Menschenrechte in Gefahr

Schwarzgekleidete Polizisten mit Schildern, davor ein Protestierender, in eine nicaraguanische Flagge gehüllt

Nachdem die Nationalversammlung bewilligt hatte, dass der Menschenrechtsorganisation Centro Nicaragüense de los Derechos Humanos (CENIDH) die Registrierung als juristische Person entzogen wird, brach die Polizei in die Büros dieser Organisation sowie in die Geschäftsräume von drei weiteren Menschenrechtsorganisationen und einer unabhängigen Zeitung ein. Diese jüngsten Attacken sind Beispiele für die fortgesetzte Strategie der nicaraguanischen Behörden, Journalist_innen und Menschenrechtler_innen zu unterdrücken.

Appell an

Parlamentspräsident

Diputado Gustavo Porras Cortés

Complejo Legislativo Carlos Núñez

Avenida Peatonal General Augusto Sandino

Managua

NICARAGUA

Sende eine Kopie an

Amnesty International Team Zentralamerika

E-Mail: equipoca@amnesty.org

Botschaft der Republik Nicaragua

I.E. Frau Karla Luzette Beteta Brenes

Werftstraße 2, 10775 Berlin


Fax: 030 – 22 48 78 91

E-Mail: embajada.berlin@embanic.de oder
karla.beteta@embanic.de

Amnesty fordert:

  • Sorgen Sie bitte sofort dafür, dass Medienschaffende ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen können, ohne unterdrückt, angegriffen, drangsaliert und kriminalisiert zu werden.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass unabhängige Medien, Menschenrechtsorganisationen, Menschenrechtsverteidiger_innen und andere Kritiker_innen nicht drangsaliert und angegriffen werden.
  • Bitte stoppen Sie die willkürlichen Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger_innen, wie die Schließung ihrer Organisationen.

 

Sachlage

Am 12. Dezember nahm die Nationalversammlung ein Dekret an, mit dem die Registrierung der Menschenrechtsorganisation Centro Nicaragüense de los Derechos Humanos (CENIDH) aufgehoben wurde. Als Gründe wurden angegeben, die Organisation habe seit 2017 keinen Finanzbericht mehr vorgelegt, sei "parteiisch gegenüber einem gesellschaftlichen Bereich", habe "nicht in Übereinstimmung mit den Zielen Frieden und Gerechtigkeit agiert" und der Vorstand sei nicht mehr im Amt. Der Organisation CENIDH ist jedoch nicht mitgeteilt worden, dass ein verwaltungsrechtliches Verfahren gegen sie eingeleitet wurde. Zudem wurde ihr das Recht verweigert, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.

Am 14. Dezember verschafften sich Angehörige der Polizei von Nicaragua ohne gerichtliche Genehmigung Zugang zu den Büros von CENIDH und nahmen ein Fahrzeug und einige Dokumente mit, die der Organisation gehörten. Außerdem drangen sie ohne gerichtliche Anordnung in die Büroräume der Organisation Popol Na ein und gingen gegen die Mütter von Gefangenen vor, die dort Zuflucht gesucht hatten. Die Polizeiangehörigen sollen den Wachmann des Gebäudes geschlagen sowie Computer, Dokumente, Handys und Fahrzeuge gestohlen haben, die Mitarbeiter_innen bzw. der Organisation gehörten. Auch in die Büros der Organisation Instituto de Liderazgo de las Segovias, der Stiftung Fundación del Río und der unabhängigen Zeitung Confidencial, die für ihre kritischen und investigativen Berichte bekannt ist, drangen Angehörige der Polizei gewaltsam ein.

Diese Fälle sind weitere Beispiele für eine Strategie der Unterdrückung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich für die Menschenrechte in Nicaragua einsetzen. Verantwortlich für diese Strategie sind Präsident Ortega und seine Frau Rosario Murillo, die das Amt der Vizepräsidentin innehat.

Mehrere internationale Organisationen haben die Angriffe öffentlich verurteilt, darunter die Interamerikanische Menschenrechtskommission, das Büro der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, das Zentrum für Gerechtigkeit und Völkerrecht und die Weltorganisation gegen Folter. CENIDH setzt sich seit 28 Jahren für die Menschenrechte in Nicaragua ein, genießt ein hohes Ansehen und Legitimität in der Region und ist eine langjährige Partnerorganisation von Amnesty International in Nicaragua.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Amnesty International hat zwei Berichte veröffentlicht, in denen die Verfolgung und Unterdrückung durch die Regierung Nicaraguas seit Beginn der Proteste am 18. April 2018 dokumentiert wird. Am 29. Mai 2018 veröffentlichte Amnesty den englischsprachigen Bericht "Shoot to Kill: Nicaragua's strategy to repress protest", in dem aufgezeigt wird, dass die Regierung seit Beginn der Proteste eine Strategie der gewaltsamen Unterdrückung verfolgt, wie sie das Land schon seit Jahren nicht mehr erlebt hat. Bereits in den ersten Wochen der Proteste sind dabei mehr als 70 Fälle gemeldet worden, in denen Personen von Angehörigen der Behörden getötet wurden. Am 18. Oktober 2018, sechs Monate nach Beginn der Proteste, veröffentlichte Amnesty dann den zweiten englischsprachigen Bericht: "Instilling terror: from lethal force to persecution in Nicaragua". Darin sind zahlreiche Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, die zwischen dem 30. Mai und dem 18. September begangen wurden. Zudem beschreibt der Bericht die verschiedenen Aspekte der von der Regierung verfolgten Strategie zur Unterdrückung der Proteste.

Amnesty International ist der Ansicht, dass die hochrangigsten nicaraguanischen Behörden nicht nur von diesen Menschenrechtsverletzungen wussten, sondern diese in vielen Fällen auch auf deren Anordnung und unter ihrem Befehl begangen wurden. Dies betrifft auch den Präsidenten und die Vizepräsidentin von Nicaragua.

Amnesty International hat zudem die Information erhalten, dass das nicaraguanische Parlament am 28. November 2018 ein Dekret bewilligt hat, mit dem der Menschenrechtsorganisation Centro de Información y Servicios de Asesoría en Salud (Gesundheitsnformations- und Beratungszentrum) der Status als juristische Person entzogen wurde. Vorsitzende der Organisation ist die Menschenrechtsverteidigerin Ana Quirós. Am 18. April wurde Ana Quirós während einer Demonstration von Angehörigen bewaffneter regierungsnaher Gruppierungen angegriffen. Der Vorfall wurde auch in dem oben genannten Bericht "Shoot to kill: Nicaragua's strategy to repress protest" erwähnt. Wie Amnesty International am 26. November berichtete, wurde Ana Quirós willkürlich inhaftiert und in die Haftanstalt El Chipote gebracht. Anschließend erließ man einen Ausweisungsbefehl gegen sie und brachte sie an die costa-ricanische Grenze. Sie musste das Land verlassen. Die Menschenrechtsverteidigerin war vor 21 Jahren in Nicaragua eingebürgert worden und verfügte somit über die nicaraguanische Staatsbürgerschaft.