VAE: Massenprozess wegen Terrorismusvorwürfen

Porträt eines Mannes im weissen Umhang und mit einem arabischen Turban

Der Blogger und Menschenrechtsverteidiger Ahmed Mansoor aus den Vereingten Arabischen Emiraten (Archivaufnahme)

Die Menschenrechtler und gewaltlosen politischen Gefangenen Ahmed Mansoor, Mohammed al-Roken und Nasser bin Ghaith stehen gemeinsam mit 81 weiteren Männern in einem neuen Verfahren wegen konstruierter terrorismusbezogener Anklagen vor dem Bundesberufungsgericht in Abu Dhabi. Viele von ihnen wurden nach einem Sammelverfahren im Jahr 2013, das als "VAE 94" bekannt ist, zu Unrecht inhaftiert. Am 7. Februar, dem fünften Verhandlungstag, erklärten die Angeklagten, dass sie weiterhin in Isolationshaft festgehalten werden. Sie bestritten die Darstellung der Staatsanwaltschaft, dass sich der momentan verhandelte Fall von dem unterscheidet, in dem sie 2013 bereits verurteilt worden waren. Doch die genauen Anklagepunkte werden bisher unter Verschluss gehalten.

Appell an

Präsident
Sheikh Mohamed bin Zayed bin Sultan Al Nahyan
c/o Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate
Hiroshimastraße 18 – 20
10785 Berlin


X (ehemals Twitter): @MohamedBinZayed

Sende eine Kopie an

Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate
S.E. Herr Ahmed Alattar 
Hiroshimastraße 18 – 20
10785 Berlin
Fax: 030 – 516 519 00
E-Mail: berlinemb.amo@mofaic.gov.ae

Amnesty fordert:

  • Bitte veranlassen Sie, dass die gewaltlosen politischen Gefangenen Ahmed Mansoor, Mohammed al-Roken und Nasser bin Ghaith freigelassen werden, ebenso wie alle anderen Personen, die willkürlich in Haft sind und sich nur deshalb in dem derzeitigen Sammelverfahren verantworten müssen, weil sie ihre Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit wahrgenommen haben.
  • Ich bitte Sie außerdem, dafür zu sorgen, dass alle Anklagen, die lediglich auf die Ausübung ihrer Menschenrechte zurückzuführen sind, fallen gelassen werden.
  • In der Zwischenzeit fordere ich Sie auf sicherzustellen, dass die Männer unter Bedingungen festgehalten werden, die den internationalen Standards entsprechen, dass sie nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt werden und dass sie unverzüglich und regelmäßig Zugang zu ihren Familien und Rechtsbeiständen sowie zu jeglicher medizinischer Versorgung haben, die sie benötigen.

Sachlage

Ahmed Mansoor, Nasser bin Ghaith, Mohammed al-Roken und 23 weitere gewaltlose politische Gefangene sind Teil einer Gruppe von 84 Männern, gegen die neue konstruierte Vorwürfe erhoben worden sind. Ihr Prozess begann am 7. Dezember 2023 vor der Staatssicherheitskammer des Berufungsgerichts von Abu Dhabi. Die Anklage lautet auf Bildung, Unterstützung und Finanzierung einer "terroristischen Vereinigung". Gemeint ist damit das Komitee für Gerechtigkeit und Würde. Mindestens 66 der Angeklagten in dem laufenden Massenverfahren waren bereits 2013 in einem vorangegangenen Massenverfahren, das als "VAE 94" bekannt ist, wegen desselben Vorwurfs für schuldig befunden worden. 59 der in diesem Fall Inhaftierten werden weiterhin willkürlich festgehalten, obwohl sie ihre Strafe bereits verbüßt haben. Das Komitee für Gerechtigkeit und Würde war mit dem Ziel gegründet worden, die Achtung der Menschenrechte in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) einzufordern.

Nach Angaben von Familienangehörigen klagten die Angeklagten in der vierten Verhandlungssitzung am 11. Januar darüber, dass sie seit Juli 2023 in Isolationshaft gehalten werden. Einige gaben außerdem an, dass sie zusätzlich gefoltert oder anderweitig misshandelt worden seien. Der Richter stimmte zu, dass diese Beschwerden in das Protokoll aufgenommen werden. Einige Angeklagte fügten hinzu, dass sie seit Beginn des Prozesses nur 15 Minuten Zeit hatten, um mit ihren Rechtsbeiständen zu sprechen. 

Die letzte Verhandlung fand am 7. Februar statt, und im Gegensatz zu den vorangegangenen vier Anhörungen durften die Familienangehörigen der Angeklagten endlich den Gerichtssaal betreten, um das Verfahren zu verfolgen. Sie berichteten, dass die Staatsanwaltschaft die "VAE94-Gruppe" beschuldigte, im März 2011 eine Petition initiiert zu haben, in der demokratische Reformen gefordert wurden. Daraufhin antwortete Ahmed Mansoor, dass er derjenige gewesen sei, der sie initiiert und daran gearbeitet hätte. Die nächste Anhörung ist für den 15. Februar anberaumt.

Die Gesamtzahl der Angeklagten in diesem neuen Massenprozess war zunächst mit 87 angegeben worden. Erst am 6. Januar, als die Behörden den Prozess schließlich über die offizielle Nachrichtenagentur WAM ankündigten, wurde ihre Zahl mit 84 bestätigt.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Der bekannte Menschenrechtsanwalt und ehemalige Präsident des Anwaltsverbands Mohammed al-Roken kam am 17. Juli 2012 in Haft. Im Juli 2013 wurde er nach Abschluss des "VAE 94"-Prozesses zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren und einer anschließenden dreijährigen Bewährungszeit verurteilt. Demnach hätte er am 17. Juli 2022 aus der Haft freigelassen werden müssen.

Der Menschenrechtsverteidiger Ahmed Mansoor wurde am 20. März 2017 festgenommen und im Mai 2018 zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er wurde u. a. für schuldig befunden, "den Status und das Ansehen der Vereinigten Arabischen Emirate und deren Symbole beleidigt" zu haben, einschließlich der politischen Führung. Seit seiner Festnahme wird er in Einzelhaft gehalten. Bis zu seiner Festnahme war er die einzige unabhängige Stimme in den VAE, die sich nach dem Massenprozess von 2013 weiterhin gegen Menschenrechtsverletzungen im Land aussprach.

Der Menschenrechtsverteidiger Nasser bin Ghaith wurde am 29. März 2017 vor dem Berufungsgericht in Abu Dhabi zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er wurde unter anderem wegen "Veröffentlichung falscher Informationen" über die Führung der Vereinigten Arabischen Emirate und ihre Politik schuldig gesprochen, weil er in Kommentaren auf X (ehemals Twitter) erklärt hatte, dass ein früherer Prozess gegen ihn und vier andere Personen unfair gewesen sei. Während seines Prozesses im Jahr 2017 schränkten die Behörden den Zugang zu seinem Rechtsbeistand ein, sodass er sich nicht angemessen auf seine Verteidigung vorbereiten konnte.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN – Fortsetzung (Auf Englisch)

Multiple gross violations of the defendants’ fair trial rights have been observed since the beginning of the new mass trial on 7 December 2023, including authorities directing witness testimony, failure to disclose key details such as the exact charges or what articles of the law are being used to bring the charges, restrictions on lawyers sharing documents relating to the case with the defendants and their families, and barring family members from attending hearings during the trial. During the second court session on 14 December 2023, family members of the defendants were taken to a separate room to watch the proceedings on a screen; there was no sound, preventing them from hearing proceedings. Following the families’ protests, they were finally allowed to attend the court proceeding inside the court room on 7 February 2024. According to a family member, all the defendants were shackled, and the trial session started at 10am and ended at 3pm. As the judge was about to adjourn the session until the next day as scheduled, Mohammed al-Roken requested that it be postponed for the next week as Al-Razeen prison is situated three hours’ drive from the court in Abu Dhabi, meaning that defendants are woken up at midnight to be prepared for their transfer. 

On 19 January 2024 a number of United Nations experts said that "[they] are extremely concerned that the new charges brought against at least 84 members of civil society, including human rights defenders, activists and political dissidents, under the 2014 Counter-Terrorism Law violate international prohibitions on double jeopardy and retroactive criminal law." Double jeopardy refers to the legal principle that a defendant cannot be charged a second time with an offence if they have already been acquitted of that offence.

By 2014, the UAE effectively succeed in shutting down the limited space that had existed for dissent in the country by arbitrarily detaining scores of Emirati nationals, including dozens who had signed a March 2011 petition for democratic reform addressed to the country’s rulers. In 2013, after a grossly unfair mass trial of 94 defendants, known as the UAE94, 69 people were convicted and sentenced to between seven and 15-year prison terms, scores of them for their demands for reform and democracy. Under UAE law at the time, the judgement was final and not subject to appeal, in violation of international law. Of the 69 men sentenced, five received a seven-year prison sentence, 56 a 10-year prison sentence and eight were sentenced to 15 years in their absence. Fifty-nine of those imprisoned in the case remain arbitrarily detained after completing their sentences.