Slowenien: Protestierende sollen Polizeieinsatz bezahlen

Diese Urgent Action ist beendet

Die zivilrechtlichen Verfahren gegen den slowenischen Theaterregisseur Jaša Jenull wurden nach den jüngsten Wahlen und dem Regierungswechsel in Slowenien eingestellt. In den Verfahren ging es um eine behördliche Zahlungsaufforderung an Jaša Jenull: Er hatte 2020 an Protesten teilgenommen und sollte für den damit verbunden Polizeieinsatz zahlen. Der Regisseur ist einer von mehreren friedlichen Protestierenden, die aufgefordert wurden, die extrem hohen Kosten für die Polizeieinsätze während der Demonstrationen zu übernehmen, und gegen die deshalb Gerichtsverfahren liefen. Derartige Zahlungsaufforderungen wirken bestrafend und zielen darauf ab, Menschen ruhigzustellen, die lediglich ihre grundlegenden Rechte ausüben wollen. Von Teilnehmer*innen zu verlangen, dass sie für die Kosten der Polizeieinsätze aufkommen, stellt eine Verletzung des Rechts auf friedliche Versammlung dar.

Das Bild zeigt das Porträtfoto eines Mannes mit Brille

Der slowenische Theaterregisseur Jaša Jenull

Der slowenische Theaterregisseur Jaša Jenull soll die Kosten eines Polizeieinsatzes in Höhe von fast 35.000 Euro tragen. Er hatte im Jahr 2020 an Demonstrationen teilgenommen und gegen die Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung demonstriert, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie veranlasst worden waren. Die Forderung nach Übernahme dieser Kosten und Gerichtsverfahren gegen Jaša Jenull und andere friedliche Protestierende kommen Sanktionen gleich. Sie sollen Menschen davon abhalten ihre Menschenrechte wahrzunehmen. Von Teilnehmer_innen einer friedlichen Versammlung zu verlangen, für die damit verbundenen Polizeikosten aufzukommen, verletzt das Recht auf friedliche Versammlung. Die slowenischen Behörden müssen ihre Forderung nach Rückerstattung zurücknehmen und aufhören, gegen friedliche Protestierende Geldstrafen zu verhängen.

Appell an

Prime Minister Janez Janša

Office of the Prime Minister

Gregorčičeva ulica 20-25


1000 Ljubljana

SLOWENIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Slowenien

S.E. Herrn Franc But

Hausvogteiplatz 3-4

10117 Berlin

Fax: 030-20 61 45 70

E-Mail: sloembassy.berlin@gov.si

Amnesty fordert:

Sachlage

Die Strafmaßnahmen, die von den slowenischen Behörden gegen Menschen ergriffen werden, die sich friedlichen Protesten anschließen, sind besorgniserregend. Das gilt insbesondere für die extrem hohen Forderungen bei der Übernahme von Kosten durch die Protestierenden, die durch den Polizeieinsatz bei diesen Protesten entstehen.

Am 3. März erhielt der Theaterregisseur Jaša Jenull von der Staatsanwaltschaft eine "Zahlungsaufforderung zur Vermeidung einer Klage" in Höhe von knapp 35.000 Euro. Diese Summe soll die Kosten für einen Polizeieinsatz auf einer Demonstration in Ljubljana decken, die am 19. Juni 2020 stattfand und an der er teilnahm. Die Demonstration richtete sich gegen die Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung, die im Rahmen der Coronapandemie veranlasst worden waren. Ihm wurde eine Zahlfrist bis zum 1. April 2022 gesetzt. Sollte er bis dahin nicht bezahlen, werden die slowenischen Behörden am darauffolgenden Tag ein zivilrechtliches Verfahren gegen ihn einleiten.

Dies ist nicht die erste Forderung nach Übernahme der Kosten für einen Polizeieinsatz. Gegen Jaša Jenull läuft ein weiteres zivilrechtliches Verfahren und eine Forderung nach Erstattung von mehr als 6000 Euro. Insgesamt betragen die finanziellen Forderungen der Behörden an Jaša Jenull also über 40.000 Euro. Die slowenischen Behörden haben angekündigt, dass sie Kosten für Polizeiarbeit in Höhe von bis zu 970.000 Euro von Protestierenden zurückfordern wollen. Bis jetzt laufen 28 dieser Forderungen mit einem Gesamtbetrag von knapp 270.000 Euro.

Offenbar wird Jaša Jenull wegen seines friedlichen Aktivismus sowie der Wahrnehmung der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung ins Visier genommen. Die jüngste Forderung sowie das schon eingeleitete Gerichtsverfahren stellen eine Verletzung seiner Menschenrechte dar. Die Behörden scheinen die Absicht zu haben, seinen Aktivismus zu unterbinden, indem er gezwungen wird, seine Zeit und Energie auf seine Verteidigung vor Gericht zu konzentrieren.

Es verletzt das Recht auf friedliche Versammlung, von Teilnehmer_innen und Organisator_innen friedlicher Demonstrationen zu verlangen, für die Polizeikosten aufzukommen oder sich daran zu beteiligen. Gemäß regionalen und internationalen Menschenrechtsstandards ist Slowenien dazu verpflichtet, Demonstrationen, auch spontane Versammlungen, zu gestatten und zu ermöglichen. Dazu gehört auch, angemessene öffentliche Leistungen wie Sicherheitskräfte, Reinigungsdienste und erste Hilfe bereitzustellen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 3. März 2022 erhielt der Aktivist und Theaterregisseur Jaša Jenull von der slowenischen Staatsanwaltschaft eine "Zahlungsaufforderung zur Vermeidung einer Klage" in Höhe von 34.340,56 Euro. Damit sollen die Kosten für einen Polizeieinsatz bei einem Sit-In am 19. Juni 2020 auf dem Platz der Republik in Ljubljana gedeckt werden, bei dem Jaša Jenull mit mehreren Dutzenden weiteren Teilnehmenden die slowenische Verfassung verlas. Mit dieser Aktion wollten die Aktivist_innen gegen die Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung im Zuge der Corona-Maßnahmen protestieren. Später wurde breit darüber berichtet, dass die Polizei gewaltsam gegen die Demonstrierenden vorging, die den Platz nicht freiwillig verlassen wollten. Auf die öffentliche Verlesung der Verfassung folgte weiterer Protest.

Die slowenischen Behörden strengen eigenen Angaben zufolge Zivilklagen gegen Demonstrierende an, in denen es um eine Kostenübernahme in Höhe von insgesamt 972.166 Euro geht. Diese Zahlen wurden bei einer Sitzung des parlamentarischen Innen- und Justizausschusses am 4. Oktober 2021 vorgelegt. Nach Informationen, die Amnesty International von der Staatsanwaltschaft erhielt, sind bis heute 28 Anträge auf Kostenübernahme für Polizeieinsätze in Höhe von 269.778,48 Euro bearbeitet worden.

Amnesty International ist besorgt über die zahlreichen Maßnahmen, die die slowenischen Behörden in den letzten Jahren ergriffen haben, um Proteste einzuschränken. Dazu gehören die Verhängung von Bußgeldern, Einschüchterungen, die Schließung öffentlicher Plätze sowie die Verhängung eines monatelangen generellen Verbots aller Protestveranstaltungen im Zuge von Corona-Maßnahmen. Allein gegen Jaša Jenull wurden über 10.000 Euro an Bußgeldern für geringfügige Vergehen im Zusammenhang mit Protesten verhängt (zusätzlich zu den Forderungen für die Polizeieinsätze in Höhe von über 40.000 Euro). Seit Mai 2020 führte die Polizei stichprobenartige Personenkontrollen durch, nahm friedliche Demonstrierende fest und verhängte Geldstrafen gegen sie, nur weil sie regierungskritische Plakate trugen. Außerdem wurden mehrere Gerichtsverfahren gegen sie eingeleitet. Im November 2020 erhöhten die Behörden die Geldstrafen für die Organisierung öffentlicher Versammlungen erheblich. Hintergrund war ein generelles Versammlungsverbot, das von Oktober 2020 bis April 2021 galt – mit Ausnahme einer zwölftägigen Unterbrechung, während der Proteste von maximal zehn Personen erlaubt waren. Im Juli 2021 entschied das Verfassungsgericht, dass die Entscheidung der Regierung, öffentliche Versammlungen zu verbieten und die Zahl von Demonstrierenden zu begrenzen, verfassungswidrig ist und einen unverhältnismäßigen Verstoß gegen die Menschenrechte darstellt.

Die Behörden begründen ihre Forderung nach Erstattung der Kosten für Polizeieinsätze damit, dass die fraglichen Proteste zuvor nicht angemeldet worden waren. Nach Angaben der Polizei erforderte die fehlende Anmeldung zusätzliche Ressourcen, um die öffentliche Sicherheit gewährleisten zu können. Doch die Berufung auf eine fehlende Anmeldung zur Verhängung finanzieller Sanktionen ist ein unzulässiger Eingriff in das Recht auf friedliche Versammlung und verstößt gegen internationale und regionale Menschenrechtsstandards. Darüber hinaus ist es besorgniserregend, dass einige Personen, die in der Öffentlichkeit präsenter sind als andere – wie Jaša Jenull, der wiederholt Behauptungen zurückgewiesen hat, er sei der Organisator der Proteste – von den Behörden besonders ins Visier genommen werden, um andere Demonstrierende einzuschüchtern.

Das Recht auf friedliche Versammlung ist in verschiedenen internationalen Menschenrechtsverträgen verankert, deren Vertragsstaat Slowenien ist; so zum Beispiel im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und in der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Staaten sind verpflichtet, das Recht auf friedliche Versammlung aktiv zu fördern. Dies erfordert auch die Bereitstellung benötigter Dienstleistungen, deren Kosten nicht von den Organisator_innen oder den Teilnehmenden getragen werden sollten. Die Anforderung, dass Organisator_innen oder Teilnehmer_innen die Kosten für Polizei- oder Sicherheitskräfte, medizinische Versorgung oder Reinigung übernehmen oder sich daran beteiligen sollten, ist für die Ausübung dieses Rechts ein Hindernis. Auf diejenigen, die ihre Rechte wahrnehmen wollen, könnte das abschreckend wirken.

Die Pflicht, friedliche Proteste zu ermöglichen, gilt auch für spontane Versammlungen. Selbst wenn innerstaatliche Rechtsvorschriften vorsehen, dass eine Versammlung vorab bei den Behörden angemeldet werden muss, muss die Polizei für deren reibungslosen Ablauf sorgen, solange sie friedlich verläuft. Das gilt auch, wenn sich Menschen spontan dazu entschließen, ihre Ansichten auf die Straße zu tragen. Das Versäumnis, eine Versammlungsabsicht bei den Behörden anzumelden, darf eine ansonsten friedliche Versammlung nicht als rechtswidrig erklären und sollte auch nicht als Rechtfertigung für ihre Auflösung dienen.