Ägypten: Alaa Abdel Fattah ohne Kontakt zur Außenwelt

Alaa Abdel Fattah, Archivaufnahme

Alaa Abdel Fattah, Archivaufnahme

+++ Update: Alaa Adel Fattah hat am 15.11. seinen Hungerstreik abgebrochen, die Hintergründe sind noch unklar. Bitte setzt euch weiter für seine Freilassung ein. +++ Alaa Abdel Fattah ist ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert. Der bekannte Aktivist mit ägyptischer und britischer Staatsangehörigkeit ist ein gewaltloser politischer Gefangener. Die Behörden verbieten seiner Familie und seinem Rechtsbeistand, ihn zu besuchen oder zu kontaktieren. In seinem letzten Brief an seine Familie vom 31. Oktober 2022 schrieb Alaa Abdel Fattah, dass er seinen Hungerstreik verschärfen werde, indem er ab dem 1. November keinerlei Nahrung und ab dem 6. November keinerlei Flüssigkeit mehr zu sich nehmen werde. Tagelang hatte daraufhin seine Mutter vor dem Gefängnis Wadi al-Natrun auf eine Nachricht von ihm gewartet. Am 10. November sagte ihr das Sicherheitspersonal des Gefängnisses, dass ihr Sohn medizinisch behandelt werde. Das Sicherheitspersonal nannte der Mutter keine Informationen über den Aufenthaltsort oder Gesundheitszustand ihres Sohnes, stattdessen wurde sie dazu angehalten, nicht mehr vor den Gefängnistoren zu warten. Am 10. November verweigerten die Behörden dem Anwalt von Alaa Abdel Fattah einen Besuch bei seinem Mandanten, obwohl dieser von der Staatsanwaltschaft genehmigt worden war.

Appell an

Präsident

Abdel Fattah al-Sisi


Office of the President

Al Ittihadia Palace

Cairo

ÄGYPTEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Arabischen Republik Ägypten

S.E. Herrn Khaled Mohamed Galaleldin Abdelhamid

Stauffenbergstraße 6-7

10785 Berlin

Fax: 030-477 1049

E-Mail:
embassy@egyptian-embassy.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie höflich auf, Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer umgehend und bedingungslos freizulassen, die Urteile gegen sie für nichtig zu erklären und alle Anklagen gegen sie fallen zu lassen, da sie nur aufgrund der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind.
  • Bis zu seiner Freilassung müssen die Behörden umgehend den Aufenthaltsort von Alaa Abdel Fattah sowie Informationen über seinen Gesundheitszustand bekanntgeben. Darüber hinaus bitte ich Sie, dafür zu sorgen, dass die Behörden seiner Familie, seinen Rechtsbeiständen und Vertreter*innen der britischen Botschaft erlauben, Alaa Abdel Fattah sofort zu besuchen und regelmäßig per Telefon mit ihm in Kontakt zu kommen.
  • Bitte sorgen Sie dafür, dass Alaa Abdel Fattah vor Folter und anderen Arten der Misshandlung geschützt wird und er Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung in einem von seiner Familie ausgesuchten Krankenhaus erhält, wo er von qualifizierten medizinischen Fachkräften behandelt werden kann, die im Einklang mit der Medizinethik handeln. Dazu gehören die Grundsätze der Vertraulichkeit, der Selbstbestimmung und der Einwilligung nach Aufklärung. Darüber hinaus muss ihm unverzüglich der Kontakt zu Vertreter*innen der britischen Botschaft im Einklang mit dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen gewährt werden.

Sachlage

Der ägyptisch-britische Aktivist Alaa Abdel Fattah muss umgehend freigelassen werden. Während seines Hungerstreiks nahm er über 200 Tage lang nur 100 Kalorien pro Tag zu sich, um gegen seine unrechtmäßige Inhaftierung und die Verweigerung von Besuchen durch Vertreter*innen der britischen Botschaft zu protestieren. Am 31. Oktober kündigte er in einem Brief an seine Familie an, seinen Hungerstreik weiter zu verschärfen, indem er ab dem 1. November keinerlei Nahrung und ab dem 6. November keinerlei Flüssigkeit mehr zu sich nehmen werde. Die Behörden verweigern Alaa Abdel Fattahs Rechtsbeistand und seiner Familie, ihn zu besuchen oder zu kontaktieren. Auch geben die Behörden keine detaillierten Informationen über Alaa Abdel Fattahs Gesundheitszustand oder Verbleib heraus.

Vom 7. bis 9. November 2022 wartete Alaa Abdel Fattahs Mutter, Laila Soueif, jeden Tag vor dem Gefängnis Wadi al-Natrun, um Briefe an ihren Sohn abzugeben und eine Nachricht von ihm mitzunehmen – jeden Tag ging sie mit leeren Händen wieder nach Hause. Am 10. November sagte ihr das Sicherheitspersonal des Gefängnisses, dass Alaa Abdel Fattah mit Wissen der Justizbehörden medizinisch behandelt werde. Laila Soueif erfuhr aber keine weiteren Details und wurde dazu angehalten, nicht mehr zum Gefängnis zu kommen.

Am 10. November verweigerten die Behörden dem Anwalt von Alaa Abdel Fattah einen Besuch bei seinem Mandanten und ignorierten damit die dafür seitens der Staatsanwaltschaft erteilte Genehmigung vom Abend des 9. November. Dass eine angemessene medizinische Versorgung in ägyptischen Gefängnissen immer wieder verweigert wird, ist gut dokumentiert, und somit steht zu befürchten, dass die medizinischen Entscheidungen, die Alaa Abdel Fattah betreffen, nicht von unabhängigen medizinischen Expert*innen im Einklang mit der Medizinethik und frei von Zwang oder Einmischung durch die Behörden getroffen werden.

Alaa Abdel Fattah wurde zuletzt im September 2019 festgenommen und war danach Folter und anderen Formen der Misshandlung ausgesetzt. Im Dezember 2021 wurde er von einem Staatssicherheitsgericht auf der Grundlage konstruierter Anklagen für schuldig befunden, obwohl er nur friedlich seine Menschenrechte ausgeübt hatte. Er ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der nicht inhaftiert sein sollte. Durch seine Inhaftierung sind die ägyptischen Behörden verantwortlich für ihn und sein Leben.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Alaa Abdel Fattah, ein bekannter politischer Aktivist und Regierungskritiker, wurde in den vergangenen zehn Jahren wiederholt festgenommen, unter anderem wegen seiner Rolle beim Aufstand von 2011, der zum Sturz des damaligen Präsidenten Hosni Mubarak führte – nach fast 30 Jahren im Amt. Mohamed al-Baqer ist Menschenrechtsanwalt und Direktor des Adalah Center for Rights and Freedoms, das er 2014 gründete.

Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer befinden sich seit dem 29. September 2019 in Haft. Ihnen wird u. a. "Beitritt zu einer terroristischen Vereinigung", "Finanzierung einer terroristischen Vereinigung", "Verbreitung falscher Nachrichten, die die nationale Sicherheit untergraben" und "Nutzung Sozialer Medien zum Verüben eines Veröffentlichungsdelikts" zur Last gelegt; dies geschieht unter der Fallnummer 1356/2019 der Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit (SSSP), einer auf die Untersuchung von Bedrohungen der nationalen Sicherheit spezialisierten Abteilung der Staatsanwaltschaft. Die SSSP leitete unter der neuen Fallnummer 1228/2021 weitere Ermittlungen wegen ähnlicher Anschuldigungen gegen die beiden Männer ein. Dies ist Teil einer von den Behörden zunehmend angewandten Strategie, die als "Rotation" bezeichnet wird, um die nach ägyptischem Recht zulässige zweijährige Untersuchungshaft zu umgehen und die Inhaftierung von Aktivist*innen auf unbestimmte Zeit verlängern zu können. Am 28. Oktober 2021 begann das Gerichtsverfahren gegen Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer im Fall Nr. 1228/2021 zeitgleich mit dem Verfahren gegen einen anderen Angeklagten: Der Blogger und Aktivist Mohamed Ibrahim Radwan "Oxygen" wurde ebenfalls wegen Anklagen der "Verbreitung falscher Nachrichten" im Zusammenhang mit Beiträgen in den Sozialen Medien zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Verfahren vor den Staatssicherheitsgerichten sind grundsätzlich nicht fair, denn ihre Urteile können nicht vor einem höheren Gericht angefochten werden. Den Angeklagten wurde ihr Recht auf angemessene Verteidigung verweigert, da ihre Rechtsbeistände daran gehindert wurden, vertraulich mit ihnen zu kommunizieren und ihre Fallakten, Anklageschriften und Urteilssprüche zu kopieren. Am 3. Januar 2022 bestätigte Präsident Abdel Fattah al-Sisi die Urteile gegen die drei. Aus einem von Amnesty International eingesehenen Dokument geht hervor, dass der Beginn der Haftstrafe auf das Datum der Ratifizierung gelegt worden war anstatt auf das Datum der Festnahmen.

Alaa Abdel Fattah und Mohamed al-Baqer waren bis Mai 2022 unter menschenunwürdigen Bedingungen im Hochsicherheitsgefängnis Tora 2 in Kairo inhaftiert. Die Gefängnisbehörden hielten sie in kleinen, schlecht belüfteten Zellen fest und verweigerten ihnen Betten und Matratzen. Anders als andere Gefangene durften sie weder Sport im Gefängnishof treiben noch die Gefängnisbibliothek nutzen oder Bücher und Zeitungen von außerhalb auf eigene Kosten im Gefängnis erhalten. Auch angemessene Kleidung, ein Radio, eine Uhr, Zugang zu warmem Wasser und jedwede persönliche Gegenstände, wie z. B. Familienfotos, wurden ihnen verweigert. Am 12. Mai 2022 berichtete Alaa Abdel Fattah seiner Mutter, dass er von der stellvertretenden Gefängnisaufsicht des Hochsicherheits-gefängnisses Tora 2 geschlagen worden war, während er Handschellen trug. Nach großem öffentlichen Druck wurde er am 18. Mai 2022 ins Gefängnis Wadi al-Natrun verlegt. Am 2. Oktober 2022 wurde Mohamed al-Baqer ins Gefängnis Badr 1 verlegt. Seine Frau durfte ihn das erste Mal seit zwei Jahren ohne trennende Gitterstäbe zwischen den beiden besuchen. Und nach drei Jahren konnte er das erste Mal wieder Tageslicht sehen.

Gefängnisbehörden, die Inhaftierten jegliche Telefonate während ihrer Inhaftierung verwehren, verstoßen damit gegen Paragraf 38 des ägyptischen Gesetzes 38 396/1956 über Gefängnisse und ebenfalls gegen die Verpflichtungen Ägyptens nach internationalen Menschenrechtsabkommen. Amnesty International hat immer wieder dokumentiert, dass Inhaftierten eine angemessene medizinische Versorgung im Gefängnis verwehrt wird, und hat wiederholt Zweifel an der Unabhängigkeit des medizinischen Personals in ägyptischen Gefängnissen geäußert (das dem Innenministerium untersteht). Es gibt Berichte, dass Gefängnisaufsicht und Sicherheitspersonal sich in die medizinische Beurteilung und Behandlung von Insassen einmischen und Verlegungen Schwerkranker in externe Krankenhäuser verzögern oder verweigern.

Seit der Reaktivierung des präsidialen Begnadigungsausschusses im April 2022 durch den Präsidenten haben die ägyptischen Behörden viele bekannte gewaltlose politische Gefangene und Hunderte aus politischen Gründen Inhaftierte freigelassen. Dennoch sind Tausende weiter willkürlich inhaftiert – und das nur, weil sie friedlich ihre Menschenrechte ausübten, oder nach grob unfairen Gerichtsverfahren oder komplett ohne rechtliche Grundlage. Seit dem 25. Oktober 2022 wurden Dutzende Menschen festgenommen, von der Staatsanwaltschaft befragt und anschließend in Untersuchungshaft genommen wegen ihrer Aufrufe zu friedlichen Protesten während der UN-Klimakonferenz (COP27), die vom 6. bis 18. November 2022 im ägyptischen Sharm-el-Sheik stattfindet.

Seit Beginn der UN-Klimakonferenz haben zahlreiche Menschen die ägyptischen Behörden dazu aufgerufen, Alaa Abdel Fattah freizulassen. Am 8. November drückte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sein Bedauern angesichts der andauernden Inhaftierung von Alaa Abdel Fattah aus und forderte dessen umgehenden Freilassung. Volker Türk forderte die Behörden auch auf, Alaa Abdel Fattah jedwede nötige medizinische Versorgung zukommen zu lassen.