Aktivisten müssen freigelassen werden!

Frauen demonstrieren mit Schildern, auf denen etwas in arabischer Schrift gelesen ist.

Am 19. Juli 2020 nahmen die im Westjordanland stationierten palästinensischen Streitkräfte in der Stadt Ramallah 19 Aktivisten fest, die friedlich gegen die Korruption im Land protestierten. Während drei von ihnen wieder freigelassen wurden, wurden 16 angeklagt, zehn von ihnen befinden sich weiterhin in Haft. Alle zehn traten aus Protest gegen ihre Inhaftierung in den Hungerstreik. Die Behörden müssen unverzüglich alle Anklagepunkte fallenlassen und die Freilassung der Aktivisten veranlassen. Die nächste Anhörung ist für den 5. August 2020 anberaumt.

Appell an

Dr. Mohammad Shtayyeh

Prime Minister

Ramallah

PALÄSTINENSISCHE GEBIETE

Sende eine Kopie an

Palästinensische Mission

Frau Khouloud Franses Khaleel Daibes

Rheinbabenallee 8

14199 Berlin


Fax: 030 20 61 77 10

E-Mail: info@palaestina.org

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie dringend dazu auf, umgehend dafür zu sorgen, dass alle Anklagen gegen die Aktivisten fallen gelassen und sie unverzüglich freigelassen werden, da sie sich allein wegen ihres friedlichen Aktivismus in Haft befinden.
  • Bitte stellen Sie außerdem sicher, dass keiner der Inhaftierten wegen des Hungerstreiks bestraft wird.
  • Bitte sorgen Sie auch dafür, dass die Behörden friedliche öffentliche Kritik an der Regierung zulassen und friedliche Versammlungen nicht ungerechtfertigt einschränken – auch nicht im Namen der Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie.

Sachlage

Am 19. Juli nahmen die palästinensischen Streitkräfte neunzehn Aktivisten fest, weil sie in der Stadt Ramallah im Westjordanland friedlich gegen die Korruption im Land protestiert hatten. Sechzehn von ihnen wurden wegen "illegaler Versammlung" und "Verletzung der Notstandsregeln" angeklagt, zehn davon befinden sich in Haft, darunter Fayez Swaity, Jihad Abdou, Ali Abu Diab, Musa al-Qasiya, Amer Hamdan, Usama Khalil, Mohammad Azzam, Firas Brewish und Jamil Abu Kbash. Am 22. Juli verlängerte das Magistratsgericht von Ramallah ihre Haft um weitere 15 Tage. Amnesty International ist der Ansicht, dass die Aktivisten willkürlich festgenommen wurden. Nach Angaben ihres Rechtsbeistands befinden sich die zehn inhaftierten Aktivisten im Hungerstreik. Dschihad Abdou und Jamil Abu Kbash wurden in den Palestinian Medical Complex (PMC) in Ramallah verlegt, da sich ihr Gesundheitszustand infolge des Hungerstreiks verschlechtert hat. Am 23. Juli versuchte ihr Rechtsbeistand, die beiden zu besuchen. Er konnte Dschihad Abdou sehen und berichtete anschließend, dass dieser von bewaffneten Polizeibeamt_innen bewacht werde, die ihn trotz seines sich verschlechternden Gesundheitszustands immer wieder an sein Krankenhausbett fesseln würden. Jamil Abu Kbash durfte er nicht sehen.

Die Aktivisten werden derzeit in der Haftanstalt der Polizeidirektion von Ramallah festgehalten. Amnesty International bekräftigt erneut, dass der zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verhängte Ausnahmezustand nicht als Vorwand benutzt werden darf, um friedliche öffentliche Kritik an der palästinensischen Regierung zu unterdrücken oder die Menschenrechte willkürlich einzuschränken. Alle Maßnahmen zur Verhinderung einer Ausbreitung der COVID-19-Pandemie müssen die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung achten.

Hintergrundinformation

Hintergrund

In den letzten Monaten wurden immer wieder Korruptionsvorwürfe gegen die in Ramallah ansässigen palästinensischen Behörden laut. So sollen palästinensische Beamte Spitzenpositionen an ihre eigene Verwandtschaft vergeben haben. Nachdem diese Anschuldigungen öffentlich geworden waren, organisierten einige palästinensische Aktivist_innen das Koordinationskomitee der Volksbewegungen, dem mehrere Graswurzelbewegungen aus verschiedenen Städten des besetzten Westjordanlandes angehören. Das Komitee hat sich mehrere Ziele gesetzt. Es fordert mehr Transparenz und Gewaltenteilung in der Regierung und protestiert gegen die Vetternwirtschaft innerhalb der palästinensischen Behörden. Außerdem will es die Korruption und den Machtmissbrauch im öffentlichen und privaten Sektor aufdecken.

Anfang Juni 2020 klagte das Magistratsgericht von Ramallah vier Anti-Korruptionsaktivisten aus der Gruppe – Jasser Jaser, Jihad Abdou, Izz al-Din Za'aloul und Musa al-Qasiya – wegen "Verleumdung" gegen die Palestinian Telecommunication Company an. Nach Angaben des Anwältenetzwerks Lawyers for Justice, das die vier Aktivisten vertritt, gehören diese zur Koalition für einen Fairen Palästinensischen Telekommunikationssektor, die 2017 eine Kampagne mit dem Namen Bekafi ya shirikat alitisalat startete. Alle vier wurden später gegen Kaution freigelassen.

Am 7. Juli verhafteten die palästinensischen Sicherheitskräfte einen der Sprecher des Koordinationskomitee der Volksbewegungen, Fayez Swaity, kurz nachdem er in den Sozialen Medien über die ungleiche Verteilung von Finanzhilfen an die Palästinenser_innen berichtet hatte. Nach Angaben von Lawyers for Justice wurde Fayez Swaity von palästinensischen Sicherheitsbeamten in Gewahrsam genommen. Außerdem wurde sein Haus in der Stadt Dura in der Nähe von Hebron durchsucht. Er wurde am 13. Juli gegen Kaution wieder freigelassen.

Am 15. Juli rief das Koordinationskomitee der Volksbewegungen für den 19. Juli zu einer friedlichen Demonstration in Ramallah auf. Die Kundgebung unter dem Motto "Genug ist genug!" wurde von mehreren Anti-Korruptionsaktivist_innen als Teil einer Kampagne gegen die grassierende Korruption in den palästinensischen Behörden organisiert. Kurz vor dem geplanten Beginn des Protests, gegen 17:30 Uhr Ortszeit, wurde der al-Manara-Platz im Zentrum von Ramallah von den palästinensischen Streitkräften besetzt. Diese nahmen kurz nach Beginn der Protestveranstaltung 19 Teilnehmende fest.

Unter den Festgenommenen waren einige bekannte Aktivisten, auch Fayez Swaity wurde erneut inhaftiert. Nach Angaben der Lawyers for Justice wurden die 19 Aktivisten in eine Hafteinrichtung der Polizeidirektion von Ramallah gebracht. Während drei von ihnen wieder freigelassen wurden, wurden die anderen 16 am 20. Juli der Staatsanwaltschaft vorgeführt. Diese erhob wegen "illegaler Versammlung" und "Verletzung der Notstandsregeln" Anklage. Sechs von ihnen wurden freigelassen und zehn befinden sich weiterhin in Haft. Am 22. Juli verlängerte das Magistratsgericht von Ramallah ihre Haft um weitere 15 Tage. Am 23. Juli lehnte das Gericht einen Antrag auf Freilassung gegen Kaution ab. Die nächste Anhörung ist für den 5. August 2020 anberaumt.

Amnesty International hat dokumentiert, dass palästinensische Streitkräfte sowohl im Westjordanland als auch im Gazastreifen friedliche Demonstrant_innen und Kritiker_innen der Behörden immer wieder willkürlich festnehmen. Zu den Festgenommenen und Inhaftierten zählen Journalist_innen, Studierende, Kritiker_innen der Behörden und Menschenrechtsaktivist_innen. Amnesty International ist besorgt darüber, dass viele dieser Festnahmen willkürlich stattfinden und dass die Gerichtsprozesse nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprechen. Amnesty International ist darüber hinaus sehr besorgt über den straffreien systematischen Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen gegen Gefangene durch die palästinensischen Sicherheitskräfte, obwohl der Staat Palästina das Fakultativprotokoll des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe am 29. Dezember 2017 ratifiziert hat. Die palästinensischen Behörden im Westjordanland und im Gazastreifen haben im Rahmen der Gegenmaßnahmen zur aktuellen Krise im öffentlichen Gesundheitsbereich die Freilassung einiger Gefangener und Häftlinge angeordnet. Festnahmen wie die der 19 Aktivisten stehen dieser willkommenen Initiative entgegen. Doch diese sind nicht isoliert zu betrachten. Sie stehen vielmehr im Zusammenhang mit den systematischen Verletzungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung durch die palästinensischen Behörden sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland.