Hunderte Roma vertrieben

Gianturco, Italien

Gianturco, Italien

Hunderte Roma aus der Siedlung Gianturco wurden am 7. April vertrieben. Zahlreiche Familien hatten die Siedlung aufgrund der vestärkten Polizeikontrollen und Drangsalierungen bereits davor verlassen. Es wird befürchtet, dass viele von ihnen nun obdachlos sind. Die 200 Menschen, die am 7. April noch in der Siedlung waren, wurden in unangemessene alternative Unterkünfte gebracht oder wurden obdachlos und laufen nun Gefahr, weitere Menschenrechtsverletzungen zu erleiden.

Appell an

BÜRGERMEISTER VON NEAPEL Luigi de Magistris Comune di Napoli, Palazzo San Giacomo Piazza Municipio 80133 Napoli, ITALIEN (Anrede: Dear Mayor / Sehr geehrter Herr Bürgermeister) Fax: (00 39) 08 1795 5002 E-Mail: urp@comune.napoli.it

INNENMINISTER Marco Minniti Ministero dell’Interno, Piazza del Viminale 1 00184 Roma, ITALIEN (Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Innenminister) Fax: (00 39) 06 4654 9832 E-Mail: segreteriatecnica.ministro@interno.it

Sende eine Kopie an

BOTSCHAFT DER ITALIENISCHEN REPUBLIK S. E. Herrn Pietro Benassi Hiroshimastr. 1-7 10785 Berlin Fax: 030-2544 0116 oder 030 2544 0130 E-Mail: segreteria.berlino@esteri.it oder consolare.berlino@esteri.it

 

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Italienisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 24. Mai 2017 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

FAXE, E-MAILS UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte stellen Sie sicher, dass allen Roma, die infolge der Zwangsräumung vom 7. April obdachlos geworden sind, dringend und nach einer offenen und wirkklichen Konsultation alternative Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden.

  • Initiieren Sie bitte auch eine Konsultation mit den rumänischen Familien in dem abgetrennten Lager in der Via del Riposo, um nachhaltige Unterbringungsmöglichkeiten zu entwickeln, die mit den internationalen und regionalen Menschenrechtsstandards und auch mit der Nationalen Italienischen Strategie zur Inklusion von Roma übereinstimmen.

  • Bitte stellen Sie sicher, dass es keine weiteren Zwangsräumungen von Roma in Neapel geben wird.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Ensure that all people left homeless as a result of the 7 April forced eviction occurred in Gianturco are urgently provided with adequate alternative housing through an open and genuine consultation;

  • Urgently initiate a consultation with the Romani families in the segregated camp in Via del Riposo to develop sustainable rehousing plans which comply with international and regional human rights standards and are consistent with Italy’s National Strategy for Roma Inclusion;

  • Ensure no further forced evictions of Roma are carried out in Naples.

Sachlage

Hunderte Roma der informelle Siedlung Gianturco im italienischen Neapel wurden von den lokalen Behörden am 7. April vertrieben. Die Behörden hatten den Familien zwei Wochen zuvor mitgeteilt, dass die Zwangsräumung auf den 11. April angesetzt sei, doch am 6. April wurden sie informiert, dass die Räumung bereits am nächsten Tag stattfinden würde. Amnesty International war im Absperrungsgürtel zugelassen, um die Operation zu beobachten. Journalist_innen wurden davon abgehalten hineinzugehen.

Von den schätzungsweise 1.300 rumänischen Roma in Gianturco waren nur 200 – darunter Kinder, Ältere und Kranke – anwesend, als die Zwangsräumung stattfand. Zahlreiche Familien hatten die Siedlung in den Wochen zuvor aus Angst obdachlos zu werden, verlassen, da ihnen die Behörden gesagt hatten, dass nicht alle alternativen Wohnraum erhalten würden. Die wiederholten Überprüfungen der Polizei, die vor dem 7. April verstärkt wurden, kamen Schikanen gleich. Die Zwangsräumung dauerte nur vier Stunden. Alle Häuser wurden abgerissen und das Gebiet wurde abgesperrt.

Die Behörden brachten rund 130 Personen in ein neues abgetrenntes Camp in Via del Riposo. Es liegt dort, wo eine Roma-Siedlung 2013 von Angreifer_innen niedergebrannt worden war. Anti-Roma-Slogans waren bereits auf die Wände in der Nähe gesprüht worden. Vertreter_innen von Amnesty International beobachteten, wie Menschen, die in einem Auto vorbeifuhren, die Roma lauthals verunglimpften. Die lokalen Behörden teilten den Amnesty-Researcher_innen mit, dass noch eine Weile Polizeikräfte vor dem Lager stationiert würden, da sie Angriffe und Feindseligkeiten von Nicht-Roma befürchteten. Einigen wenigen Familien wurde angeboten, in das Aufnahmezentrum "Grazia Deledda" zu ziehen, wo laut Angaben vieler Roma unzureichende Bedingungen herrschen, es keine Privatsphäre und nur Gemeinschaftsduschen und -küchen gibt. Amnesty International ist bislang weder der Zugang zum Lager in der Via del Riposo noch dem Aufnahmezentrum gestattet worden. Die Organisation wartet auf die Antwort der Behörden auf eine entsprechende Anfrage vom 7. April. Vielen Familien wurde keine alternative Unterkunft angeboten und sie wurden aufgrund der Zwangsräumung obdachlos. Mindstens zwei Familien, darunter eine mit einem einjährigen Kind, haben die vergangenen Tage in ihren Autos verbracht. Eine im siebten Monat schwangere Frau und ein schwer kranker 20-Jähriger schliefen in einem Bahnhof. Der Verbleib von zahlreichen anderen Familien ist nicht bekannt. Am 11. April sagten Behördenvertreter_innen bei einem auf Initiative der Roma und lokaler Aktivist_innen organisierten Treffen, sie hätten keine alternativen Unterkünfte für die obdachlosen Familien.

Hintergrundinformation

Hintergrund

In den Monaten vor der Zwangsräumung hat die Stadtverwaltung keine wirkliche Konsultation durchgeführt, um alle realistischen Alternativen zu einer Zwangsräumung und alternative Unterbringungsmöglichkeiten für alle Bewohner_innen zu prüfen. Zwei Wochen vor der Zwangsräumung teilten die Behörden den Familien mit, sie würden am 11. April vertrieben werden, und gaben ihnen einige Kopien der Räumungsanordnung. Doch schon am 6. April wiesen sie alle Familien an, am kommenden Tag bereit zu sein.

Die Zwangsräumung begann am 7. April um 7 Uhr. Um 11 Uhr war die gesamte Siedlung geräumt. Das Gebiet wurde von den Behörden beschlagnahmt und der Zugang blockiert. Die Abrisse hatten schon gegen etwa 10 Uhr am hinteren Ende der Siedlung begonnen. Alle Häuser wurden abgerissen. Nur einige wenige Gebäude, die bereits vor der Roma-Siedlung dort gestanden hatten, wurden nicht abgerissen. Viele Häuser der Siedlung waren leer, da die Bewohner_innen sie bereits in den Wochen und Tagen vor der Räumung verlassen hatten. Doch viel persönlicher Besitz wurde dabei zurückgelassen, sowohl von den Familien, die die Siedlung vor der Zwangsräumung verlassen hatten als auch denjenigen, die am 7. April während der Zwangsräumung auszogen. Zu den Dingen zählen Möbel, Kleidung, Spielsachen und Gasflaschen. Berichten zufolge wurde keine Entschädigung für verlorenen Besitz angeboten.

Zahlreiche Strafverfolgungsbeamt_innen und andere Beamt_innen, darunter Carabinieri, die Abteilung für allgemeine Untersuchungen und Sondereinsätze (Digos) und örtliche Polizei waren mit vielen Fahrzeugen an der Operation beteiligt. Feuerwehrleute, Einheiten des Zivilschutzs, mehrere Bulldozer und Lkws zum Abtransport von allem, was abgerissen wurde, waren ebenfalls vor Ort.

Während einige Familien wussten, dass sie zu dem neuen Lager in der Via del Riposo gebracht wurden, das mit Geldern der Stadtverwaltung und des Innenministeriums finanziert wird, wurde vielen auch gesagt, sie stünden nicht auf der Liste für das neue Lager. Noch viel mehr Familien erhielten keine Antwort der Behörden auf die Frage, wohin sie gehen sollten, da sie keine Angbote für eine alternative Unterkunft erhalten hatten. Als Amnesty-Vertreter_innen fragten, was nun mit den Familien geschehen würde, denen nichts angeboten worden war, weigerten sich Vertreter_innen der Stadt und eine Polizeibeamtin zu antworten. Jemand sagte: "Wir haben nicht für alle Platz".

Den Familien, denen ein Platz in der Via del Riposo angeboten worden war, wurde auch ein Transport angeboten, wenn sie selbst keine Transportmöglichkeit hatten. Drei Busse brachten Erwachsene und Kinder in das neue Lager und einige Autos wurden genutzt, um einige Besitztümer zu transportieren. Doch viele Roma berichteten Amnesty International, dass sie angewiesen worden waren, nur ganz wenig mitzunehmen, da in der Via del Riposo kein Platz sei. Amnesty International hält das Lager in der Via del Riposo für eine unangemessene Alternative, mit möglichen Platzproblemen, schlechtem Zugang zu Dienstleistungen, wenig Mietsicherheit für die Familien und einer allgemeinen Segregierung. Amnesty International wartet auf die Erlaubnis der Behörden, das Lager in der Via del Riposo zu besuchen, ist jedoch bereits darüber informiert worden, dass dort 28 Container stehen, 27 bewohnt sind und einer von den Behörden genutzt wird. Die Container sind etwa 20 Quadratmeter groß und jeder hat ein Zimmer, ein Bad und eine Küche. Es gibt Strom und fließendes kaltes und heißes Wasser. Das Lager ist durch Zäune nach außen abgegrenzt und nur durch ein Eingangstor zu erreichen. Anti-Roma-Parolen wie "keine Roma" waren bereits jetzt auf die Zäune um das Lager herum gesprüht worden. Das Tor wird rund um die Uhr bewacht und Polizeikräfte sind außen stationiert, da die Behörden das Risiko von Spannungen und Angriffen gegen die Roma ernst nehmen.

Zahlreiche Familien aus Gianturco sind nach wie vor obdachlos.