Ägypten: Behörden verweigern Alaa Abdel Fattah konsularischen Beistand

Das Bild zeigt eine Frau, die zwei Protesplakate in der Hand hält.

Sanaa Seif, die Schwester des ägyptisch-britischen Aktivisten Alaa Abdel Fattah, demonstriert in London für seine Freilassung (26. Oktober 2022). 

Alaa Abdel Fattah ist seit 52 Monaten willkürlich inhaftiert. Der bekannte ägyptisch-britische Aktivist wurde am 20. Dezember 2021 in einem äußerst unfairen Verfahren von einem Staatssicherheitsgericht wegen "Verbreitung falscher Nachrichten" zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Er war einen Großteil der vergangenen zehn Jahre willkürlich inhaftiert und einer Fülle von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dazu gehören Folter und andere Misshandlungen, lange willkürliche Inhaftierung, ein unfaires Verfahren, das Untersagen von Familienbesuchen sowie Haftbedingungen, die grausame und unmenschliche Behandlung darstellen. Die ägyptischen Behörden verweigern ihm weiterhin den Zugang zu konsularischem Beistand durch britische Botschaftsangehörige.

Appell an

Präsident
Abdel Fattah al-Sisi
Office of the President
Al Ittihadia Palace
Kairo
ÄGYPTEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Arabischen Republik Ägypten
S.E. Herrn Khaled Galal Abdelhamid
Stauffenbergstraße 6-7
10785 Berlin

Fax: 030-477 1049
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de oder secretariat@egyptian-embassy.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie höflich auf, Alaa Abdel Fattah umgehend und bedingungslos freizulassen, da er nur wegen der friedlichen Ausübung seiner Menschenrechte inhaftiert ist.
  • Sorgen Sie dafür, dass er bis zu seiner Freilassung regelmäßigen Zugang zu seinen Rechtsbeiständen und seiner Familie sowie zu einer angemessenen medizinischen Versorgung erhält und unter Bedingungen inhaftiert ist, die den internationalen Standards für die Behandlung von Gefangenen entsprechen. Alaa Abdel Fattah muss außerdem unverzüglich konsularischer Besuch gewährt werden. 

Sachlage

Die anhaltende ungerechtfertigte Inhaftierung von Alaa Abdel Fattah gibt Anlass zu großer Sorge. Der prominente ägyptisch-britische Aktivist wurde am 29. September 2019 willkürlich festgenommen und verbüßt momentan eine ungerechtfertigte fünfjährige Haftstrafe. Das Urteil gegen ihn wurde am 20. Dezember 2021 von einem Staatssicherheitsgericht verhängt und es gibt keine Möglichkeit, Rechtsmittel dagegen einzulegen. Der ägyptische Präsident bestätigte das Urteil gegen Alaa Abdel Fattah am 3. Januar 2022.

Nach Angaben seiner Schwester Sanaa Seif, die ihn zuletzt am 5. Februar 2024 besuchte, haben sich die Haftbedingungen von Alaa Abdel Fattah im Gefängnis Wadi al-Natroun in den vergangenen Monaten verbessert. Die Gefängnisbehörden haben ihm endlich regelmäßigen Zugang zu Büchern, Fernsehen und schriftlicher Korrespondenz gewährt. Sie verweigern ihm jedoch weiterhin den Kontakt zu seinen Rechtsbeiständen, regelmäßige Telefonate mit seinen Angehörigen sowie den Zugang zu konsularischem Beistand durch britische Botschaftsangehörige. Außerdem hat Alaa Abdel Fattah seit 2019 keinen Zugang zu frischer Luft und Sonnenlicht und darf nur in einer überdachten Halle Sport machen. Wie andere Verurteilte darf auch Alaa Abdel Fattah seine Familie nur einmal im Monat für zwanzig Minuten sehen, da die Coronabeschränkungen in den Gefängnissen immer noch gelten, obwohl sie andernorts aufgehoben wurden. Nach wie vor finden Besuche hinter einer Trennscheibe statt, sodass er seine Familie nicht in den Arm nehmen kann. Sie können nur über ein Headset miteinander kommunizieren. Seit mehr als zwei Jahren darf Alaa Abdel Fattah seinen Sohn, der autistisch ist und nicht sprechen kann, nicht sehen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Alaa Abdel Fattah, ein bekannter politischer Aktivist und Regierungskritiker, wurde in den letzten Jahren wiederholt festgenommen, unter anderem wegen seiner Rolle beim Aufstand von 2011, der zum Sturz des damaligen Präsidenten Hosni Mubarak führte – nach fast 30 Jahren im Amt. Am 29. September 2019 nahmen ihn Angehörige des Nationalen Geheimdienstes auf der Polizeiwache Dokki im Großraum Kairo fest, wo er nach seiner Freilassung auf Bewährung im März 2019 jede Nacht zwölf Stunden verbringen musste. Zuvor hatte er eine weitere ungerechtfertigte fünfjährige Haftstrafe verbüßt. 

Später am selben Tag wurde der Menschenrechtsanwalt Mohamed el-Baqer bei der Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit festgenommen, wo er in seiner Funktion als Rechtsbeistand für Alaa Abdel Fattah erschienen war. Mohamed al-Baqer ist Direktor des Adalah Center for Rights and Freedoms, das er 2014 gründete. Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer wurden wegen konstruierter terrorismusbezogener Vorwürfe in Untersuchungshaft genommen. Die Ermittlungen liefen unter der Nummer 1356/2019 der Obersten Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit (SSSP), einer auf die Untersuchung von Bedrohungen der nationalen Sicherheit spezialisierten Abteilung der Staatsanwaltschaft.

Die SSSP leitete unter der neuen Fallnummer 1228/2021 weitere Ermittlungen wegen ähnlicher Anschuldigungen gegen die beiden Männer ein. Dies ist Teil einer von den Behörden zunehmend angewandten Strategie, die als "Rotation" bezeichnet wird, um die nach ägyptischem Recht zulässige zweijährige Untersuchungshaft zu umgehen und die Inhaftierung von Aktivist*innen auf unbestimmte Zeit verlängern zu können. Am 28. Oktober 2021 begann das Gerichtsverfahren gegen Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer im Fall Nr. 1228/2021 zeitgleich mit dem Verfahren gegen einen anderen Angeklagten: Der Blogger und Aktivist Mohamed Ibrahim Radwan "Oxygen" wurde ebenfalls wegen Anklagen der "Verbreitung falscher Nachrichten" im Zusammenhang mit Beiträgen in den Sozialen Medien zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Verfahren vor den Staatssicherheitsgerichten sind grundsätzlich nicht fair, denn ihre Urteile können nicht vor einem höheren Gericht angefochten werden. Den Angeklagten wurde ihr Recht auf angemessene Verteidigung verweigert, da ihre Rechtsbeistände daran gehindert wurden, vertraulich mit ihnen zu kommunizieren und ihre Fallakten, Anklageschriften und Urteilssprüche zu kopieren. Am 3. Januar 2022 bestätigte Präsident Abdel Fattah al-Sisi die Urteile gegen die drei. Aus einem von Amnesty International eingesehenen Dokument geht hervor, dass der Beginn der Haftstrafe auf das Datum der Ratifizierung gelegt worden war anstatt auf das Datum der Festnahmen.

Alaa Abdel Fattah war von September 2019 bis Mai 2022 unter menschenunwürdigen Bedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Tora 2 in Kairo inhaftiert. Die Gefängnisbehörden hielten ihn in einer kleinen, schlecht belüfteten Zelle fest und verweigerten ihm ein Bett oder eine Matratze. Anders als andere Gefangene durfte er weder Sport im Gefängnishof treiben noch die Gefängnisbibliothek nutzen oder Bücher und Zeitungen von außerhalb auf eigene Kosten im Gefängnis erhalten. Auch angemessene Kleidung, ein Radio, eine Uhr, Zugang zu warmem Wasser und jedwede persönlichen Gegenstände, wie z. B. Familienfotos, wurden ihm verweigert. Am 12. Mai 2022 berichtete Alaa Abdel Fattah seiner Mutter, dass er von der stellvertretenden Gefängnisaufsicht des Hochsicherheitsgefängnisses Tora 2 geschlagen worden war, während er Handschellen trug. Nach großem öffentlichem Druck wurde er am 18. Mai 2022 ins Gefängnis Wadi al-Natroun verlegt. 

Nachdem sich seine Unterstützer*innen anhaltend für ihn eingesetzt hatten, wurde der Menschenrechtsanwalt Mohamed al-Baqer am 20. Juli 2023 im Zuge einer Präsidialamnestie vom 19. Juli freigelassen. Er hatte sich allein wegen seiner friedlichen Menschenrechtsarbeit 45 Monate willkürlich in Haft befunden. Seit der Reaktivierung des präsidialen Begnadigungsausschusses im April 2022 durch den Präsidenten haben die ägyptischen Behörden viele bekannte gewaltlose politische Gefangene und Hunderte aus politischen Gründen Inhaftierte freigelassen. Dennoch sind Tausende weiter willkürlich inhaftiert – und das nur, weil sie friedlich ihre Menschenrechte ausübten, oder nach grob unfairen Gerichtsverfahren oder komplett ohne rechtliche Grundlage. 

Während der UN-Klimakonferenz (COP27) in Ägypten im Jahr 2022 wurden viele Stimmen laut, die die ägyptischen Behörden aufforderten, Alaa Abdel Fattah freizulassen, der sich zu Beginn der Konferenz am 6. November 2022 seit sieben Monaten im Hungerstreik befand. Am 8. November drückte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sein Bedauern angesichts der andauernden Inhaftierung von Alaa Abdel Fattah aus und forderte dessen umgehende Freilassung. Volker Türk forderte die Behörden auch auf, Alaa Abdel Fattah jedwede nötige medizinische Versorgung zukommen zu lassen. Alaa Abdel Fattah trat am 2. April 2022 in den Hungerstreik, um gegen seine unfaire Inhaftierung und die Kontaktsperre zu Vertreter*innen der britischen Botschaft zu protestieren. Am 1. November verschärfte er seinen Hungerstreik und nahm auch die 100 Kalorien, die er seit April noch zu sich genommen hatte, nicht mehr zu sich. Ab dem 6. November trank er auch kein Wasser mehr. Am 11. November 2022 verlor Alaa Abdel Fattah in der Dusche das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, hatte sich eine Menschenmenge um ihn gebildet und er wurde von einem Mitgefangenen gehalten. Außerdem hatte man ihm eine Ernährungssonde gelegt. Nach dieser Nahtoderfahrung entschied Alaa Abdel Fattah, seinen Hungerstreik nicht unmittelbar fortzusetzen. Er blieb aber entschlossen, wieder in den Hungerstreik zu treten, falls "es weiterhin keine erkennbaren Fortschritte in seinem Fall gibt". 

Am 24. März 2023 veröffentlichte der UN-Menschenrechtsausschuss seine abschließenden Beobachtungen zur Einhaltung der Verpflichtungen Ägyptens im Rahmen des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Darin hob er mehrere Probleme hervor, die seit 2013 von Amnesty International und anderen ägyptischen und internationalen Menschenrechtsgruppen angemahnt wurden, darunter willkürliche Inhaftierungen und der Missbrauch der Antiterrorgesetze, um tatsächliche oder vermeintliche Kritiker*innen der ägyptischen Behörden zum Schweigen zu bringen.

Am 14. November 2023 hat die Familie von Alaa Abdel Fattah bei der UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen einen dringenden Appell wegen seiner anhaltenden und ungerechtfertigten Inhaftierung eingereicht.