Gewalt gegen Demonstrierende

Diese Urgent Action ist beendet

Die Behörden in Puerto Rico sind 2018 gewaltsam gegen Demonstrationen zum 1. Mai vorgegangen. Damit haben sie die Rechte der Demonstrierenden auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verletzt. Friedlichen Demonstrant_innen, die weitere Proteste geplant hatten, drohten somit weitere Menschenrechtsverletzungen.

Polizist_innen aufgereiht, in Uniform und schwer bewaffnet

Bewaffnete Polizist_innen am 1. Mai in San Juan

Die Behörden in Puerto Rico haben mit gewaltsamem Vorgehen auf die Demonstrationen vom 1. Mai reagiert und damit die Rechte der Demonstrierenden auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verletzt. Friedlichen Demonstrant_innen, die weitere Proteste geplant haben, könnten somit weitere Menschenrechtsverletzungen drohen.

Appell an

Gouverneur von Puerto Rico



Ricardo Rosselló Nevares



La Fortaleza, PO Box 9020082



San Juan, PR 00902-0082, PUERTO RICO

Sende eine Kopie an

Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika

Herr Kent Doyle Logsdon, Geschäftsträger a.i.

Clayallee 170, 14191 Berlin


Fax: 030-83 05 10 50

E-Mail: feedback@usembassy.de

Amnesty fordert:

  • Ich bitte Sie darum, umgehend das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu gewährleisten.
  • Bitte machen Sie die Ergebnisse der vom Gericht angeordneten Untersuchung zu den Demonstrationen vom 1. Mai so schnell wie möglich öffentlich und stellen Sie die Verantwortlichen vor Gericht.
  • Treten Sie bitte in einen Dialog mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, damit das polizeiliche Vorgehen und die gesetzlichen Bestimmungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung internationalen Menschenrechtsstandards entsprechen.

Sachlage

Seit 2016 finden in Puerto Rico regelmäßige Protestveranstaltungen statt, an denen Tausende Menschen aus allen Bevölkerungsschichten teilnehmen. Sie kritisieren die Sparmaßnahmen der Regierung, die in ihren Augen wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Bevölkerung gefährden. Am 1. Mai, der weltweit als Internationaler Tag der Arbeit begangen wird, trafen sich Protestierende an verschiedenen Orten in der Hauptstadt San Juan. Demonstrant_innen berichteten Amnesty International, dass sie an der Straßenecke Avenue Ponce de León and Roosevelt von der Nationalpolizei gestoppt und daran gehindert wurden, ihren Protestmarsch fortzusetzen. Rund eine Stunde lang blockierte die Polizei den Marsch. Schließlich setzte sie ohne Vorwarnung Tränengas ein, begann gewaltsam die Demonstrant_innen zurückzudrängen und schoss mit Gummigeschossen. Einzelne Protestteilnehmer_innen warfen offenbar Steine auf die Polizei. Jedoch verhielt sich Medienberichten und anderen Teilnehmenden zufolge, die mit Amnesty International gesprochen haben, der Großteil der Demonstrierenden friedlich.

Bei den Demonstrationen hatten im Rahmen ihrer Kampagne "Protest ist kein Verbrechen" auch Aktivist_innen von Amnesty International in Puerto Rico teilgenommen. Damit wollten sie für den Schutz der Meinungs- und Versammlungsfreiheit vor dem Hintergrund der aktuellen Proteste gegen Steuerreformen im Land werben. Unter den friedlichen Protestteilnehmer_innen war auch die Direktorin von Amnesty International Puerto Rico, Liza Gallardo. Sie sagte: "Mit dem Marsch wollten wir das Recht auf freie Meinungsäußerung verbreiten."

Sechs Personen kamen nach den Vorfällen zum Büro von Amnesty International. Alle litten unter den Auswirkungen des Tränengases. Ebenso erreichten das Büro zahlreiche Anrufe besorgter Verwandter, die sich nach Informationen über diejenigen erkundigten, die bei den Protesten festgenommen worden waren. Offenbar gab es mindestens elf kurzzeitige Inhaftierungen. Einer der Demonstrierenden, der mit Amnesty International unterwegs gewesen war, sagte: "Ich konnte kaum atmen... Ich versuchte zu rennen, konnte aber nichts sehen... sie [die Polizei] hörte nicht auf, Tränengas einzusetzen." Ein anderer Protestierender, der vor der Polizei davongelaufen war, sagte Amnesty International, er habe einen Teenager gesehen, der gekrümmt und bewusstlos auf dem Boden lag. Er sagte, es habe keine Krankenwagen gegeben, also habe er den Teenager in Sicherheit gebracht.

Im Jahr 2013 hatten die USA und der Freistaat Puerto Rico eine Vereinbarung über nachhaltige Reformen der puerto-ricanischen Polizei unterzeichnet, die über zehn Jahre hinweg angelegt sind. Die Reformen wurden initiiert, nachdem die Polizei immer wieder Menschenrechtsverletzungen beschuldigt worden war. Für die Umsetzung ist ein unabhängiges Gericht in Puerto Rico zuständig, welches am 1. Mai ebenfalls Beobachter_innen zu den Protestmärschen geschickt hatte. Am 4. Mai ordnete ein US-Bezirksgericht eine "unabhängige Untersuchung und Bewertung der Demonstrationen vom 1. Mai mit einem zusammenfassenden Bericht" an.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Puerto Rico sieht sich weiter mit einer ernsthaften Finanzkrise konfrontiert. Diese ist eine Folge der hohen Auslandsverschuldung von über 70 Milliarden US-Dollar, wie sie die Behörden beziffern. 2016 war von den US-Behörden eine Finanzaufsicht und ein Vorstand für Finanzen (Financial Oversight and Management Board) eingerichtet worden, die im Jahr 2017 mehrere Sparmaßnahmen ergriffen hatten. Diese Maßnahmen könnten negative Auswirkungen haben und die Menschenrechte möglicherweise einschränken. Darunter fallen besonders die Gesundheitsversorgung sowie die Rechte auf Wohnen, Bildung und Arbeit. Am 9. Januar 2017 sprach der unabhängige UN-Experte für Auslandsverschuldung und Menschenrechte öffentlich seine Besorgnis über die nachteiligen Auswirkungen aus, die weitere Sparmaßnahmen für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte bedeuten würden. Obwohl sie von lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen dazu aufgefordert worden waren, hatte sich die puerto-ricanische Regierung geweigert, die Schuldensituation einer ausführlichen Prüfung zu unterziehen.

Im Dezember 2017 stattete der UN-Sonderberichterstatter über extreme Armut und Menschenrechte dem Land einen Besuch ab. Auch er äußerte Bedenken über die fehlende Berücksichtigung von sozialen Schutzmaßnahmen in den Reformplänen der Regierung.

Am 20. September 2017 verursachte der Hurrikan Maria die größte Naturkatastrophe in der Geschichte der Insel. Behördenberichten zufolge starben mindestens 64 Menschen. Da die genaue Zahl der Todesopfer jedoch nach wie vor unbekannt ist, hatte der Gouverneur angekündigt, eine erneute Untersuchung durchführen zu wollen. Der Hurrikan zerstörte die Infrastruktur und zahlreiche Gebäude. Viele Menschen blieben obdachlos zurück und ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser, Lebensmitteln und Grundversorgung, wie medizinische Versorgung und Bildung. Weil sowohl die lokale als auch die puerto-ricanische Regierung erst spät auf die Ereignisse reagierte, weitete sich die humanitäre Krise infolge des Hurrikans weiter aus. Der UN-Menschenrechtsexperte sagte im Oktober 2017, dass das Ausbleiben einer wirksamen Notfallhilfe mit einer ohnehin schon "katastrophalen Situation zusammenfiel, die Folge der Verschuldung und Sparmaßnahmen der Regierung war." Einen Monat später äußerte sich die Interamerikanische Menschenrechtskommission ebenfalls besorgt über den Nothilfe- und Wiederaufbauprozess des Landes.

Im Zuge der Demonstrationen vom 1. Mai 2017, die in Verbindung mit der Finanzkrise standen, war ebenfalls von exzessiver und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung der Polizei berichtet worden. So dokumentierte die American Civil Liberties Union, eine US-amerikanische Nichtregierungsorganisation, die sich für die Bürgerrechte einsetzt, den willkürlichen Einsatz von Tränengas gegen Demonstrierende ohne jede Vorwarnung. Damit hat die Polizei gegen Völkerrechtsstandards verstoßen. Einige Kanister, die von Beobachter_innen gefunden worden waren, legten sogar offen, dass abgelaufenes Tränengas benutzt worden war. Darüber hinaus gibt es Videobeweise, die den Einsatz von Gummigeschossen gegen friedlich Demonstrierende dokumentieren. Außerdem wurde die Besorgnis darüber geäußert, dass Polizist_innen nicht eindeutig erkennbar gewesen waren und ein verdeckter Einsatz der Polizist_innen die Proteste unterwandert haben könnten. Laut der Berichte soll es zu Festnahmen gekommen sein, ohne dass die Polizei sich zu erkennen gegeben hat.