhindern und zusammen mit dem Orden und anderen Nichtregierungsorganisationen einen Plan für Familien, die von Obdachlosigkeit bedroht sind, zu entwickeln. Zudem soll zusammen mit dem Ministerium für Humanressourcen ein ganzheitliches Konzept entwickelt werden, das sich mit der Auflösung von Slums befasst.

Am 12. Juni gab der lokale Gemeindesprecher bei dem jüngsten Besuch von Amnesty International in Miskolc an, dass sie von der Gemeindeverwaltung noch nicht konsultiert wurden. Zudem habe man nur acht von den 100 Familien, die von der Räumung bedroht sind, alternative Unterkünfte angeboten. Die meisten Familien, die ihre Häuser bereits verlassen mussten, sind in andere Teile der Stadt Miskolc gezogen, wie zum Beispiel in das Viertel Lyukobanya. Rund 30 Familien sind nach Kanada gereist, um dort Asyl zu beantragen. Alle Bewohner_innen, die Amnesty International traf, haben über schlechte Lebensbedingungen geklagt. Diese schlechten Bedingungen schließen u.a. Ratten und Müll auf den Straßen mit ein. Der Müll wird immer noch einmal die Woche von den Bewohner_innen aufgesammelt. Bei vielen Häusern wurden jedoch die Fenster und Türen entfernt, anscheinend um andere Personen daran zu hindern, in die Häuser einzuziehen. Bei jedem Wohnblock, der aus vier kleinen Gebäuden besteht, wurde mindestens ein Gebäude zerstört. Der Schutt, der dabei entstanden ist, wurde einfach liegen gelassen. Vor dem Beginn der Räumungen war das Viertel "Nummerierte Straßen" eine lebhafte Gemeinde mit Grundstücken, die relativ gut instand gehalten wurden.

Lesen Sie für weitere Informationen über die internationalen Standards zu Zwangsräumungen die Hintergrundinformationen der Urgent Action UA-083/2015 (https://www.amnesty.de/urgent-action/ua-083-2015/drohende-zwangsraeumung).