Pakistan: Wo ist Seengar Noonari?

Die Urgent Action ist beendet

Seengar Noonari, Aktivist und Mitglied der Awami Workers Party (AWP), ist nach fünf Wochen des Verschwindenlassens wieder bei seiner Familie. Er wurde am 1. August ohne Anklage freigelassen, nachdem er Ende Juni frühmorgens in Anwesenheit seiner Frau und Kinder aus seinem Haus entführt worden war. Seine Unterstützer_innen sind der Meinung, dass die Entführung mit seinem Engagement gegen eine mutmaßlich illegale Landnahme durch private Bauträger in Verbindung steht.

Ein Mann trägt ein rotes T-shirt und einen blauen Turban um den Kopf gewickelt.

Der pakistanische Menschenrechtsverteidiger Seengar Noonari

Seengar Noonari, Aktivist und Gewerkschaftssekretär der Awami Workers Party (AWP), wurde am 26. Juni 2021 aus seinem Haus verschleppt. 15 Männer in Zivil durchsuchten das Haus, verbanden ihm dann die Augen und nahmen ihn mit. Die Entführung fand einen Tag vor dem nationalen Aktionstag statt, den die AWP organisierte, um gegen eine vermutlich illegale Landnahme durch private Bauträger zu protestieren. Seengar Noonaris Frau hat beim Obersten Gericht von Sindh die Bekanntgabe seines Aufenthalts gefordert und verlangt, dass er sofort freigelassen oder einem Gericht vorgeführt wird.

 

Appell an

Ministerpräsident von Sindh

Syed Murad Ali Shah

Chief Minister Secretariat

Civil Lines Karachi

Karachi, Sindh

PAKISTAN

Sende eine Kopie an

Botschaft der islamischen Republik Pakistan

S. E. Herrn Mohammad Faisal

Schaperstr. 29


10719 Berlin

Fax: 030-2124 4210

E-Mail: mail@pakemb.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf, den Aufenthaltsort von Seengar Noonari unverzüglich seiner Familie mitzuteilen. Sorgen Sie zudem dafür, dass er entweder umgehend freigelassen oder einem Zivilgericht vorgeführt wird, das über die Rechtmäßigkeit seiner Inhaftierung entscheidet.
  • Garantieren Sie Seengar Noonaris Familie das Recht auf Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung. Zudem muss Seengar Noonari unverzüglich Zugang zu seinem Rechtsbeistand und seiner Familie gewährt werden.

Sachlage

Seengar Noonari ist ein Menschenrechtsverteidiger aus dem Distrikt Nasirabad und Gewerkschaftssekretär der Partei Awami Workers Party in der Provinz Sindh. Er ist schon sein ganzes Leben lang sozial tätig. Er setzt sich für die Bildung von Mädchen ein und fordert den Bau von weiteren staatlichen Schulen in seinem Bezirk Nasirabad im Sindh. Er kämpft zudem für faire Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und eine Verbesserung der Situation in seiner Gemeinde.

Seengar Noonaris Frau berichtete Amnesty, dass der Aktivist am 26. Juni 2021 um drei Uhr morgens aus dem Haus der Familie entführt wurde. 15 bewaffnete Männer brachen in das Haus ein, während alle schliefen. Vor den Augen der Kinder durchsuchten die Männer das Haus. Sie beschlagnahmten zwei Handys, ein weiteres elektronisches Gerät, einen USB-Stick und mehrere Bücher. Danach verbanden sie Seengar Noonari die Augen und nahmen ihn mit.

Bisher liegen keine Informationen über seinen Aufenthaltsort oder die Anklagepunkte vor. Zudem ist nicht bekannt, ob er vor ein Zivilgericht gestellt werden wird. Seine Entführung scheint im Zusammenhang mit den Protesten gegen die illegale Landnahme durch private Bauträger zu stehen und kommt dem Verschwindenlassen gleich, das nach internationalem Recht ein Verbrechen ist.

Seengar Noonaris Entführung ist für seine Familie sehr besorgniserregend. Seine Frau reichte am 2. Juli eine Petition beim Obersten Gericht von Sindh ein, in der sie das Gericht darum bat, ihn einem Gericht vorzuführen. Darüber hinaus muss Seengar Noonaris Familie umgehend über seinen Aufenthaltsort informiert werden. Die pakistanische Regierung hatte angekündigt das Verschwindenlassen von Personen unter Strafe zu stellen, doch Seengar Noonaris Entführung stellt die Absichten der Bundesregierung infrage und ist ein Rückschritt im Kampf gegen das Verschwindenlassen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

2009 trat Seengar Noonari der politischen Organisation Awami Workers Party bei. Diese Partei setzt sich für die Rechte von Arbeiter_innen, Kleinbäuer_innen, Studierende, Frauen, ethnischen und religiösen Minderheiten ein. Als Aktivist forderte er bessere Arbeitsbedingungen. Seine Unterstützer_innen sind der Meinung, dass sein Aktivismus gegen illegale Landnahme mit seiner Entführung in Verbindung steht.

Der Oberste Gerichtshof von Sindh forderte die Polizei von Sindh, den Oberbefehlshaber der Rangers – eine paramilitärische Truppe, die unter dem Kommando der pakistanischen Armee steht –, den Stationsleiter der Polizei in Nasirbad sowie mehrere stellvertretende Generalstaatsanwält_innen, dazu auf, sich bis zum 13. Juli zu seinem Verschwinden zu äußern. Bereits in vergangenen Fällen des Verschwindenlassens sind die Behörden diesen Aufforderungen nicht nachgekommen. Im ganzen Land passiert es, dass Gerichtsbeschlüsse, die den Verbleib einer verschwundenen Person betreffen, ignoriert oder äußerst verzögert beantwortet werden.

In Pakistan wird das Verschwindenlassen als ein Instrument eingesetzt, um Andersdenkende zu unterdrücken. Betroffene des Verschwindenlassens sind Sindhis, Belutsch_innen, Paschtun_innen, die schiitische Gemeinschaft, politische Aktivist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen, Mitglieder und Anhänger_innen religiöser und nationalistischer Gruppen, aber auch mutmaßliche Mitglieder bewaffneter Gruppen, sowie Angehöriger verbotener religiöser und politischer Gruppen.

Die derzeitige Regierung von Pakistan unter Premierminister Imran Khan hat versprochen das  Verschwindenlassen gesetzlich unter Strafe zu stellen. Als Familien in einem mehrtägigen Sitzstreik im Februar 2021 gegen das Verschwindenlassen von Personen in Pakistan protestierten, traf sich der Premierminister mit den Familien und sagte ihnen zu, der Praxis des Verschwindenlassen ein Ende zu bereiten. Angehörigengruppen berichten, dass seither einige Opfer des Verschwindenlassens freigelassen wurden. Diese Freilassungen scheinen jedoch nur spontan zu erfolgen. Zudem zögern die Rückkehrenden, ihre Erfahrungen zu schildern und erstatten nie Anzeige. Die pakistanische Ministerin für Menschrechte, Dr. Shireen Mazari, brachte im Juni 2021 einen Gesetzentwurf in die Nationalversammlung ein, der das Verschwindenlassen unter Strafe stellt. Dennoch werden Menschen in Pakistan weiterhin entführt und die Verantwortlichen bleiben straffrei.