Chile: Polizeigewalt darf nicht straffrei bleiben

Diese Urgent Action ist beendet.

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Im Oktober 2019 wurde Moisés Órdenes bei einer friedlichen Demonstration von Angehörigen der Polizei angegriffen. Am 5. Dezember 2022, mehr als drei Jahre später, beschloss die für den Osten Santiagos zuständige Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen sieben der 13 angeklagten Beamt*innen einzustellen. Familie und Rechtsbeistand von Moisés Órdenes machen hingegen geltend, dass einige Untersuchungen noch nicht durchgeführt worden und die Ermittlungen noch lange nicht abgeschlossen seien. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Santiago muss die Ermittlungen gegen die sieben Beamt*innen wieder aufnehmen und Gerechtigkeit für Moisés Órdenes gewährleisten.

Appell an

Lorena Parra

Fiscal Regional Metropolitana Oriente

Los Militares N°5550


Comuna de Las Condes

Santiago

CHILE

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Chile

I.E. Frau Maria Magdalena Atria Barros

Mohrenstraße 42

10117 Berlin

Fax: 030-726 203603

E-Mail: echile.alemania@minrel.gob.cl

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie höflich auf, dafür zu sorgen, dass die Untersuchungen der Menschenrechtsverletzungen, die Moisés Órdenes erlitten hat, wieder aufgenommen und unverzüglich umfassend und unabhängig durchgeführt werden. Das Recht von Moisés Órdenes auf Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung muss gewährleistet werden, und alle an seiner Folter beteiligten Polizeiangehörigen müssen in einem fairen Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden.

Sachlage

Mitte Oktober 2019 gingen in ganz Chile Millionen von Menschen auf die Straßen, um für Gleichbehandlung und für ihre sozialen und wirtschaftlichen Rechte zu demonstrieren. Sie forderten unter anderem angemessene Renten und Wohnraum, sowie ein gutes öffentliches Bildungs- und Gesundheitswesen. Präsident Sebastian Piñera erklärte daraufhin den Ausnahmezustand und setzte das Militär und die Polizei ein, um die Proteste zu unterdrücken.

Die von Moisés Órdenes in diesem Zusammenhang am 21. Oktober 2019 erlittene Folter durch Polizeibeamt*innen droht ungestraft zu bleiben. Die Entscheidung der zuständigen Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen gegen sieben Polizeibeamt*innen einzustellen, die in diesem Fall schwerer Menschenrechtsverletzungen wegen Folter, Behinderung der Justiz und Verschleierung angeklagt sind, ist verfrüht. Wichtige Teile der Ermittlungen, die von Moisés Órdenes' Rechtsbeistand eingefordert werden, stehen noch aus. Das steht im Widerspruch zu Chiles internationaler Verpflichtung, Folter vollumfänglich zu untersuchen und zu bestrafen.

Darüber hinaus schaden die Behinderungen der internen Ermittlungen durch die Polizeiangehörigen dem Gerichtsverfahren. In der Folge kann nicht gewährleistet werden, dass sich das Geschehen nicht wiederholen wird.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am Montag, den 21. Oktober 2019, gegen 20:40 Uhr, demonstrierte der 55-jährige Moisés Órdenes friedlich auf der Plaza Ñuñoa in Santiago de Chile. Er schlug mit einem Holzlöffel auf eine Bratpfanne, auch Cacerolada genannt, und filmte die sich auflösende Demonstration, die den ganzen Nachmittag angedauert hatte, mit seinem Mobiltelefon.

Plötzlich und ohne jede Provokation begann eine Gruppe von Angehörigen der Spezialeinheit (FFEE) ihn anzugreifen. Sie schubsten ihn und schlugen mit Schlagstöcken auf ihn ein. Durch einen heftigen Tritt in den Rücken fiel er zu Boden und schlug mit dem Gesicht auf.

Obwohl er am Boden lag, hörten die Beamt*innen nicht auf, sein Gesicht, seinen Kopf und den Rest seines Körpers mit Fäusten, Füßen und Schlagstöcken zu traktieren. Der Nachrichtensender Chilevisión filmte diesen Vorfall und übertrug ihn live. Als es Moisés Órdenes gelang mit stark blutendem Gesicht aufzustehen, nahmen die Beamt*innen ihn fest und setzten ihn in ein Polizeifahrzeug.

Um ca. 21:40 Uhr wurde Moisés Órdenes in die Notaufnahme des Krankenhauses El Salvador gebracht, wo die folgenden Verletzungen festgestellt werden konnten: Multiple Traumata, darunter eine schwere Verletzung des linken Auges, Prellungen am linken Brustkorb, eine Fraktur des linken mittleren Schneidezahns, ein ausgekugeltes Schultergelenk, ein Trümmerbruch auf der linken Seite des Nasenbeins, multiple Rippenfrakturen und ein leichter Pneumothorax (Ansammlung von Luft zwischen Lunge und Brustwand) des linken Lungenflügels. Moisés Órdenes musste neun Tage im Krankenhaus behandelt werden. Am 20. November 2019 wurde er wegen der Perforierung seiner Lunge erneut eingeliefert. Am 10. Dezember 2019 wurde er schließlich entlassen. Durch den Angriff verlor er sein linkes Auge und erlitt eine Netzhautablösung im rechten Auge, sowie weitere Verletzungen am Körper.

Im Zuge der ersten Ermittlungen konnte die Staatsanwaltschaft die 13 Beamt*innen, die an dem Vorfall beteiligt waren, identifizieren. Alle dreizehn wurden wegen Folter mit schwerer Körperverletzung angeklagt; fünf davon aufgrund ihrer aktiven Beteiligung an der Folterung und acht aufgrund ihres Nichteingreifens. Der bei dem damaligen Einsatz befehlshabende Polizeibeamte war der Leiter der Abteilung 2 der 28. Spezialeinheit (FF33 43-02). Er befand sich ebenfalls unter den Beamt*innen, die Moisés Órdenes angegriffen hatten. Von den 13 Polizist*innen, die wegen Folter angeklagt wurden, wird elf auch Urkundenfälschung vorgeworfen, weil sie im Laufe des Verfahrens falsche und widersprüchliche Angaben machten, bei den Ermittlungen nicht kooperierten und diese folglich behinderten.

Am 1. Dezember 2022 gab die Staatsanwaltschaft ihre Entscheidung bekannt, ihre Ermittlungen gegen sieben der Beamt*innen fortsetzen zu wollen. Am 5. Dezember ließ der stellvertretende Staatsanwalt für hochkomplexe und organisierte Kriminalität der Regionaldirektion Ost von Santiago mitteilen, dass die Ermittlungen gegen diese sieben Beamt*innen eingestellt werden würden, obwohl die Familie und der Rechtsbeistand von Moisés Órdenes aussagten, dass die von ihnen offiziell beantragten Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien.

Amnesty International schickte 2019 ein Krisenteam nach Chile, um die Lage vor Ort zu beobachten. Das Team dokumentierte Menschenrechtsverletzungen und sogar Verbrechen gegen das Völkerrecht der Sicherheitskräfte. Während der einjährigen Recherchearbeit "Eyes on Chile: Police violence and command responsibility during the period of social unrest" konnte Amnesty International 12 Fälle von Tötung, Folter und Verletzungen bestätigen, die zwischen dem 18. Oktober und dem 30. November 2019 von Angehörigen der Polizei begangen wurden, darunter auch die Folter, die Moisés Órdenes erlitten haben soll. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass die befehlshabenden Sicherheitskräfte für die Menschenrechtsverletzungen, die unter ihrer Aufsicht begangen wurden, verantwortlich sind.