Tadschikistan: Aus Deutschland abgeschoben, jetzt verurteilt

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In Gefahr in Tadschikistan gefoltert zu werden: Abdullohi Shamsiddin

Am 18. Januar 2023 wurde Abdullohi Shamsiddin von Deutschland nach Tadschikistan abgeschoben. Dort fiel er zunächst dem Verschwindenlassen zum Opfer, später wurde er vom Komitee für Staatssicherheit (GKNB) in Einzelhaft festgehalten. Seine Verfolgung beruht auf seiner mutmaßlichen Mitgliedschaft in der in Tadschikistan willkürlich verbotenen Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans (IRPT) und seiner Beziehung zu einem führenden Mitglied der Partei. Berichten zufolge soll ihn ein Gericht in Duschanbe am 29. März 2023 wegen "öffentlicher Aufrufe zur gewaltsamen Störung der verfassungsmäßigen Ordnung der Republik Tadschikistan" schuldig gesprochen und zu sieben Jahren Haft verurteilt haben. Sein genauer Aufenthaltsort ist weiter unbekannt und er bleibt in Gefahr, gefoltert und anderweitig misshandelt zu werden.

Appell an

President of the Republic of Tajikistan

Emomali Rahmon

Executive Office of the President

Rudaki Avenue, 80

Dushanbe 734001

TADSCHIKISTAN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Tadschikistan

S.E. Herrn Imomudin Sattorov

Perleberger Straße 43

10559 Berlin

Fax: 030 – 347 930 29

E-Mail: info@botschaft-tadschikistan.de

 

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf, alle notwendigen Schritte einzuleiten, um den Verbleib von Abdullohi Shamsiddin unverzüglich aufzuklären und sicherzustellen, dass er nicht der Folter und anderen Formen der Misshandlung ausgesetzt ist. Außerdem muss ihm der Kontakt zu seinen Angehörigen ermöglicht werden.
  • Abdullohi Shamsiddin muss entweder umgehend freigelassen oder einer international als Straftat anerkannten Handlung angeklagt werden. In diesem Fall muss er ein faires Gerichtsverfahren nach internationalen Standards erhalten, einschließlich des Rechts auf eine öffentliche Anhörung und auf den ungehinderten Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl.

Sachlage

Der tadschikische Staatsangehörige Abdullohi Shamsiddin sollte nach seiner Abschiebung aus Deutschland am 19. Januar 2023 in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe ankommen. Doch Berichten zufolge wurde er direkt nach seiner Ankunft von Angehörigen des tadschikischen Komitees für Staatssicherheit (GKNB) festgenommen. Er fiel zunächst dem Verschwindenlassen zum Opfer, später wurde er in Einzelhaft festgehalten. Human Rights Watch zufolge soll ihn ein Gericht in Duschanbe am 29. März 2023 nach einem unfairen Gerichtsverfahren wegen "öffentlicher Aufrufe zur gewaltsamen Störung der verfassungsmäßigen Ordnung der Republik Tadschikistan" gemäß Paragraf 307 des Strafgesetzbuches schuldig gesprochen und zu sieben Jahren Haft verurteilt haben – allein wegen der Ausübung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung. Prozessbeobachter*innen gaben an, dass die einzigen vorgelegten Beweise Fotos auf seinem Mobiltelefon sowie sogenannte "Likes" waren, mit denen in den Sozialen Medien Zustimmung bekundet wird. Die Medien berichteten, dass die Teilnahme von Abdullohi Shamsiddin an einer Protestveranstaltung sowie einige "Likes" zur Kommentierung von Social-Media-Beiträgen im Gerichtsprozess eine wichtige Rolle gespielt hätten. Es gab keine verfahrensrechtlichen Garantien und die Behörden haben weder den Verbleib von Abdullohi Shamsiddin noch das Gerichtsurteil offiziell bestätigt.

Berichten zufolge schüchterten Mitarbeiter*innen tadschikischer Sicherheitsbehörden Menschen ein, die in Deutschland gegen die Abschiebung von Abdullohi Shamsiddin protestierten, indem sie in Tadschikistan Druck auf die Angehörigen der Protestierenden ausübten.

Amnesty International geht davon aus, dass Abdullohi Shamsiddin wegen seiner Verbindung zu einem führenden Mitglied der Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans (IRPT) verfolgt wird, die im Jahr 2015 willkürlich von den tadschikischen Behörden verboten wurde.

Abdullohi Shamsiddin hat zwei kleine Kinder und arbeitete vor seiner Abschiebung in Dortmund. Nach Angaben seiner Familie leidet er an schwerem Asthma.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Vor seiner Verurteilung hat Deutschland Abdullohi Shamsiddin internationalen Schutz verweigert. Er wurde am 18. Januar 2023 von Düsseldorf über die Türkei abgeschoben. Nach Angaben des norwegischen Helsinki-Komitees haben die Familienangehörigen, die am 19. Januar 2023 auf Abdullohi Shamsiddins Ankunft in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe warteten, nicht gesehen, wie er den Flughafen verließ. Personen, die Abdullohi Shamsiddin nahe stehen, berichteten im Vertrauen, dass er vermutlich bei seiner Ankunft noch auf der Landebahn von Angehörigen des tadschikischen Komitees für Staatssicherheit (GKNB) festgenommen wurde. Er fiel dem Verschwindenlassen zum Opfer und wurde anschließend in einem Untersuchungsgefängnis in Duschanbe in Einzelhaft festgehalten.

Abdullohi Shamsiddin gibt an, selbst ein Aktivist der Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans (IRPT) gewesen zu sein und eng mit dem Vorsitzenden der Partei, Muhiddin Kabiri, befreundet zu sein. Er ist der Sohn von Shamsiddin Saidov (in einigen tadschikischen Namenskonventionen nimmt der Sohn den Vornamen des Vaters als Nachnamen an), einem führenden Mitglied der IRPT. Shamsiddin Saidov lebt seit 2014 in Deutschland und wurde 2017 als Flüchtling anerkannt. Die IRPT war jahrelang die wichtigste Oppositionspartei Tadschikistans und im tadschikischen Parlament vertreten, bis sie 2015 willkürlich verboten und zu einer "terroristischen" Organisation erklärt wurde. Auf das Verbot hin nahmen die Behörden zahlreiche führende Mitglieder der Partei fest und inhaftierten sie nach unfairen Gerichtsverfahren. Personen, die mit der Partei und ihrem Vorsitz in Verbindung stehen, werden von den tadschikischen Behörden sowohl in Tadschikistan als auch im Ausland verfolgt, festgenommen und ausgeliefert. Auch die Rechtsbeistände der Partei sind zum Ziel drastischer Vergeltungsmaßnahmen geworden, darunter langjährige Haftstrafen nach konstruierten Anklagen.

Aus Angst vor den Vergeltungsmaßnahmen der tadschikischen Behörden, die die Mitglieder der IRPT auch im Ausland verfolgen, hatte Abdullohi Shamsiddin 2009 bei seinem ersten Antrag auf Asyl in Deutschland seine wahre Identität und die Beziehung zu seinem Vater, Shamsiddin Saidov, verschwiegen. Dieser Antrag wurde im Jahr 2011 abgelehnt. Ein Folgeantrag wurde 2017 eingereicht und 2021 vor Gericht abgelehnt. Am 12. Dezember 2022 war bereits ein Versuch, ihn über den Münchner Flughafen abzuschieben, gescheitert, weil Abdullohi Shamsiddin in Panik geriet und sich absichtlich selbst verletzt hatte, um die Abschiebung zu verhindern. Nach dem Vorfall kam er in Abschiebehaft.

Am 29. Dezember 2022 sagte Abdullohi Shamsiddin in einem Zeitungsartikel: "In Tadschikistan werde ich festgenommen, sobald ich das Flugzeug verlasse — und danach für 20 Jahre im Gefängnis verschwinden." Internationale Organisationen, darunter das norwegische Helsinki-Komitee, Human Rights Watch und das deutsche Abschiebungsreporting NRW, hatten bereits davor gewarnt, dass Abdullohi Shamsiddin im Falle einer Abschiebung nach Tadschikistan Haft und Folter drohen. Trotzdem lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) am 21. Dezember 2022 einen weiteren Asylfolgeantrag innerhalb kurzer Zeit ab.

Am 6. Januar 2023 entschied das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen mit folgender Begründung gegen die Aussetzung der Abschiebung: "Es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass er im Falle einer Rückführung in sein Herkunftsland aufgrund seiner besonderen individuellen Situation einer Ausnahmesituation im Sinne des dritten Artikels der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten [Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen] ausgesetzt wäre." Am 18. Januar 2023 weigerte sich dasselbe Gericht, die laufende Abschiebung (im Transit) zu stoppen und erkannte die Glaubwürdigkeit neu vorgelegter Beweise nicht an. Darunter befand sich ein privat durchgeführter Vaterschaftstest, der die Verwandtschaft zwischen Shamsiddin Saidov und Abdullohi Shamsiddin nachweist, und die Aussage eines tadschikischen Geflüchteten, der gestanden hatte, 2019 in Tadschikistan, als er selbst gefoltert worden war, Abdullohi Shamsiddin identifiziert und seinen Aufenthaltsort preisgegeben zu haben.

Die tadschikischen Sicherheitsbehörden nehmen regelmäßig Dissident*innen und Oppositionelle sowie deren Familienangehörige und Vertraute ins Visier. Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen während der Verhöre durch verschiedene Sicherheitsbehörden, insbesondere durch das Komitee für Staatssicherheit und die so genannte Sechste Abteilung des Innenministeriums, sind in Tadschikistan üblich, um "Geständnisse" zu erzwingen, an Informationen zu gelangen und bestimmte Personen zu belasten. Zu den mutmaßlich von den tadschikischen Sicherheitsbehörden genutzten Foltermethoden gehören das Stechen von Nadeln in die Nägel, Elektroschocks, Schläge, sexualisierte Gewalt, Schlafentzug, das Erzeugen von Erstickungsgefühlen mit Plastiktüten und die Injektion von Drogen.