Katarische Rechtsanwälte willkürlich inhaftiert

Karte Saudi-Arabien

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Die beiden katarischen Brüder Hazza und Rashed bin Ali Abu Shurayda al-Marri befinden sich seit über sieben Monaten in Einzelhaft. Sie gehören dem al-Murra-Stamm an und hatten im August 2021 dagegen protestiert, dass sie aufgrund eines kurz zuvor verabschiedeten Gesetzes von den Wahlen zum Schura-Rat ausgeschlossen waren. Die beiden Rechtsanwälte müssen unverzüglich freigelassen werden.

Appell an

H.E. Sheikh Khalid bin Khalifa bin Abdulaziz Al Thani

Prime Minister and Minister of Interior


Corniche Road

P.O. Box: 8895

KATAR

Sende eine Kopie an

Botschaft des Staates Katar

S.E. Herrn Abdulla Mohammed S. A. Al-Thani


Hagenstraße 56

14193 Berlin


Fax: 030-862 061 50

E-Mail: berlin@mofa.gov.qa

 

Amnesty fordert:

  • In Einklang mit internationalen Gesetzen und Standards fordere ich Sie höflich auf, Hazza bin Ali Abu Shurayda al-Marri und Rashed bin Ali Abu Shurayda al-Marri freizulassen, wenn sie nicht zeitnah einer international als Straftat anerkannten Handlung angeklagt werden.
  • Bis zu ihrer Freilassung muss ihnen der Kontakt zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl sowie der Zugang zu jedweder benötigten medizinischen Behandlung gewährt werden.

Sachlage

Die Brüder Hazza und Rashed bin Ali Abu Shurayda al-Marri, beide Rechtsanwälte und Angehörige des al-Murra-Stamms, befinden sich seit ihrer Festnahme vor über sieben Monaten in Einzelhaft. Das kommt Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gleich.

Im Juli 2021 ratifizierte Emir Tamim bin Hamad bin Khalifa Al Thani ein Gesetz, das erstmals Wahlen ermöglichte, um 30 der insgesamt 45 Mitglieder des Schura-Rats zu bestimmen. Anfang August 2021 protestierten Angehörige des al-Murra-Stamms und anderer Bevölkerungsgruppen dagegen, dass sie von den Wahlen zum Schura-Rat ausgeschlossen waren. Hazza al-Marri war an den Protesten beteiligt und stellte am 8. August 2021 eine an den Emir gerichtete Videobotschaft auf Twitter, in der er das neu verabschiedete Gesetz kritisierte. Am 10. August 2021 nahmen Angehörige der Kriminalpolizei Hazza al-Marri bei sich zuhause fest. Daraufhin begab sich Rashed al-Marri zum Büro der Staatsanwaltschaft, um sich über die Gründe für die Festnahme seines Bruders zu erkunden. Zudem forderte er die Behörden auf, seinen Bruder als dessen rechtliche Vertretung besuchen zu dürfen. Der Aufforderung, diese Bitte schriftlich einzureichen, kam er unverzüglich nach. Am nächsten Tag, dem 11. August 2021, wurde Rashed al-Marri zur Staatsanwaltschaft vorgeladen. Bei diesem Termin nahm man ihn umgehend fest. Bis zum 22. August 2021 wurden die Brüder von der Behörde für Internetkriminalität festgehalten. Danach brachte man sie in das Staatssicherheitsgefängnis im Bezirk Fereej Bin Omran der Hauptstadt Doha. Dort hielt man sie bis Dezember 2021 fest, bevor sie in ein anderes Haftzentrum der Staatssicherheit in der Nähe des Industrieviertels von Doha verlegt wurden. Sie befinden sich noch immer dort in Einzelhaft. Zweimal die Woche dürfen sie Besuch oder Anrufe von ihrer Familie erhalten.

Die Brüder erschienen insgesamt dreimal vor Gericht, wobei die Anhörungen hinter verschlossenen Türen stattfanden. Während der ersten Gerichtsanhörung am 26. Januar 2022 wies der Vorsitzende Richter ihnen einen Verteidiger zu. Sie hatten keine Möglichkeit, eine eigene rechtliche Vertretung zu ernennen. Zwei weitere kurze Gerichtstermine fanden am 22. Februar sowie am 8. März statt.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 29. Juli 2021 ratifizierte der Emir nach langer Verzögerung das Gesetz Nr. (6) 2021 über die Wahlen zum Schura-Rat. Die entsprechenden Pläne waren bereits 2003 gutgeheißen worden, als nach einem Referendum die Verfassung angepasst wurde. Das neue Wahlgesetz unterteilt katarische Bürger_innen in drei Kategorien: 1.) Katarer_innen (18-jährig und älter), deren Großväter in Katar geboren sind: Sie können in den Distrikten, in denen ihr Stamm oder ihre Familien wohnhaft sind, abstimmen. Wenn sie 30 Jahre oder älter sind, dürfen sie auch für den Schura-Rat kandidieren. 2.) Bürger_innen, die die katarische Staatsbürgerschaft erlangt haben: Sie können in den Distrikten, in denen ihre Familien oder ihr Stamm wohnen, abstimmen – sofern ihr Großvater Katarer ist und in Katar geboren wurde. Sie dürfen sich jedoch nicht für den Schura-Rat aufstellen lassen. 3.) Eingebürgerte, die nicht belegen können, dass ihre Großväter in Katar geboren wurden: Sie haben weder das Recht, abzustimmen, noch das Recht, für den Schura-Rat zu kandidieren.

Am 7. August 2021 protestierten verschiedene Stammesangehörige, hauptsächlich Angehörige des al-Murra-Stamms, in Doha gegen das oben ausgeführte diskriminierende Staatsbürgerschaftsrecht, das sie von der Wahl des Schura-Rats ausschließt. Am nächsten Tag gab das Innenministerium bekannt, dass sieben Männer festgenommen und der Staatsanwaltschaft übergeben wurden. Die Vorwürfe lauteten auf "Missbrauch der Sozialen Medien zur Verbreitung von Falschnachrichten und Anheizen von Ethnien- und Stammeskonflikten".

Am 11. August 2021 kamen Stammesräte und Behörden zu einer Übereinkunft, woraufhin weitere Proteste abgesagt wurden. Laut Angehörigen des al-Murra-Stamms hatte der Emir versprochen, die Anliegen der Protestierenden zu berücksichtigen.

Im August und September 2021 kam es jedoch zu weiteren Festnahmen. Viele der Festgenommenen wurden erst freigelassen, nachdem sie eine Erklärung unterschrieben hatten, in der sie versprachen, weder über ihre Inhaftierung zu sprechen noch das neue Gesetz zu kritisieren oder ihre Rechte weiterhin einzufordern. Hazza und Rashed bin Ali Abu Shurayda al-Marri weigerten sich, diese Erklärung zu unterzeichnen.

Der al-Murra-Stamm ist einer der größten Stämme im östlichen Saudi-Arabien und in Katar. Seine Angehörigen sind seit langem von Diskriminierung betroffen und haben keinen Zugang zu Ausbildung, Arbeit oder Gesundheitsversorgung. 2004 und 2005 entzogen die katarischen Behörden dem gesamten al-Ghufran-Clan, einem Zweig des al-Murra-Stamms, die katarische Staatsbürgerschaft. Insgesamt waren über 5.000 Menschen davon betroffen. Führende Stammesangehörige wurden beschuldigt, an einem (erfolglosen) Gegenputsch beteiligt zu sein, nachdem Scheich Hamad – der Vater des jetzigen Emirs – seinen Vater 1995 in einem unblutigen Staatsstreich abgesetzt hatte. Den Vorwürfen zufolge sollen sie im Geheimen zudem die saudische Staatsbürgerschaft innegehabt haben. Unter katarischem Recht ist die doppelte Staatsbürgerschaft verboten. Die Maßnahme wurde jedoch für die Mehrheit wieder rückgängig gemacht, als die Behörden zu dem Schluss kamen, dass nur ein kleiner Teil des al-Ghufran-Clans direkt in den Coup involviert gewesen war.