Kolumbien: Gewalt gegen Protestierende

Drei Sicherheitskräfte in Spezialausrüstung mit Helmen führen gewaltsam einen jungen Mann mit Schutzmaske ab.

Seit dem 28. April gehen in ganz Kolumbien Tausende Menschen auf die Straße, um gegen eine Steuerreform und für bessere soziale und wirtschaftliche Maßnahmen zu protestieren. Der Generalstreik (Paro Nacional) wurde von verschiedenen sozialen Bewegungen ausgerufen. Als Reaktion auf die Proteste entsandten die Behörden das Militär in einige Städte, stigmatisierten die Demonstrierenden öffentlich und schlugen die Streikveranstaltungen mit unverhältnismäßiger Gewalt und dem Einsatz von Waffen nieder. Dutzende Menschen wurden bisher getötet; Hunderte wurden verletzt oder willkürlich inhaftiert; und zahlreiche Personen sollen dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen sein.

Appell an

Iván Duque

President of the Republic of Colombia

Palacio de Nariño

Carrera 8 No. 7-26, Bogotá

KOLUMBIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Kolumbien

S. E. Herrn Hans-Peter Knudsen

Taubenstr. 23

10117 Berlin


Fax: 030-2639 6125

E-Mail: ealemania@cancilleria.gov.co

 

 

Amnesty fordert:

  • Bitte beenden Sie umgehend die Stigmatisierung von Protesten zu sozialen Fragen und die Repressionen gegen Demonstrierende.

  • Kommen Sie Ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nach und schaffen Sie ein sicheres Klima, in dem das Recht auf friedliche Versammlung vollständig geachtet wird, indem Sie die Gewalt durch die Ordnungskräfte verurteilen und unterbinden. Sorgen Sie bitte zudem dafür, dass jegliche im Zuge der Proteste begangenen Menschenrechtsverletzungen gründlich untersucht und entsprechend sanktioniert werden.

Sachlage

Die kolumbianische Regierung geht mit Gewalt gegen die seit dem 28. April anhaltenden landesweiten Proteste vor, in denen die Menschen bessere soziale und wirtschaftliche Maßnahmen fordern. Die Demonstrierenden fordern die Ausarbeitung solcher Maßnahmen in einem offenen und zielführenden gesamtgesellschaftlichen Dialog.

Laut Angaben kolumbianischer zivilgesellschaftlicher Organisationen wurden zwischen dem 28. April (dem Beginn des Generalstreiks) und dem 4. Mai durch den Einsatz der Streit- und Sicherheitskräfte sowie der Spezialeinheit Escuadrón Móvil Antidisturbios (ESMAD) 31 Menschen getötet, 216 weitere verletzt und 814 Personen willkürlich inhaftiert. Darüber hinaus gibt es Berichte über sexualisierte Gewalt, und die zuständige Ombudsperson veröffentlichte eine Liste mit 87 Personen, die im Kontext der Proteste dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen sind.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Der landesweite Generalstreik begann am 28. April und richtet sich gegen eine geplante Steuerreform, mit der die Steuereinnahmen erhöht werden sollen, um der Wirtschaftskrise, die durch die Corona-Pandemie entstanden ist, zu begegnen.

Die Demonstrierenden griffen außerdem mehrere Forderungen wieder auf, die bereits 2019 in ähnlichen Protesten gestellt worden waren, so zum Beispiel: Maßnahmen, um die Tötung gesellschaftlich engagierter Personen zu verhindern, die Umsetzung des Friedensvertrags, die Schaffung eines gesicherten und umfassenden Gesundheitssystems für alle und eine umfassende Polizeireform.

Am 1. Mai kündigte der Präsident den Einsatz des Militärs in "den Städten" an, "in denen ein hohes Risiko für die Bevölkerung besteht", und betonte: "Ich möchte eine deutliche Warnung an diejenigen aussprechen, die mittels Gewalt, Vandalismus und Terrorismus versuchen unsere Gesellschaft einzuschüchtern, und glauben, dass sie auf diese Weise die Institutionen zum Einbrechen bringen".

Am 5. Mai sagte der Präsident: "Eine kriminelle Organisation, die legitime soziale Ziele vorgibt, bedroht uns mit Vandalismus. Der extreme Vandalismus und innerstädtische Terrorismus, den wir beobachten können, wird von den Drogenmafias finanziert und orchestriert."

Seit Beginn des Generalstreiks wurden mehrere Protestveranstaltungen in Städten wie Bogotá, Cali und Pasto unter unverhältnismäßiger Gewaltanwendung, einschließlich des Einsatzes von Waffen und tödlicher Gewalt, aufgelöst. Dabei wurden 31 Personen getötet, 216 weitere verletzt und 814 willkürlich inhaftiert. Darüber hinaus gibt es Berichte über sexualisierte Gewalt und Fälle des Verschwindenlassens.

Amnesty International hat mittels der Verifizierung von Videos bestätigt, dass die kolumbianische Polizei in verschiedenen Teilen des Landes mit tödlicher Gewalt ebenso wie mit weniger tödlichen Waffen, wie Tränengas und Wasserwerfer, gegen Demostrierende vorgegangen ist.

Diese brutale Unterdrückung des Generalstreiks erinnert an die Vorgehensweise der Behörden im Jahr 2019, als bei Protesten zahlreiche Menschen getötet wurden, nachdem man mit Tränengas und Schusswaffen mit scharfer Munition gegen sie vorgegangen war. Auch Ende 2020 wandten die Behörden bei Protesten gegen die polizeiliche Tötung des Rechtsanwalts Javier Ordonez unverhältnismäßige Gewalt an. Polizeiberichten zufolge wurden dabei 403 Menschen verletzt, darunter 194 Sicherheitskräfte, und zehn Personen getötet.

In mehreren Fällen, in denen Ordnungskräften im Zusammenhang mit Protesten Straftaten zur Last gelegt werden, sind Ermittlungen eingeleitet worden. Aber da Menschenrechtsverletzungen, die von Sicherheitskräften begangen wurden, weiterhin von der Militärgerichtsbarkeit untersucht werden, kommt es nicht zu greifbaren Fortschritten, um Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Garantien der Nichtwiederholung für die Opfer, ihre Angehörigen und die Gesellschaft zu erreichen. Ein Beispiel dafür ist der Fall von Dilan Cruz, der während eines Protests im Jahr 2019 getötet wurde.