Peru: Drohende Massenabschiebungen

Das Bild zeigt mehrere Menschen, die in einer Schlange vor einem Gebäude warten

Venezolanische Staatsangehörige warten vor dem Gebäude der peruanischen Migrationsbehörde in Lima (Archivbild).

Venezolanische Staatsangehörige können in Peru keinen vorübergehenden Schutz mehr beantragen, der es Flüchtlingen ermöglichte, einen regulären Migrationsstatus zu erhalten. Am 14. November erließ die peruanische Regierung das Gesetzesdekret 1582, das die Ausweisung aller Ausländer*innen mit irregulärem Migrationsstatus vorschreibt. Damit gefährdet sie zahlreiche Venezolaner*innen, die nicht in der Lage waren, vor dem Stichtag 10. November einen Antrag auf vorübergehenden Schutz zu stellen. Das 24-Stunden-Verfahren zur Durchführung von Abschiebungen ist mit den Garantien eines ordnungsgemäßen Verfahrens, dem Prinzip der Nicht-Zurückweisung und den internationalen Verpflichtungen zum Schutz venezolanischer Staatsangehöriger unvereinbar. Amnesty fordert die peruanische Regierung auf, dieses Dekret unverzüglich außer Kraft zu setzen.

Appell an

Vorsitzender des Ministerrats und Vertreter des Staatsoberhaupts

Mr. Alberto Otárola Peñaranda

Presidencia del Consejo de Ministros

Jirón Carabaya

Cuadra 1

Cercado de Lima

PERU

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Peru

S. E. Herr

Augusto David Teodoro Arzubiaga Scheuch

Taubenstraße 20

10117 Berlin


Fax: 030-20 64 10 77

E-Mail: info@embaperu.de

Amnesty fordert:

  • Das Gesetzesdekret Nr. 1582 verstößt gegen völkerrechtliche Verpflichtungen, darunter die Gewährleistung des Rechts auf ein ordnungsgemäßes Verfahren als entscheidenden Schutz vor der Zurückweisung von Flüchtlingen. Dieses Dekret scheint rechtswidrige Abschiebungen zur Regel zu machen. Wir fordern Sie auf, das Dekret 1582 unverzüglich aufzuheben und die internationalen Verpflichtungen Perus zum Schutz venezolanischer Staatsangehöriger im Lande in vollem Umfang zu erfüllen.

Sachlage

Amnesty International ist sehr besorgt über das kürzlich von der peruanischen Regierung erlassene Dekret, das venezolanische Flüchtlinge in Peru in große Gefahr bringt. Die jüngste Frist für die Beantragung des vorübergehenden Schutzes war für viele Venezolaner*innen zu knapp bemessen, um einen regulären Migrationsstatus zu beantragen, so dass sie nun völlig schutzlos dastehen und mit einer rechtswidrigen Abschiebung rechnen müssen.

Amnesty International hat wiederholt auf die Herausforderungen hingewiesen, die mit der Aufnahme einer noch nie dagewesenen Zahl von Schutzsuchenden verbunden sind. Die peruanischen Behörden können dies jedoch nicht als Vorwand nutzen, um ihre Verpflichtungen aus den internationalen Normen in den Bereichen Flüchtlinge und Menschenrechte zum Schutz derjenigen zu ignorieren, die vor massiven Menschenrechtsverletzungen in Venezuela fliehen. Peru muss allen Venezolaner*innen das Recht garantieren, die Anerkennung des Flüchtlingsstatus zu beantragen, ergänzende und vorübergehende Schutzmaßnahmen durchführen, die uneingeschränkt zugänglich sind und die Grundrechte schützen, und vor allem die strikte Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleisten.

Im jüngsten englischsprachigen Amnesty-Bericht Regularization and Protection (Regularisierung und Schutz) werden die peruanischen Behörden an ihre internationalen Verpflichtungen zur Nicht-Zurückweisung erinnert: "Der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung, der zu einem Standard des Gewohnheitsrechts geworden ist, verbietet es den Staaten, eine Person in ein Gebiet abzuschieben oder zurückzuschicken, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sein könnte oder in dem sie der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt sein könnte. Dieser Grundsatz der Nicht-Zurückweisung umfasst das Abfangen, die Zurückweisung an der Grenze oder die indirekte Rückführung bzw. Rückführung über Drittstaaten. Der Grundsatz ist unveräußerlich und muss von den Staaten jederzeit aufrechterhalten werden."

Hintergrundinformation

Hintergrund

Bis August 2023 waren mehr als 25 % der venezolanischen Bevölkerung (mehr als 7,71 Mio. Venezolaner*innen) wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen aus dem Land geflohen. Diese Zahl steigt weiter an: Seit Mai 2022 sind 1,4 Mio. Menschen dazugekommen. Mehr als 80 % der Geflüchteten befinden sich in Lateinamerika und der Karibikregion. Insgesamt 70 % der aus Venezuela geflüchteten Menschen halten sich in Kolumbien (2,9 Mio. Menschen), Peru (1,5 Mio.), Ecuador (475.000) und Chile (444.000) auf. Außerhalb Lateinamerikas und der Karibik ist die USA mit 545.000 venezolanischen Staatsangehörigen eines der Länder, in das die meisten Venezolaner*innen fliehen. Diese Zahl ist jedoch von September 2021 und gilt als veraltet, da Venezolaner*innen nach wie vor eine der größten Gruppe von Geflüchteten ausmachen, die aus Lateinamerika über die US-amerikanische Grenze kommen.

Amnesty International ist der Ansicht, dass venezolanische Staatsangehörige, die aus dem Land geflüchtet sind, internationalen Schutz benötigen. Sie sollten offiziell als Flüchtlinge anerkannt werden, da aufgrund der schweren Menschenrechtsverletzungen in Venezuela ihr Leben, ihre Sicherheit und ihre Freiheit in Gefahr sind. Daher dürfen sie nicht nach Venezuela oder an Orte zurückgeschickt werden, an denen ihr Leben oder ihre Menschenrechte bedroht sind. Immer mehr Länder, darunter auch die USA, haben jedoch unter Verstoß gegen die internationalen Menschenrechts- und Flüchtlingsnormen ihre Abschiebeflüge nach Venezuela wieder aufgenommen.

Die Menschenrechtskrise wirkt sich unverhältnismäßig stark auf Frauen und Mädchen aus. Der 2022 veröffentlichte Amnesty-Bericht Unprotected: Gender-based violence against Venezuelan refugee women in Colombia and Peru zeigt auf, dass Peru, Ecuador und Kolumbien nur unangemessenen Zugang zu internationalem Schutz und einem geregelten Migrationsstatus bereitstellen und es dort an Zugang zu Gesundheits- und Justizdiensten sowie Unterkünften mangelt. Damit kommen diese Länder ihrer Verpflichtung nicht nach, venezolanische Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen.

Der im September 2023 veröffentlichte Amnesty-Bericht Regularization and protection: International obligations for the protection of Venezuelan nationals kommt zu dem Schluss, dass Kolumbien, Ecuador, Peru und Chile venezolanischen Staatsangehörigen nicht in ausreichendem Maße internationalen Schutz bzw. komplementären Schutz zur Verfügung stellen. Die Zahl der als Flüchtlinge anerkannten Venezolaner*innen ist in allen vier Ländern extrem niedrig und sie haben Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung grundlegender Menschenrechte, was sie erhöhten Risiken aussetzt.

Angesichts unangemessener Asylsysteme haben einige Länder wie z. B. Peru alternative Maßnahmen zur Regelung des Migrationsstatus eingeführt. Diese Maßnahmen entsprechen jedoch nicht den internationalen Standards für komplementären Schutz und sind kein Ersatz für ein wirksames Asylverfahren. Der Zugang zu diesen Maßnahmen wird häufig eingeschränkt, sei es durch finanzielle oder zeitliche Beschränkungen, was die Einreise in das Land oder den Zeitpunkt der Antragstellung angeht. Zudem bieten sie weder wirksamen Schutz vor Zurückweisung (Refoulement) noch Zugang zu anderen wichtigen Grundrechten.

Die peruanischen Behörden haben wiederholt Maßnahmen ergriffen, die venezolanische Flüchtlinge in Gefahr bringen. Im Jahr 2020 startete Amnesty International eine Urgent Action, da venezolanische Staatsangehörige und andere Personen während der Coronapandemie von Zwangsräumungen bedroht waren, und das zu einer Zeit, als viele venezolanische Flüchtlinge sich ohnehin bereits in einer schwierigen Situation befanden. Im November 2021 gab Amnesty International eine weitere Urgent Action heraus, in der die peruanischen Behörden aufgefordert wurden, venezolanischen Minderjährigen in Peru den Einwanderungsstatus aus humanitären Gründen (Calidad Migratoria Humanitaria) zu gewähren, nachdem ihnen dieser zu Unrecht verweigert worden war. Beide Eilaktionen waren erfolgreich. Im Jahr 2023 wandte sich Amnesty International in einem Offenen Brief an die Präsidenten von Peru und Chile, um tiefe Besorgnis über die Situation von Menschen zum Ausdruck zu bringen, die an der chilenisch-peruanischen Grenze Schutz gesucht hatten. Beide Regierungen hatten Maßnahmen verabschiedet, die Amnesty kritisierte, so z. B. den Einsatz von Militärkräften an der Grenze und das Ausrufen des Ausnahmezustands.