Schülerin droht Abschiebung

Taibeh Abbasi 2017

Taibeh Abbasi 2017 auf einer Brücke in Norwegen.

Verlängert bis 11. Juli 2018

Die 18-jährige Schülerin Taibeh Abbasi befindet sich in unmittelbarer Gefahr, nach Afghanistan abgeschoben zu werden – in ein Land, in dem sie noch nie war. Trotz des Anstiegs der zivilen Opfer in Afghanistan erklärte Norwegen, dass Rückführungen nach Kabul sicher seien. Sollte Taibeh Abbasi in das kriegszerrüttete Afghanistan abgeschoben werden, drohen ihr dort Menschenrechtsverletzungen.

Appell an

Premierministerin

Erna Solberg

Office of the Prime Minister

Postboks 8001 Dep

0030 Oslo

NORWEGEN

Sende eine Kopie an

Botschaft des Königreichs Norwegen

S. E. Herr Petter Ølberg

Rauchstr. 1, 10787 Berlin


Fax: 030-50 50 58 601

E-Mail: emb.berlin@mfa.no

Amnesty fordert:

  • Bitte stoppen Sie unverzüglich die Abschiebung von Taibeh Abbasi und ihren Familienangehörigen nach Afghanistan.
  • Setzen Sie zudem sämtliche Abschiebungen nach Afghanistan aus, bis die Sicherheitslage im Land solche zulässt.

Sachlage

Die 18-jährige Schülerin Taibeh Abbasi, ihre Mutter und ihre zwei Brüder befinden sich in unmittelbarer Gefahr, aus Norwegen nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Dem geht eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von Norwegen vom 30. November 2017 voraus, das von der Familie eingelegte Rechtsmittel gegen die zuvor erfolgte Aberkennung ihres Flüchtlingsstatus abzuweisen. Am 19. Februar wies die Rechtsmittelstelle für Einwanderungsfragen das Gesuch der Familie ab, diese Entscheidung zurückzunehmen und ordnete an, dass die Familie Norwegen bis zum 11. März verlassen müsse.

Taibeh Abbasi wurde im Iran geboren. Ihre Eltern kommen aus Afghanistan und gehören der Hazara-Minderheit an. Von dort waren sie 1998 während des Taliban-Regimes geflohen. Aufgrund von Diskriminierungserfahrungen, die die Familie auch im Iran machen musste, floh sie im Sommer 2012 weiter nach Norwegen. Seitdem lebt sie im zentralnorwegischen Trondheim, wo Taibeh Abbasi und ihre Brüder auch zur Schule gehen und sich zuhause fühlen. Taibeh Abbasi und ihrer Familie wurde im September 2012 der Flüchtlingsstatus zuerkannt. Doch am 25. März 2014 entzog ihnen der Direktor der Zuwanderungsbehörde diesen Status wieder. Die Nachweise, die eine Furcht vor Verfolgung in Afghanistan begründeten, seien unzureichend und Rückführungen nach Kabul seien sicher. Die von der Familie bei der Beschwerdestelle für Einwanderungsfragen eingelegten Rechtsmittel wurden am 14. Oktober 2017 abgewiesen, dasselbe gilt für die Rechtsmittel, die sie daraufhin bei verschiedenen norwegischen Gerichten einreichte – wie zuletzt vom eingangs bereits erwähnten Obersten Gerichtshof. Die norwegischen Einwanderungsbehörden halten daran fest, dass Kabul eine sichere inländische Fluchtalternative für Taibeh Abbasi und ihre Familie sei. Doch mit Blick auf die zivilen Opfer ist Kabul derzeit die gefährlichste Provinz in ganz Afghanistan. Die Sicherheitslage im Land verschlechtert sich zusehends und keine der afghanischen Provinzen kann als sicher gelten. Eine ganze Reihe bewaffneter Gruppen kämpft dort um die Kontrolle verschiedener Gebiete. Im Falle einer Abschiebung wären Taibeh Abbasi und ihre Familie in Gefahr, Menschenrechtsverletzungen zu erleiden.

"In Kabul gibt es für mich und meine Brüder keine Zukunft", erklärte Taibeh Abbasi. Und weiter: "Wir werden Diskriminierungen ausgesetzt sein und am eigenen Leib spüren, was es bedeutet, zu einer gefährdeten Minderheit zu gehören. Ich als Mädchen bin besonders gefährdet. Meine Träume von einem Studium und einer beruflichen Laufbahn werden sich in Luft auflösen."

In Norwegen leben viele Menschen aus Afghanistan in der Gefahr, in das kriegszerrüttete Land abgeschoben zu werden, obwohl diese Abschiebungen nach dem Völkerrecht rechtswidrig sind. Der bindende internationale Rechtsgrundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement) untersagt die Überstellung von Personen in Staaten oder Territorien, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Die Abschiebungen nach Afghanistan, wo mit zunehmender Eskalation der Gewalt Verfolgung und andere Gefahren drohen, ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Afghanistan befindet sich derzeit in einem internen bewaffneten Konflikt zwischen "aufständischen Gruppen" und regierungstreuen Kräften. Zu den mehr als 20 bewaffneten Gruppen, die in Afghanistan aktiv sind, zählen auch die "aufständischen Gruppen" der Taliban und des Islamischen Staats (IS). Die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) berichtete, dass 2016 das schlimmste Jahr für die Zivilbevölkerung in Afghanistan war: 11.418 Menschen wurden getötet oder verletzt. Laut Angaben der UN verursachte die konfliktbezogene Unsicherheit und Gewalt schweren Schaden in der Zivilbevölkerung, besonders betroffen waren Frauen und Mädchen.

Die Verschlechterung der Sicherheitslage hielt 2017 an. Von 1. Januar bis 30. Juni 2017 registrierte UNAMA 5.243 zivile Opfer. Die meisten wurden von aufständischen Gruppen verletzt, die selbstgebaute Sprengsätze wie z.B. Selbstmordbomben einsetzten. Mit Blick auf die zivilen Opfer ist Kabul derzeit die gefährlichste Provinz in ganz Afghanistan, wenn auch Menschen überall im Land in Gefahr sind. Der Konflikt ist unbeständig und involviert vielfältige Gruppen, die ständig versuchen Territorien (wieder) in ihre Gewalt zu bringen und deren Handlungen unvorsehbar sind.

Viele Menschen im Land sind auch einem besonderen Verfolgungsrisiko im ganzen Land ausgesetzt, ungeachtet ob ein Gebiet unter der Kontrolle der Regierungstruppen oder aufständischer Gruppen steht. In Gebieten unter Regierungskontrolle verüben Akteure der Regierung ständig Menschenrechtsverletzungen. Regierungstreue bewaffnete Gruppen sind für Menschenrechtsverletzungen wie vorsätzliche Tötung, Körperverletzung, Erpressung und Einschüchterung verantwortlich. Auch in Gegenden unter der Kontrolle aufständischer Gruppen sind Menschenrechtsverstöße weit verbreitet. Dazu gehören außergerichtliche Hinrichtungen, Folter und Misshandlung genau wie die Verweigerung von Bewegungsfreiheit, freier Meinungsäußerung und politischer Teilhabe sowie des Zugangs zu Bildung und des Rechts auf Gesundheit. Darüberhinaus verüben beide Konfliktparteien Menschenrechtsverstöße in Gebieten außerhalb ihrer jeweiligen Kontrolle.

Doch auch wenn die Gewalt zunimmt, zwingen europäische Länder immer mehr Menschen, nach Afghanistan zurückzugehen – 2016 waren es fast 10.000 Personen. Norwegen ist eines der europäischen Länder mit den meisten Rückführungen von Afghan_innen. Laut Eurostat wurden 2016 insgesamt 760 Menschen und in der ersten Hälfte 2017 insgesamt 172 Personen abgeschoben. Amnesty International hat erschütternde Fälle von Afghan_innen dokumentiert, die aus europäischen Ländern zurückgeschoben wurden. In Afghanistan wurden sie ermordet, in Bombenangriffen verletzt oder leben in ständiger Angst vor Verfolgung.

Um diese Rückführungen durchzusetzen, hat Norwegen gemeinsam mit anderen europäischen Regierungen einige Gegenden Afghanistans willkürlich für sicher erklärt und verlässt sich dabei auf das Konzept der "internen Fluchtalternative". Mit anderen Worten, die Behörden erkennen an, dass die Herkunftsprovinz gefährlich ist, aber erwarten, dass die Menschen woanders im Land leben. Norwegen betrachtet Kabul als interne Fluchtalternative, doch Kabul ist weiterhin das Gebiet mit der höchsten Zahl ziviler Opfer und damit besteht in Afghanistan keine glaubhafte interne Fluchtalternative.