Mexiko: Tod nach Festnahme - Vorwürfe untersuchen

Sexualisierte Folter gegen Frauen in Mexiko

Mit einer Lichtinstallation demonstrieren junge Amnesty-Aktivistinnen und -Aktivisten im November 2014 für ein Ende der Folter in Mexiko

José Eduardo Ravelo starb am 3. August an zahlreichen inneren Verletzungen. Vor seinem Tod erzählte er seiner Mutter, dass er einige Tage zuvor von der Polizei in der Haft gefoltert worden sei. Bald nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf. Doch noch bevor diese abgeschlossen waren, erklärte sie öffentlich, dass José Eduardo Ravelo während seiner Inhaftierung weder gefoltert noch misshandelt worden sei. Dieses Vorgehen lässt erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Unparteilichkeit der beteiligten Staatsanwält:innen aufkommen.

Appell an

Botschaft der Vereinigten Mexikanischen Staaten

S.E. Herr Francisco Jose Quiroga Fernandes

Klingelhöferstraße 3


10785 Berlin

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Per E-Mail oder Twitter:

Alejando Gertz Manero

Oficina del Fiscal General de la República

E-Mail: alejandro.gertz@pgr.gob.mx

Twitter: @FGRMexico

Per E-Mail oder Fax:

Botschaft der Vereinigten Mexikanischen Staaten

Fax: (030) 269 323 700

E-Mail: mexale@sre.gob.mx

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie höflich auf, sofort eine unabhängige, wirksame und unparteiische Untersuchung der Vorwürfe von Folter, sexueller Nötigung und exzessiver Gewaltanwendung gegen José Eduardo Ravelo einzuleiten. Dabei müssen alle bestehenden Richtlinien eingehalten werden, einschließlich des Istanbul-Protokolls. Das Recht seiner Mutter auf vollständige Aufklärung und Wiedergutmachung muss in vollem Umfang gewährleistet werden.

Sachlage

Die öffentlichen Erklärungen der Staatsanwaltschaft, die für die laufenden Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Tod von José Eduardo Ravelo zuständig ist, geben Anlass zu großer Sorge. Der 23-Jährige war zu einem Vorstellungsgespräch von Veracruz nach Mérida im Bundesstaat Yucatán gereist. Nach Angaben seiner Mutter erzählte er ihr am 23. Juli, dass er dort zwei Tage zuvor festgenommen worden sei und ihn die Angehörige der Polizei geschlagen und sexuell missbraucht hätten. Er starb wenige Tage später an zahlreichen inneren Verletzungen.

Nach Informationen von Amnesty International soll sich die Staatsanwaltschaft geweigert haben, nach dem in solchen Fällen maßgeblichen Handbuch für die wirksame Untersuchung und Dokumentation von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Strafe (Istanbul-Protokoll) vorzugehen. Ungeachtet dessen und obwohl die Ermittlungen noch andauerten, gab die Staatsanwaltschaft am 28. Oktober eine öffentliche Erklärung zu dem Fall ab. Darin bekräftigte sie, dass die gesammelten Beweise ergeben hätten, dass José Eduardo Ravelo von den verdächtigten Polizeikräften weder Folter noch sexualisierte Gewalt erfahren hätte. Keines seiner Rechte sei verletzt worden. Diese voreiligen Schlüsse und das Ignorieren des Istanbul-Protokolls gefährden das Recht der Familie von José Eduardo Ravelo auf die sorgfältige Aufklärung seines Todes und der Vorwürfe von Folter und Misshandlung in Polizeigewahrsam.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Nur wenige Tage nachdem die Mutter von José Eduardo Ravelo im August die Geschichte ihres Sohnes öffentlich gemacht hatte, erklärten Behördenvertreter:innen, dass der junge Mann wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" festgenommen worden sei. Außerdem habe er "unter Drogeneinfluss" gestanden.

Ebenfalls im August wies ein Richter die Klage gegen vier städtische Polizeibeamt:innen ab, die ursprünglich wegen Mordes, schwerer Vergewaltigung und schwerer Folter an José Eduardo Ravelo angeklagt waren. Zur Begründung gab er an, dass es keine ausreichenden Beweise für eine Strafverfolgung gäbe.

Ursprünglich war die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Yucatán für die Ermittlungen zuständig, doch dann übernahm eine auf Folterermittlungen spezialisierte Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft auf Bundesebene (Fiscalía General de la República - FGR) den Fall. Nach Informationen von Amnesty International weigern sich die nun zuständigen Staatsanwält:innen, nach dem Istanbul-Protokoll vorzugehen, das wesentliche Leitlinien zum Nachweis von Folterspuren enthält. Sie argumentieren, dass die Methoden des Istanbul-Protokolls bei Verstorbenen nicht angewandt werden könnten. In ihrer öffentlichen Erklärung vom 28. Oktober erwähnte die FGR außerdem, dass sie bei den vorangegangenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft des Bundesstaates Yucatán Unregelmäßigkeiten festgestellt habe. Bis heute gibt es keine Klarheit über die genaue Todesursache von José Eduardo Ravelo. Auch die Verantwortlichen für seinen Tod und die mutmaßliche Folter sind nach wie vor nicht zur Rechenschaft gezogen worden.

Die Ombudsstelle für Menschenrechte (Comisión Nacional de Derechos Humanos) leitete eine Untersuchung aller mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen ein, die von staatlichen Stellen gegen José Eduardo Ravelo und seine Mutter begangen wurden. Diese ist bis heute noch nicht abgeschlossen.

Amnesty International dokumentiert seit langem Menschenrechtsverletzungen, die bei Festnahmen oder Inhaftierungen durch mexikanische Sicherheitskräfte auf Bundes- und Landesebene begangen werden. Dazu zählen willkürliche Inhaftierungen, exzessive Gewaltanwendung und Folter. Im Jahr 2017 veröffentlichte Amnesty International den Bericht False suspicions: Arbitrary detentions by police in Mexico (Falscher Verdacht: Willkürliche Inhaftierungen durch die Polizei in Mexiko). Darin wurde aufgezeigt, wie Festnahmen durch die Polizei in Mexiko ablaufen; insbesondere, wenn die Behörden behaupteten, eine Person "auf frischer Tat erwischt" und festgenommen zu haben. Amnesty International stellte fest, dass die Zahl der Festnahmen unter diesem Vorwurf nicht mit der der tatsächlich begangenen Straftaten übereinstimmt. Vielmehr wird die Behauptung, die betroffene Person auf frischer Tat ertappt zu haben, rechtswidrig von den Behörden eingesetzt – und zwar insbesondere gegen diejenigen, die seit jeher diskriminiert werden. Die Auswirkungen dieser Praxis vor allem auf in Armut lebende junge Männer sind besorgniserregend. Aus dem Bericht geht außerdem hervor, dass bei Festnahmen in der Regel nach wie vor exzessive Gewalt angewendet wird und dass viele Inhaftierte gefoltert und anderweitig misshandelt werden.

Am 5. Mai 2020 starb der 30-jährige Maurer Giovanny Lopez im Bundesstaat Jalisco, nachdem er von Polizeikräften festgenommen und verprügelt worden war offenbar, weil er keine Gesichtsmaske zum Schutz vor dem Coronavirus trug. Im März 2021 verurteilten mehrere UN- und Menschenrechtsorganisationen den Tod der salvadorianischen Geflüchteten Victoria Salazar. Die Todesursache war der Einsatz exzessiver Gewalt durch vier Polizeibeamt:innen bei ihrer Festnahme in Tulum (Bundesstaat Quintana Roo).

Auch die Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen zeigen sich regelmäßig besorgt über die weit verbreitete Anwendung von Folter, Misshandlung und exzessiver Gewalt durch die Polizei, die Streitkräfte oder andere Sicherheitskräfte; insbesondere bei Festnahmen oder zu Beginn einer Haft. Sie prangern außerdem an, dass Untersuchungen von Folter- und Misshandlungsvorwürfen in der Regel schwerwiegende Mängel aufweisen und die Straflosigkeit im Zusammenhang mit dieser Art von Verbrechen weiterhin hoch ist. Die UN-Gremien haben Empfehlungen an die mexikanischen Behörden ausgesprochen, um solche Menschenrechtsverletzungen zu beenden.