Geflüchtete von Obdachlosigkeit bedroht

Mädchen mit Schutzmaske schaut aus einem Fenster

Am 22. Mai verlängerte der peruanische Präsident Martín Vizcarra die strikten Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19, einschließlich Lockdown und Ausgangssperre, bis zum 30. Juni 2020. Von den wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Maßnahmen sind viele schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen betroffen, unter anderem Geflüchtete aus Venezuela, die nun ihre Mieten nicht mehr bezahlen können und deshalb ihre Wohnung verlassen müssen. Da die peruanische Regierung keine Vorkehrungen zum Schutz des Rechts auf Wohnen in ihre Covid-19-Strategie integriert hat, besteht die Gefahr, dass die Rechte auf angemessenes Wohnen und Gesundheit vieler Peruaner_innen und Venezolaner_innen verletzt werden. Vor diesem Hintergrund müssen Zwangsräumungen ausgesetzt und dringend Maßnahmen zum Schutz von Geflüchteten und in Armut lebenden Menschen ergriffen werden.

Appell an

Präsident

Martín Vizcarra

Despacho Presidencial

Jr. de la Unión s/n 1era cuadra

Cercado de Lima, Lima

PERU

 

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Peru

S.E. Herrn Elmer Schialer

Taubenstraße 20

10117 Berlin


Fax: 030-206 410 77

E-Mail: info@embaperu.de

Amnesty fordert:

  • Bitte beenden Sie die Zwangsräumungen von besonders schutzbedürftigen Menschen. Sorgen Sie bitte außerdem dafür, dass die Maßnahmen Ihrer Regierung zur Pandemie-Bekämpfung sowohl jetzt als auch in Zukunft angemessene Bestimmungen zum Schutz des Rechts auf angemessenes Wohnen aller Menschen beinhalten.

Sachlage

Im Lauf der Covid-19-Pandemie haben in Peru viele Geflüchtete und besonders schutzbedürftige Menschen ihre Wohnungen verlassen müssen. Um den Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, einschließlich Ausgangssperren, Folge leisten zu können, müssen die Menschen jedoch über eine Wohnung verfügen.

Daher müssen die Regierungsmaßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung sicherstellen, dass die Rechte auf Wohnen und Gesundheit aller Menschen gewahrt bleiben. Das schließt sowohl die Rechte der 861.000 in Peru nach Schutz suchenden Venezolaner_innen ein als auch die der 1,2 Millionen Menschen, die seit Februar ihre Arbeit verloren haben.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 14. März 2020 verhängte die Regierung von Präsident Martín Vizcarra aufgrund der Covid-19-Pandemie den Ausnahmezustand. Zu den Maßnahmen der Pandemie-Eindämmung zählen ein strikter Lockdown, eine Ausgangssperre und anderweitige Beschränkungen der Reise- und Bewegungsfreiheit. Da in Peru der Großteil der arbeitenden Bevölkerung im informellen Sektor tätig ist, erschweren diese Maßnahmen in starkem Umfang die Beschaffung grundlegender Güter und den Verdienst des Lebensunterhalts, was zu Problemen bei den Mietzahlungen führt. Durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Maßnahmen sind von Februar bis April allein in Lima mehr als 1,2 Millionen Menschen arbeitslos geworden.

Angaben des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) zufolge sind in den vergangenen Jahren 5,1 Millionen Menschen aus Venezuela geflohen, um im Ausland internationalen Schutz nachzusuchen. Mehr als 861.000 dieser Venezolaner_innen befinden sich in Peru, wo sie nur eingeschränkten Zugang zu Asyl haben und mit einer Reihe von Problemen bei der Regelung ihres aufenthaltsrechtlichen Status und der Erlangung von Arbeitserlaubnissen kämpfen.

Obwohl Peru einige der schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen mittels Sondersubventionen und Sozialplänen in seinem Programm zur Linderung der Auswirkungen von Covid-19 berücksichtigt hat, wurden weder Regelungen zum Schutz des Rechts auf Wohnen noch in Bezug auf die besondere Situation von Geflüchteten und Migrant_innen integriert. Momentan bilden veraltete Bestimmungen aus dem Zivilgesetzbuch und aus dem überholten Fallrecht den gültigen Rechtsrahmen in Bezug auf die Wohnraumsituation in diesem Kontext. Diese passen allerdings nicht mit der gegenwärtigen Realität zusammen und werden zudem nur unzulänglich durchgesetzt bzw. ignoriert (z. B. Ausführung ohne gerichtliche Anordnung).

Wie der venezolanische Botschafter in Peru berichtet, laufen gegenwärtig 55.000 Venezolaner_innen Gefahr, ihre Wohnungen zu verlieren. Amnesty International verfolgt mit großer Sorge die zahlreichen Medienberichte über die Zwangsräumungen von Venezolaner_innen und anderen schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen, die wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Maßnahmen ihre Miete nicht mehr zahlen können.

Obwohl Präsident Martín Vizcarra die Notwendigkeit betonte, auch die im Land lebenden Venezolaner_innen in die Hilfsprogramme der Regierung aufzunehmen, erweisen sich die diesbezüglichen Anstrengungen bisher als unzureichend und besonders in Hinblick auf die Situation von Zwangsräumungen und willkürlichen Räumungen als wirkungslos. Auch im Bereich der informellen Mietvereinbarungen, die in Peru sehr verbreitet sind, greift die staatliche Hilfe nicht, sodass viele Menschen Gefahr laufen, durch Räumungen ihre Wohnungen zu verlieren und auf diese Weise gegen Quarantäne-Auflagen verstoßen zu müssen.

Das Büro der Ombudsperson in Peru unterstrich in einer Stellungnahme die dringende Notwendigkeit, die venezolanische Bevölkerung in Peru zu schützen und sie in einem umfassenderen Maßnahmenpaket gegen die Auswirkungen der Pandemie zu berücksichtigen.

Der mangelnde Schutz der nach Peru geflüchteten Venezolaner_innen zwingt viele von ihnen, angesichts der widrigen Umstände eine Rückkehr nach Venezuela zu erwägen. Ein Großteil von ihnen müsste sich zu Fuß auf den Weg machen und trotz geschlossener Grenzen und durch Lockdown eingeschränkter Reisefreiheit den Norden Perus, Ecuador und Kolumbien durchqueren, um ans Ziel zu gelangen. Unterschiedlichen Quellen zufolge sind bereits 20.000 bis 33.000 Venezolaner_innen in ihr Heimatland zurückgekehrt.

Der fehlende Schutz für Venezolaner_innen in der Region Americas während der Covid-19-Pandemie veranlasste die EU und Spanien dazu, am 26. Mai 2020 eine Notfall-Geberkonferenz einzuberufen. Diese sollte einer Erklärung der EU zufolge "Ressourcen zur Unterstützung der vertriebenen Bevölkerung und der sie aufnehmenden Gemeinden mobilisieren, die durch Covid-19 verschärfte Situation entspannen und ein stärkeres Engagement sowie eine verbesserte Koordination der wichtigsten Akteure erwirken."

Amnesty International hat bereits Besorgnis über die Situation der in ihr Heimatland zurückkehrenden Venezolaner_innen ausgedrückt. Anlass zur Sorge geben unter anderem die bestehenden Zwangsquarantäne-Regelungen, die Stigmatisierung von Heimkehrer_innen durch die venezolanischen Behörden und die unter diesen schwierigen Umständen gestiegene Gefahr der Verletzung grundlegender Menschenrechte.