Marokko: Menschenrechtsanwalt in Abwesenheit verurteilt

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Der marokkanische Menschenrechtsanwalt Mohamed Ziane

Am 21. November 2022 nahmen Sicherheitskräfte den bekannten Menschenrechtsanwalt Mohamed Ziane fest und brachten ihn ins Gefängnis. Etwa eine Stunde zuvor hatte das Berufungsgericht von Rabat in seiner Abwesenheit die Verurteilung zu drei Jahren Haft bestätigt. Die elf Anklagepunkte gegen ihn stehen in keinem Zusammenhang zueinander und umfassen falsche Anschuldigungen wegen Beleidigung von Staatsbediensteten und Institutionen, Verleumdung und ehelicher Untreue. Der einzige strafrechtlich relevante Vorwurf gegen ihn ist der der sexuellen Belästigung. Er sollte in einem nach den internationalen Standards fairen Gerichtsverfahren geprüft werden.

Appell an

Premierminister

Aziz Akhanouch

Palais Royal Touarga

Rabat 10070


MAROKKO

Sende eine Kopie an

Botschaft des Königreichs Marokko

I.E. Frau Zohour Alaoui


Niederwallstraße 39

10117 Berlin


Fax: 030 - 20 612 420

E-Mail: kontakt@botschaft-marokko.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf, alle konstruierten Anschuldigungen gegen Mohamed Ziane unverzüglich fallen zu lassen.
  • Bitte stellen Sie sicher, dass der Vorwurf der sexuellen Belästigung in einem unabhängigen, unparteiischen und transparenten Verfahren untersucht wird.
  • Bitte stellen Sie außerdem sicher, dass Mohamed Ziane unverzüglich die Möglichkeit erhält, seine derzeitige Inhaftierung von einem Gericht überprüfen zu lassen, mit Blick auf eine Freilassung bis zum Abschluss seines Verfahrens.

Sachlage

Der Rechtsanwalt Mohamed Ziane wurde nach einem unfairen Verfahren wegen einer Reihe nicht miteinander zusammenhängender Anschuldigungen, die fast alle sein Recht auf freie Meinungsäußerung verletzen, inhaftiert.

Am 21. November 2022 drangen 20 Sicherheitskräfte in das Büro des Rechtsanwalts ein. Sie nahmen ihn fest und brachten ihn direkt ins Gefängnis. Eine Stunde zuvor hatte das Berufungsgericht von Rabat ihn mit sofortiger Wirkung zu drei Jahren Haft und zu einer Geldstrafe von 5 000 MAD (rund 450 Euro) verurteilt. Weder Mohamed Ziane noch seine Rechtsbeistände waren bei der Verurteilung anwesend oder zuvor darüber informiert worden. Die elf Anklagepunkte gegen ihn stehen in keinem Zusammenhang zueinander und reichen bis ins Jahr 2021 zurück.

Seine Festnahme erfolgte zwei Tage nachdem ein Video auf YouTube veröffentlicht worden war, in dem Mohamed Ziane den Direktor der marokkanischen Sicherheitskräfte beleidigt. Das Video erschien als Reaktion auf ein anderes Video, in dem Mohamed Ziane wegen sexuellen Fehlverhaltens gegenüber einer ehemaligen Polizistin diffamiert wird. Mohamed Ziane hatte die Polizistin zuvor in einem Verfahren wegen sexueller Belästigung durch ihren damaligen Chef vertreten. Die ehemalige Polizistin widerspricht öffentlich dem Vorwurf des sexualisierten Fehlverhaltens durch Mohamed Ziane.

Mindestens sechs der elf Anklagen gegen Mohamed Ziane verletzen sein Recht auf freie Meinungsäußerung und wurden unter anderem durch Paragraf 263 (Beleidigung von Justiz und Staatsbediensteten) und Paragraf 265 (Beleidigung von organisierten Einrichtungen) des marokkanischen Strafgesetzbuchs begründet. Darunter ist der Vorwurf der sexuellen Belästigung der einzige nach internationalem Recht anerkannte Straftatbestand. Er sollte in einem fairen, unabhängigen, unparteiischen und transparenten Verfahren untersucht werden.

Seit seiner Inhaftierung am 21. November 2022 wird Mohamed Ziane allein in einer Zelle des Gefängnisses Arjat 1 in Salé, einer Stadt nahe Rabat, festgehalten. Er darf zwar Besuch von seinem Rechtsbeistand empfangen aber nicht mit anderen Inhaftierten kommunizieren. Darüber hinaus darf er den Gefängnishof nur allein nutzen und die Gefängniswärter*innen verweigern ihm den Zugang zu Schreib- und Lesematerial. Mohamed Ziane leidet außerdem unter anhaltenden gesundheitlichen Problemen. Die dafür erforderliche medizinische Behandlung kann er im Gefängnis nicht erhalten.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Der 79-jährige Mohamed Ziane ist ehemaliger Minister für Menschenrechte von Marokko. 1996 war er von seinem Regierungsposten zurückgetreten, weil er nicht mehr mit der marokkanischen Politik einverstanden war. Seit seinem Ausscheiden aus der Regierung hat er zahlreiche Aktivist*innen, Journalist*innen und Betroffene von Menschenrechtsverletzungen verteidigt.

Im November 2021 wurde gegen Mohamed Ziane Anzeige wegen sexueller Belästigung, Erpressung, unmoralischer Aussagen und Drohungen erstattet. Alle Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung müssen individuell überprüft werden. Amnesty International ist nicht in der Lage, ihren Wahrheitsgehalt zu beurteilen. Amnesty stellt fest, dass in jüngster Zeit vermehrt Anklagen wegen sexualisierter Übergriffe gegen inhaftierte oder strafrechtlich verfolgte Regierungskritiker*innen im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung erhoben werden. Im Fall des inhaftierten Zeitungsverlegers Omar Radi stellte die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen (WGAD) fest, dass seine Inhaftierung wegen Vergewaltigungsvorwürfen einer "juristischen Schikane gleichkam, die auf nichts anderes als seinen investigativen Journalismus zurückzuführen war." Im Fall des Journalisten Suleiman Raissouni, der seit dem 22. Juni 2020 wegen sexueller Belästigung inhaftiert ist, kam die WGAD zu dem Schluss, dass die Verstöße gegen sein Recht auf ein faires Verfahren so schwerwiegend sind, dass seine Inhaftierung als willkürlich einzustufen ist.

Das Innenministerium erhob 2021 elf Anklagen gegen Mohamed Ziane. Im Februar 2022 befand ihn das erstinstanzliche Gericht von Rabat in allen elf Anklagepunkten für schuldig und verurteilte ihn zu drei Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 5.000 MAD (rund 450 Euro). Sein Rechtsbeistand legte Berufung gegen das Urteil ein, wurde jedoch nicht über den Zeitpunkt informiert, an dem das Berufungsverfahren stattfinden sollte. Am 21. November 2022 bestätigte das Berufungsgericht das Urteil und ordnete auf Antrag der Staatsanwaltschaft seine sofortige Inhaftierung gemäß Paragraf 392 und 414 der Strafverfahrensordnung an. Am 2. Dezember 2022 stellte sein Rechtsbeistand beim Berufungsgericht von Rabat einen Antrag auf Freilassung. Dieser wurde vom Gericht am 5. Dezember 2022 ohne Erklärung abgelehnt.