USA: Umweltanwalt willkürlich inhaftiert

Ein grauhaariger Mann im Anzug steht in einer Menge von Menschen, er hat seine Hand erhoben, in der anderen hält er eine rote Mappe, eine Frau fotografiert ihn mit dem Handy.

Der US-amerikanische Anwalt Steven Donziger

Am 1. Oktober wurde der Umweltschützer Steven Donziger wegen der politisch motivierten Anklage "Missachtung des Gerichts" zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Zuvor hatte der Anwalt erfolgreich Betroffene von Ölverklappungen in Ecuador vertreten. Er hat bereits mehr als zwei Jahre unter Hausarrest verbracht, und zwar in Folge eines Verfahrens, das nach Ansicht von UN-Expert_innen jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und gegen zahlreiche Standards für faire Gerichtsverfahren verstößt. Die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen stellte fest, dass seine Inhaftierung eine Vergeltungsmaßnahme für seine Arbeit als Anwalt für die indigenen Gemeinschaften in Ecuador ist. Er muss umgehend und bedingungslos freigelassen werden.

Appell an

Attorney General

Merrick Garland


950 Pennsylvania Avenue NW

Washington, DC 20530

USA

Sende eine Kopie an

Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika

Herrn Woodward Clark Price

Geschäftsträger a.i.

Clayallee 170

14195 Berlin

Fax: 030 - 83 05 10 50

E-Mail: feedback@usembassy.de

Amnesty fordert:

Sachlage

Steven Donziger ist ein US-amerikanischer Anwalt und Umweltschützer, der die Opfer von Ölverklappungen in einem symbolträchtigen Fall gegen den Chevron-Konzern in Ecuador vertrat. Darin wurde dem Unternehmen vorgeworfen, für eine der schlimmsten Ölkatastrophen der jüngeren Geschichte verantwortlich zu sein. Er steht seit August 2019 unter Hausarrest, nachdem er sich geweigert hatte, einer gerichtlichen Anordnung zur Herausgabe seiner elektronischen Geräte nachzukommen. Er hatte argumentiert, dass eine solche Offenlegung die Vertraulichkeit der Kommunikation mit seinen Mandant_innen beeinträchtigen und sie gefährden könnte. Der Haftstrafe ging eine langjährige Verleumdungskampagne von Chevron gegen Steven Donziger und andere Menschenrechtsverteidiger_innen voraus.

Im September 2021 stellte die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen fest, dass der Freiheitsentzug von Steven Donziger willkürlich ist, weil ihm die Rechtsgrundlage fehlt und er gegen mehrere Standards im Zusammenhang mit dem Recht auf ein faires Verfahren verstößt. So sind die Gerichte, vor denen sein Fall verhandelt wird, offensichtlich nicht unparteilich. Darüber hinaus kam die Arbeitsgruppe zu dem Schluss, dass seine Inhaftierung offenbar eine Vergeltungsmaßnahme für seine Arbeit als Rechtsvertreter indigener Gemeinschaften in Ecuador ist.

Trotz schwerwiegender Bedenken hinsichtlich der mangelnden Unabhängigkeit, Objektivität und Unparteilichkeit der Richterin, die den Hausarrest vor der Verhandlung angeordnet und das Verfahren wegen "Missachtung des Gerichts" überwacht hatte, wurde Steven Donziger am 1. Oktober zu einer Höchststrafe von sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Die Möglichkeit der Freilassung bis zum Einlegen eines Rechtsmittels wurde ihm verweigert.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Steven Donziger begann seine Arbeit für Umweltgerechtigkeit 1993, als er nach Ecuador reiste und Teil des juristischen Teams wurde, das die Betroffenen von Ölverklappungen in einem symbolträchtigen Fall gegen den Chevron-Konzern vertrat. Dem Unternehmen wurde vorgeworfen, für eine der schlimmsten ölbedingten Umweltkatastrophen der Gegenwartsgeschichte verantwortlich zu sein.

2011 befand ein Gericht in Ecuador nach jahrelangen Gerichtsverfahren, dass der Chevron-Konzern für die schwerwiegenden Umwelt- und Gesundheitsschäden im Amazonas-Regenwald und in den dort lebenden Gemeinden verantwortlich ist. Das Gericht stellte fest, dass der Konzern absichtlich Milliarden Liter Ölabfälle auf das Land der Indigenen geleitet hatte, um Kosten zu sparen, und verurteilte ihn zur Zahlung von Schadenersatz in Milliardenhöhe.

Nachdem Chevron den Prozess in Ecuador verloren hatte, verlagerte das Unternehmen sein gesamtes Vermögen ins Ausland, um Schadenersatzzahlungen zu vermeiden. Außerdem drohte es den ecuadorianischen Betroffenen mit einem "lebenslangen Rechtsstreit", falls sie ihre Klage nicht fallen ließen. Chevron reichte dann in den USA eine Klage gegen alle in der Ecuador-Klage genannten Kläger_innen sowie gegen Steven Donziger und andere Rechtsbeistände, NGOs und eine Reihe von Expert_innen ein, die ihren Fall unterstützt hatten.

Das anschließende Gerichtsverfahren wies Mängel auf, womit die Inhaftierung von Steven Donziger willkürlich wird. Dazu gehörten die fehlende Unparteilichkeit der Gerichte sowie ein unverhältnismäßiger Eingriff in sein Recht auf Freiheit, der als Versuch zu werten ist, das Anwaltsgeheimnis zu umgehen. Außerdem übersteigt der gegen ihn verhängte Freiheitsentzug die in den Anklagen gegen ihn vorgesehene Höchstdauer.

Steven Donziger steht seit über 800 Tagen unter Hausarrest. Ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen setzt sich für ihn ein.

Im Jahr 2019 traf die Richterin, die den Vorsitz im Zivilverfahren gegen Steven Donziger innehatte, die außergewöhnliche Entscheidung, eine private Anwaltskanzlei als Sonderstaatsanwält_innen zu ernennen. Auf diese Weise wollte sie eine Anklage wegen "Missachtung des Gerichts" verhandeln, die die US-Staatsanwaltschaft für den südlichen Bezirk von New York nicht weiterverfolgen wollte. Am 6. August 2019 ordnete die Richterin, die dem strafrechtliche Verfahren wegen Missachtung des Gerichts vorstand, an, dass Steven Donziger seinen Reisepass abgeben und sich einer GPS-Ortung und einem Hausarrest unterziehen muss. Seitdem ist Steven Donziger seiner Freiheit beraubt.

Die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierung ist eine Gruppe unabhängiger Expert_innen, die vom Menschenrechtsrat ernannt wurde und den Auftrag hat, Fälle von willkürlich oder im Widerspruch zu internationalen Standards verhängtem Freiheitsentzug zu untersuchen. Die Stellungnahmen der Arbeitsgruppe sind verbindliche Entscheidungen eines UN-Expertengremiums und haben rechtliches Gewicht. Die in den internationalen Verträgen enthaltenen Verpflichtungen, die die Grundlage für die Entscheidung der Arbeitsgruppe bilden, sind für die Vertragsstaaten rechtsverbindlich. Die Vereinigten Staaten sind seit 1992 Vertragsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte.

Strategische Klagen gegen die Öffentlichkeitsbeteiligung (Strategic lawsuits against public participation - SLAPP) sind Klagen, die mit der Absicht eingereicht oder angedroht werden, die Öffentlichkeitsbeteiligung zu verhindern. SLAPP-Klagen richten sich häufig gegen Journalist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Aktivist_innen oder Akademiker_innen mit dem Ziel, kritische Stimmen abzuschrecken. SLAPP-Klagen zielen nicht unbedingt darauf ab, die Ehre oder den Ruf einer Einzelperson oder eines Unternehmens zu schützen, sondern vielmehr darauf, einzuschüchtern, zu ermüden und die finanziellen und psychologischen Ressourcen der angeklagten Person aufzuzehren. Die Kosten für die Bekämpfung dieser Klagen können Menschenrechtsaktivist_innen unter extremen finanziellen und sonstigen Druck setzen und sie dazu zwingen, die ohnehin begrenzten Mittel und Ressourcen für ihre Arbeit zu ihrer Verteidigung im Rahmen dieser Klage einzusetzen. Oft gelingt es auch, die Aufmerksamkeit von der Umwelt- oder Menschenrechtsproblematik auf die Verleumdungsklage selbst zu lenken.