Tunesien: Ex-Minister unter Anklage

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Porträtfoto von Noureddine Bhiri, der eine Brille trägt und in die Kamera lächelt. Im Hintergrund hängt die tunesische Flagge an der Wand.

Der ehemalige tunesische Justizminister Noureddine Bhiri (undatiertes Foto)

Am 16. April bestätigte die Strafkammer des Berufungsgerichts in Tunis die Anklage gegen Noureddine Bhiri, einen ehemaligen Justizminister und führendes Mitglied der Oppositionspartei Ennahdha. Er muss sich nun vor Gericht verantworten wegen des Versuchs, "einen Wechsel der Staatsform herbeizuführen". Noureddine Bhiri steht wegen Verstoßes gegen Paragraf 72 des Strafgesetzbuchs unter Anklage. Ein solcher Verstoß kann mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Grundlage der Anschuldigungen gegen Noureddine Bhiri ist ein Beitrag in den Sozialen Medien, den er seinen Angaben zufolge nicht geschrieben hat. Dies wurde auch von einem*r von der Anklagebehörde bestellten Sachverständigen bestätigt. Seit seiner Festnahme am 13. Februar 2023 befindet sich Noureddine Bhiri im Gefängnis Mornaguia in Untersuchungshaft.

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Exzellenz,

der ehemalige Justizminister und hochrangige Parteifunktionär der Ennahdha, Noureddine Bhiri, ist nach wie vor willkürlich inhaftiert. Er wird aktuell unter politisch motivierten Anschuldigungen wegen eines nicht von ihm verfassten Beitrags in den Sozialen Medien festgehalten. Am 13. Februar 2023 nahmen Sicherheitskräfte Noureddine Bhiri ohne offiziellen Haftbefehl in seinem Haus in Tunis gewaltsam fest. Seine ebenfalls anwesende Frau gab an, dass Sicherheitskräfte Noureddine Bhiri geschlagen und ihn dadurch schwer verletzt hätten.  Noureddine Bhiri ist Diabetiker und leidet unter hohem Blutdruck. Für beide Krankheiten nimmt er normalerweise regelmäßig Medikamente ein. Seine Gesundheit ist in Gefahr.

Am 14. Februar 2023 wurde Noureddine Bhiri einem*r Ermittlungsrichter*in in Tunis vorgeführt und angeklagt, gemäß Paragraf 72 des Strafgesetzbuchs "versucht zu haben, einen Wechsel der Staatsform herbeizuführen; bzw. die Menschen dazu aufzurufen, mit Waffen gegeneinander vorzugehen; bzw. Unruhen, Mord oder Plünderungen auf tunesischem Boden zu provozieren". Die Anschuldigungen stehen im Zusammenhang mit öffentlichen Beiträgen auf Facebook. Bei der Befragung durch den*die Untersuchungsrichter*in bestritt Noureddine Bhiri wiederholt, den Beitrag in den Sozialen Medien verfasst zu haben. Auch ein*e von der Anklagebehörde bestellte*r technische*r Sachverständige*r kam zu dem Schluss, dass der Beitrag nicht vom Angeklagten verfasst wurde. Das Berufungsgericht wies die Rechtsmittel von Noureddine Bhiri zurück. Damit steht er jetzt wegen eines Beitrags in den Sozialen Medien vor Gericht, den er gar nicht verfasst hat. Doch selbst wenn Noureddine Bhiri der Verfasser des Beitrags gewesen wäre, hätte er gar nicht erst inhaftiert oder strafrechtlich verfolgt werden dürfen. Bei dem von Amnesty International überprüften Beitrag handelt es sich um eine Form der freien Meinungsäußerung, die durch internationale Menschenrechtsnormen geschützt ist, einschließlich Artikel 9 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker und Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, zu deren Vertragsstaaten Tunesien gehört.

Lassen Sie Noureddine Bhiri bitte umgehend frei und lassen Sie alle konstruierten Vorwürfe gegen ihn fallen. 

Sorgen Sie bis zu seiner Freilassung bitte dafür, dass er jede erforderliche medizinische Behandlung erhält und regelmäßig Besuch von seiner Familie und seinen Rechtsbeiständen empfangen darf.

Außerdem fordere ich Sie auf, die gezielte Festnahme von Kritiker*innen wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte, zu denen auch die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung gehören, einzustellen.

Hochachtungsvoll

Your Excellency,

I write to you express my grave concern about the prolonged arbitrary detention of ex-justice minister and senior Ennahdha official Noureddine Bhiri, now held on politically motivated charges over a social media post he did not write. On 13 February 2023, security forces violently arrested Noureddine Bhiri while he was at his home in Tunis without providing an official warrant. According to his wife, who witnessed the incident, security forces subjected Noureddine Bhiri to beatings which to led to grave injuries. On 15 February, he had to be transported to Charles Nicolle hospital in Tunis to undergo a surgical operation for over four hours on his shoulder according to a medical report consulted by Amnesty International. Following his arrest, Noureddine Bhiri also experienced respiratory issues and had to be transported to the Rabta hospital where was hospitalized for four days in the resuscitation service from 25 February 2023 to 1 March. Doctors discovered that he had four fractured ribs on his left side also according to a medical report shared with Amnesty International. 

On 14 February, Noureddine Bhiri appeared before a Tunis court investigating judge who charged him with trying to "change the form of the government; or inciting people to take up arms against one another; or provoking disorder, murder, or pillage on Tunisian soil," punishable by death under Article 72 of the Penal Code. The charges are related to public remarks made on Facebook. When questioned by the investigative judge, Noureddine Bhiri repeatedly denied that he had written the social media post. Additionally, the technical expert requested by the accusation chamber concluded that the post was not written by the defendant. The Court of Cassation rejected his appeals and now he will now stand trial for the social media post that he did not write. Yet even if Noureddine Bhiri had been the author of the post, he should have never been detained or prosecuted in the first place. The post, reviewed by Amnesty International, is a form of freedom of expression, which is protected under international human rights law, including Article 9 of the African Charter on Human and Peoples’ Rights and Article 19 of the International Covenant on Civil and political rights (ICCPR) to which Tunisia is a state party. 

I urge you to immediately release Noureddine Bhiri and drop all bogus charges against him. Pending his release, I urge you to ensure that he receives any medical treatment he may require and continue to allow him regular visits from his family and lawyers. Moreover, I call on you to cease your targeted arrests of critics for the peaceful exercise of their human rights including the rights to freedom of expression, peaceful assembly.

Yours sincerely,

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Appell an

Kais Saied
Président
Route de la Goulette
Site archéologique de Carthage
TUNESIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Tunesischen Republik
S. E. Herrn Wacef Chiha
Lindenallee 16
14050 Berlin

Fax: 030-3082 06 83
E-Mail: at.berlin@tunesien.tn

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie Noureddine Bhiri bitte umgehend frei und lassen Sie alle konstruierten Vorwürfe gegen ihn fallen. 
  • Sorgen Sie bis zu seiner Freilassung bitte dafür, dass er jede erforderliche medizinische Behandlung erhält und regelmäßig Besuch von seiner Familie und seinen Rechtsbeiständen empfangen darf.
  • Außerdem fordere ich Sie auf, die gezielte Festnahme von Kritiker*innen wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte, zu denen auch die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung gehören, einzustellen.

Sachlage

Der ehemalige Justizminister und hochrangige Parteifunktionär der Ennahdha, Noureddine Bhiri, ist nach wie vor willkürlich inhaftiert. Er wird aktuell unter politisch motivierten Anschuldigungen wegen eines nicht von ihm verfassten Beitrags in den Sozialen Medien festgehalten. Am 13. Februar 2023 nahmen Sicherheitskräfte Noureddine Bhiri ohne offiziellen Haftbefehl in seinem Haus in Tunis gewaltsam fest. Seine ebenfalls anwesende Frau gab an, dass Sicherheitskräfte Noureddine Bhiri geschlagen und ihn dadurch schwer verletzt hätten. Am 15. Februar 2023 musste er ins Charles-Nicolle-Krankenhaus in Tunis gebracht werden, wo er nach einem Amnesty International vorliegenden medizinischen Bericht mehr als vier Stunden an der Schulter operiert wurde. Nach seiner Festnahme litt Noureddine Bhiri auch unter Atemproblemen und musste ins Krankenhaus La Rabta gebracht werden, wo er vier Tage lang, vom 25. Februar bis zum 1. März 2023, auf der Intensivstation verbrachte. Wie aus einem medizinischen Bericht hervorgeht, der ebenfalls Amnesty International vorliegt, wurden dort vier gebrochene Rippen auf seiner linken Körperseite diagnostiziert. Noureddine Bhiri ist Diabetiker und leidet unter hohem Blutdruck. Für beide Krankheiten nimmt er normalerweise regelmäßig Medikamente ein. Seine Gesundheit ist in Gefahr.

Am 14. Februar 2023 wurde Noureddine Bhiri einem*r Ermittlungsrichter*in in Tunis vorgeführt und angeklagt, gemäß Paragraf 72 des Strafgesetzbuchs "versucht zu haben, einen Wechsel der Staatsform herbeizuführen; bzw. die Menschen dazu aufzurufen, mit Waffen gegeneinander vorzugehen; bzw. Unruhen, Mord oder Plünderungen auf tunesischem Boden zu provozieren". Die Anschuldigungen stehen im Zusammenhang mit öffentlichen Beiträgen auf Facebook. Bei der Befragung durch den*die Untersuchungsrichter*in bestritt Noureddine Bhiri wiederholt, den Beitrag in den Sozialen Medien verfasst zu haben. Auch ein*e von der Anklagebehörde bestellte*r technische*r Sachverständige*r kam zu dem Schluss, dass der Beitrag nicht vom Angeklagten verfasst wurde. Das Berufungsgericht wies die Rechtsmittel von Noureddine Bhiri zurück. Damit steht er jetzt wegen eines Beitrags in den Sozialen Medien vor Gericht, den er gar nicht verfasst hat. Doch selbst wenn Noureddine Bhiri der Verfasser des Beitrags gewesen wäre, hätte er gar nicht erst inhaftiert oder strafrechtlich verfolgt werden dürfen. Bei dem von Amnesty International überprüften Beitrag handelt es sich um eine Form der freien Meinungsäußerung, die durch internationale Menschenrechtsnormen geschützt ist, einschließlich Artikel 9 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker und Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, zu deren Vertragsstaaten Tunesien gehört. 

Hintergrundinformation

Hintergrund

Noureddine Bhiri ist führendes Mitglied von Ennahda, der größten tunesischen Oppositionspartei, und ehemaliger Justizminister, der von 2011 bis 2013, nach der Amtsenthebung von Präsident Zine el Abidine Ben Ali und nach den Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung, in der Koalitionsregierung tätig war. Er ist Anwalt und Mitglied der tunesischen Anwaltskammer und war zudem lange Vizepräsident von Ennahda, eine politische Partei, die vor dem 25. Juli 2021 die Mehrheit im Parlament innehatte. Damals wurde die Partei von Präsident Kais Saied unter Berufung auf Notstandsbefugnisse gemäß Artikel 80 der Verfassung suspendiert. Seit der Parlamentsauflösung im Juli 2021 kritisiert die Partei Präsident Saieds Machtkonzentration und bezeichnet diesen Schritt als "Putsch". 

Die Festnahme von Noureddine Bhiri am 13. Februar 2023 und seine anschließende Inhaftierung gehen auf kritische Online-Kommentare zurück, die er nach Angaben der Behörden am 8. Januar 2023 auf seiner privaten Facebook-Seite gepostet hatte. Ungefähr zur selben Zeit fand eine Demonstration statt, die von Mitgliedern der oppositionellen Nationalen Erlösungsfront (NSF) organisiert worden war. In dem Beitrag ruft Noureddine Bhiri zum "friedlichen Widerstand gegen den Putsch" auf. Weiter heißt es darin, dass "die Menschen keine Angst vor dem Putsch haben sollten und dass sie Führung brauchen". Gemäß internationaler Menschenrechtsnormen fällt der Facebook-Post unter das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Verbot willkürlicher Inhaftierung sind völkerrechtlich verankert, unter anderem im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker, deren Vertragsstaat Tunesien ist.

Noureddine Bhiri wurde bereits zuvor willkürlich festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Am 31. Dezember 2021 wurden er und Fathi Beldi, ein ehemaliger Beamter des Innenministeriums, von Männern in Zivil festgenommen und zwei Tage lang an einem unbekannten Ort festgehalten. Anschließend wurden beide Männer von den Behörden unter Hausarrest gestellt. Am 7. März 2022 hob das Innenministerium den Hausarrest auf. Letztendlich erhoben die tunesischen Behörden keine offizielle Anklage gegen die beiden Männer. 

Am 25. Juli 2021 löste Präsident Kais Saied das Parlament auf und berief sich dabei auf Notstandsbefugnisse aus der Verfassung von 2014. Seither sind gegen mindestens 74 Oppositionelle und andere vermeintliche Gegner*innen des Präsidenten strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Darunter befinden sich mindestens 44 Personen, denen in Verbindung mit der friedlichen Wahrnehmung ihrer Menschenrechte Straftaten vorgeworfen werden.