Russland/Ukraine: Spanier in russischer Haft "verschwunden"

Der Spanier Mariano García Calatayud wurde von russischen Behörden in der ukrainischen Stadt Cherson willkürlich inhaftiert.

Der Spanier Mariano García Calatayud wurde von russischen Behörden in der ukrainischen Stadt Cherson willkürlich inhaftiert.

Der Spanier Mariano García Calatayud ist dem Verschwindenlassen durch die russischen Behörden zum Opfer gefallen. Er war als humanitärer Helfer tätig und wurde 2022 aus der ukrainischen Stadt Cherson verschleppt und daraufhin ohne Anklage oder Kontakt zur Außenwelt auf der besetzten Krim festgehalten. Das letzte Paket, das für ihn im September über das Online-System des Gefängnisses bestellt wurde, kam mit dem Vermerk zurück, dass er nicht unter den Insassen sei. Die russischen Behörden geben an, seinen Verbleib nicht zu kennen und behaupten, dass er die Krim am 1. Juni 2023 verlassen habe. Sein Leben ist möglicherweise in großer Gefahr.

Appell an

Generalstaatsanwalt
Krasnov Igor Viktorovich
Prosecutor General of the Russian Federation
ul. Bolshaya Dmitrovka, 15a, str. 1, GSP-3
Moscow, 125993
RUSSISCHE FÖDERATION

Sende eine Kopie an

Botschaft der Russischen Föderation 
S. E. Herrn Sergej J. Netschajew
Unter den Linden 63-65, 10117 Berlin
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@russische-botschaft.de

 

Amnesty fordert:

  • Geben Sie bitte umgehend Informationen über das Schicksal und den Verbleib von Mariano García Calatayud bekannt, u. a. wer ihn wo festhält und was sein Status ist, und lassen Sie ihn Kontakt zu seiner Familie und einem Rechtsbeistand seiner Wahl aufnehmen.
  • Ich fordere Sie höflich auf, ihn unverzüglich freizulassen und ihm freies Geleit an einen Ort seiner Wahl zu gewähren, damit er mit seiner Familie vereint werden kann, es sei denn, er wird einer international anerkannten Straftat angeklagt und nach den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren vor Gericht gestellt.
  • Legen Sie unverzüglich Schicksal und Aufenthaltsort aller inhaftierten Personen aus der Ukraine offen, stellen Sie ihren sofortigen Kontakt mit ihren Familien und einem Rechtsbeistand ihrer Wahl sicher und entlassen Sie umgehend alle diejenigen, die ohne legitime rechtliche Grundlage in Haft gehalten werden.
  • Bitte beenden Sie die Praxis des Verschwindenlassens durch Angehörige der russischen Sicherheits- und Streitkräfte und sorgen Sie dafür, dass alle Verantwortlichen oder Beteiligten wirksam zur Rechenschaft gezogen werden.

Sachlage

Der 75-jährige Mariano García Calatayud wurde im März 2022 von russischen Truppen verschleppt, als diese die ukrainische Stadt Cherson besetzten. Die Korrespondenz zwischen seinem Rechtsbeistand und der Militärstaatsanwaltschaft der russischen Schwarzmeerflotte bestätigt, dass der humanitäre Helfer über ein Jahr lang ohne Anklage inhaftiert war und dass er seit April 2023 ohne Kontakt zur Außenwelt im Untersuchungsgefängnis SIZO-2 in Simferopol festgehalten wurde. Über einen gewissen Zeitraum hinweg erhielt er dort offenbar Pakete, die über das Online-System des Gefängnisses bestellt worden waren. Das letzte Paket, das im September verschickt wurde, kam jedoch mit dem Vermerk zurück, dass er sich nicht unter den Insassen befinde. In einem Schreiben der Militärstaatsanwaltschaft der russischen Schwarzmeerflotte an seinen Rechtsbeistand vom 4. Dezember heißt es, dass Mariano García Calatayud "das Hoheitsgebiet der Republik Krim verlassen" und am 1. Juni 2023 die Region Cherson betreten habe, und dass der Staatsanwaltschaft "derzeit keine Informationen über seinen Aufenthaltsort" vorlägen. Der Brief gibt weder an, dass Mariano García Calatayud aus der Haft entlassen wurde, noch dass er die Krim freiwillig "verlassen" hat. Vielmehr heißt es darin schlicht, dass er nicht als vermisst gilt.

Es besteht Sorge um das Leben sowie die körperliche und geistige Unversehrtheit von Mariano García Calatayud. Er leidet an einer schweren Herzerkrankung, und es gibt glaubwürdige Berichte, dass er in der Haft von den russischen Strafvollzugsbehörden gefoltert und anderweitig misshandelt wurde.

Es gibt Berichte über Hunderte von Zivilpersonen aus den besetzten ukrainischen Gebieten, die dem Verschwindenlassen durch die russischen Behörden zum Opfer gefallen sind oder sich rechtswidrig ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft befinden.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Der spanische Staatsangehörige Mariano García Calatayud wurde im April 2023 75 Jahre alt. Er war seit 2014 als Freiwilliger in der Ukraine tätig und unterstützte vom Krieg betroffene Kinder. Er blieb in Cherson, nachdem die russischen Truppen die Stadt im Februar 2022 besetzt hatten. Mariano García Calatayud verschwand am 19. März 2022 in Cherson, nachdem er sich einem friedlichen Protest gegen die russische Besatzung angeschlossen hatte. Es gab Grund zu der Annahme, dass er wie Hunderte andere von den russischen Besatzungstruppen festgehaltene Zivilpersonen auf die von Russland besetzte Krim gebracht und dort ohne offizielle Bestätigung in ein Haftzentrum gebracht wurde. Seither hielten ihn die russischen Behörden ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft und bestätigten seine Inhaftierung erst im April 2023, ohne sie rechtlich zu begründen. Im Mai 2023 veröffentlichten unabhängige russische Medien Aussagen von ehemaligen Mitgefangenen, die seinen schlechten Gesundheitszustand bestätigten und angaben, gesehen zu haben, wie Mariano García Calatayud von Gefängniswärtern gefoltert wurde.

Nach inoffiziellen Berichten, wie z. B. Informationen von ehemaligen Häftlingen oder Mitteilungen von Mitgefangenen mit russischem Pass, die von ihren Rechtsbeiständen besucht werden durften, wurde Mariano García Calatayud bis April 2023 im Untersuchungsgefängnis Nr. 1 (SIZO-1) in Simferopol festgehalten. Nach Angaben seines Rechtsbeistands wurde er später in das neu eingerichtete Untersuchungsgefängnis Nr. 2 (SIZO-2) in Simferopol verlegt. Dieses Haftzentrum wurde Berichten zufolge gebaut, um die zahlreichen Gefangenen aus den russisch besetzten Gebieten unterzubringen, die Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 gemacht hat. Einige Personen, die vor kurzem aus russischer Haft entlassen wurden – solche Freilassungen sind selten, wobei einige aufgrund eines Gefangenenaustauschs oder aus anderen Gründen möglich sind –, berichteten, dass sie Mariano García Calatayud in den SIZOs in Simferopol gesehen haben und dass er Verletzungen aufwies, u. a. durch Elektroschocks und Hundebisse.

Im September 2023 wurde bekannt, dass Mariano García Calatayud sich nicht mehr im Untersuchungsgefängnis SIZO-2 in Simferopol befand. Am 4. September 2023 wurde ein an ihn adressiertes Paket von der Gefängnisverwaltung mit der Nachricht zurückgeschickt, dass er sich nicht unter den Insassen befinde. Der Rechtsbeistand von Mariano García Calatayud wurde von zwei unabhängigen Quellen darüber informiert, dass sein Mandant in eine Untersuchungshafteinrichtung in Tschonhar, im russisch besetzten Teil der Region Cherson, verlegt worden war. Jedoch blieben alle Versuche erfolglos, einen Besuch bei ihm zu arrangieren oder ihm eine Nachricht im Untersuchungsgefängnis von Tschonhar oder anderen Hafteinrichtungen auf der Krim oder im russisch besetzten Mariupol (Region Donezk) zu übermitteln. Die russischen Besatzungsbehörden verweigern bisher jegliche Informationen über das Schicksal und den Verbleib von Mariano García Calatayud. In einem Schreiben der Militärstaatsanwaltschaft der russischen Schwarzmeerflotte an seinen Rechtsbeistand vom 4. Dezember hieß es, dass Mariano García Calatayud "das Hoheitsgebiet der Republik Krim verlassen" und am 1. Juni 2023 die Region Cherson betreten habe, und dass der Staatsanwaltschaft "derzeit keine Informationen über seinen Aufenthaltsort" vorlägen.