Nach regierungskritischen Tweets willkürlich inhaftiert

Die Grafik zeigt eine Gefängnistür mit Gitterstäben.

Am 4. Oktober 2020 wurde Mohammed al-Sulaiti willkürlich festgenommen, nachdem er sich auf Twitter kritisch zu seinem unbefristeten Reiseverbot geäußert hatte. Er befindet sich nun ohne Anklage in Haft. Dies ist schon seine zweite willkürliche Inhaftierung. 2018 hatte er bereits fünf Monate ohne Anklage in Haft verbracht. Anschließend wurde ohne rechtliche Grundlage das unbefristete Reiseverbot gegen ihn verhängt. Mohammed al-Sulaiti ist katarischer Staatsbürger, lebt jedoch in den USA.

Appell an

Ambassador

Youssef Ali al-Khater

Embassy of the State of Qatar

1 South Audley St.

London W1K 1NB

VEREINIGTES KÖNIGREICH

Sende eine Kopie an

Botschaft des Staates Katar

Herr Shafi Newaimi M. N. Al-Hajri

Geschäftsträger a.i.


Hagenstrasse 56

14193 Berlin


Fax: 030-862 061 50

E-Mail: berlin@mofa.gov.qa

 

Amnesty fordert:

  • Bitte setzen Sie sich beim Emir von Katar dafür ein, dass die willkürliche Inhaftierung von Mohammed al-Sulaiti umgehend beendet wird.
  • Sollte es glaubhafte Beweise geben, dass er eine unter internationalem Gesetz anerkannte Straftat begangen hat, muss er ordnungsgemäß angeklagt werden und die Möglichkeit erhalten, seine Inhaftierung sowie die Anklagen ohne Verzögerung gerichtlich anzufechten; andernfalls muss er freigelassen werden.
  • Bis zu seiner Freilassung muss ihm der Kontakt zu einem Rechtsbeistand und zu seiner Familie gewährt werden. Bitte sorgen Sie auch dafür, dass er vor Folter und anderen Misshandlungen geschützt wird.

Sachlage

Am 4. Oktober 2020 nahmen die katarischen Behörden Mohammed al-Sulaiti fest, nachdem er regierungskritische Posts auf Twitter veröffentlicht hatte. Vier Fahrzeuge ohne offizielle Kennzeichnung fuhren vor seinem Haus in Doha vor und Angehörige der Staatssicherheit in Zivil nahmen ihn mit, ohne sich auszuweisen. Katarische Bekannte von Mohammed al-Sulaiti bestätigten, dass gegen ihn keine Anzeigen oder ausstehende Haftbefehle vorlagen. Amnesty International konnte verifizieren, dass er von der Staatssicherheitsbehörde festgehalten wird. Die ersten zwei Wochen seiner Haft verbrachte er ohne Kontakt zur Außenwelt. Bislang wurden keine Vorwürfe gegen ihn erhoben. Es handelt sich somit um eine willkürliche Inhaftierung.

Mohammed al-Sulaiti wurde bereits zum zweiten Mal von den katarischen Behörden willkürlich inhaftiert. Das erste Mal nahm man ihn in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 2018 im Flughafen von Doha fest, als er – aus den USA kommend – auf der Durchreise in die Türkei war. Damals verbrachte er ohne Anklage fünf Monate in Haft und wurde schließlich freigelassen, ohne dass ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet wurde. Während dieser Zeit wurde Mohammed al-Sulaiti von der Staatssicherheitsbehörde festgehalten, einem Geheimdienst mit umfassendem rechtlichen Mandat und Sonderbefugnissen zur Inhaftierung.

Als er am 22. Dezember 2018 endlich aus der Verwaltungshaft entlassen wurde, verhängten die Behörden ohne rechtliche Grundlage ein unbefristetes Reiseverbot gegen Mohammed al-Sulaiti und er konnte das Land nicht verlassen. In Katar haben Einzelpersonen keine wirksamen Möglichkeiten, um gegen Reiseverbote vorzugehen, die von der Staatssicherheitsbehörde oder der Staatsanwaltschaft nach Belieben verhängt werden können. Mohammed al-Sulaiti äußerte sich in den Sozialen Medien, vor allem auf Twitter, kritisch über sein Reiseverbot. Im August dieses Jahres veröffentlichte Amnesty International einen englisch- und arabischsprachigen Bericht zu Mohammed al-Sulaiti und drei weiteren katarischen Staatsangehörigen, die mit willkürlichen Reiseverboten belegt wurden. In den darauffolgenden Wochen verbreitete er diesen Bericht aktiv auf Twitter und protestierte damit gegen die katarische Politik. Auf seinem Twitter-Account führte er unter anderem eine öffentliche Befragung durch, bei der er katarische Staatsangehörige einlud, ihre eigenen Erfahrungen mit Reiseverboten zu teilen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Zum Zeitpunkt seiner ersten Inhaftierung im Juli 2018 hatte der katarische Staatsbürger Mohammed al-Sulaiti seit drei Jahren in den USA gelebt. Er hatte ein gültiges Zehnjahresvisum, lebte im Großraum Detroit und war Mitbesitzer und Geschäftsführer eines Lebensmittelgeschäfts in Detroit und eines Restaurants in Ann Arbor. Auch seine Familie lebte dort mit ihm und seine Kinder gingen in Detroit zur Schule. Im Sommer 2018 buchte er einen Flug in die Türkei, um dort mit seiner Familie Urlaub zu machen. Unterwegs, bei einer Zwischenlandung im Internationalen Flughafen Hamad in Doha, wurde er in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 2018 festgenommen. Die nächsten fünf Monate wurde er im Gewahrsam der Staatssicherheitsbehörde festgehalten. Nach Paragraf 1 des Verfassungsgesetzes untersteht diese nur dem Emir und ist mit großen Befugnissen ausgestattet untersteht. Anklage wurde nicht erhoben und der Zugang zu einem Rechtsbeistand wurde ihm verweigert.

Laut Berichten von Mohammed al-Sulaiti und ihm nahestehenden Personen ist seine Festnahme 2018 auf einen Streit mit der Familie seiner Ex-Frau zurückzuführen. Diese soll ein Familienmitglied im Büro der Staatsanwaltschaft dazu veranlasst haben, Vorwürfe wegen politischer Opposition gegen ihn zu erheben. Mohammed al-Sulaiti und die ihm nahestehenden Personen erklärten Amnesty International, dass er nicht an Politik interessiert sei und nur wegen seiner willkürlichen Inhaftierung und dem gegen ihn verhängten Reiseverbot nach seiner Freilassung am 22. Dezember 2018 Kritik an der Regierung geübt habe. Ungeachtet der Inhaftierungsgründe muss der Staat den Freiheitsentzug einer Person rechtfertigen können. Katar ist seit 2018 Mitgliedstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, in dem in Artikel 9 und 14 prozessuale Schutzmaßnahmen gegen willkürliche Inhaftierungen festgeschrieben sind. Der UN-Menschenrechtsausschuss, das Organ, das die Einhaltung des Pakts überprüft, schreibt, dass das in den genannten Artikeln festgeschriebene Recht auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren "verlangt, dass der oder die Beschuldigte umgehend Zugang zu Beratung erhält" und sich "ungestört mit seinem Rechtsbeistand treffen kann". Zudem muss das Recht, eine rechtliche Verteidigung vorzubereiten, "den Zugang zu allen Materialien, die die Staatsanwaltschaft im Gericht gegen die Beschuldigten verwenden wird, beinhalten".

Während seiner ersten Inhaftierung erhielt Mohammed al-Sulaiti keine Unterlagen über Vorwürfe, mögliche Anklagen, Ermittlungen oder Beweise gegen ihn. Er konnte mit seinem Rechtsbeistand auch keine wirksame Verteidigung vorbereiten, da er sich nur einmal, Ende September, mit ihm treffen durfte. Abgesehen von diesem einen Treffen sah Mohammed al-Sulaiti seinen Rechtsbeistand nur im Gerichtssaal – bei einigen Anhörungen konnten sie nicht einmal neben einander sitzen. Nach einer ersten von der Staatssicherheitsbehörde angeordneten 30-tägigen Haft geht die Verantwortung für eine weitere Inhaftierung nach Paragraf 7 des Gesetzes der Staatssicherheitsbehörde von der Staatssicherheit auf die Staatsanwaltschaft über. Nach Paragraf 33.2 des Strafverfahrensgesetzes muss ab diesem Zeitpunkt eine weitere Inhaftierung alle 30 Tage erneut vor Gericht begründet werden. Im Fall von Mohammed al-Sulaiti wurden diese Gerichtstermine als reine Formsache abgetan und das Recht, seine fortgesetzte Inhaftierung anzufechten, wurde ihm verweigert – wie die nicht genehmigten Unterredungen mit seinem Rechtsbeistand zeigen. Die ersten vier Monate in Haft verbrachte er auf einem großen Gelände der Staatssicherheitsbehörde, auf dem sich auch ein Hauptgebäude des Innenministeriums befindet. Der Komplex liegt östlich des Stadtteils Fereej bin Omran. Im November 2018 wurde er in eine andere Hafteinrichtung verlegt, die sich in einem Industriegebiet Dohas an einer Brücke der Ausfallstraße Salwa befindet. Laut unabhängigen Informationen ist dieses Haftzentrum das Hauptuntersuchungsgefängnis in Katar. Auf Karten im Internet ist es jedoch nicht eingezeichnet. Mohammed al-Sulaiti war dort im letzten Monat seiner Haft eingesperrt.

Nach seiner Freilassung musste Mohammed al-Sulaiti wegen des Reiseverbots in Katar bleiben. Er konnte nicht zu seinen Unternehmen und seiner Lebensgrundlage in die USA zurückkehren. Daraufhin äußerte er sich immer öfter öffentlich über sein Reiseverbot und im August 2020 veröffentlichte Amnesty international einen Bericht, der sein Reiseverbot als eine der zahlreichen willkürlichen Verwaltungsstrafen gegen katarische Bürger_innen aufzählt. Während den darauffolgenden sechs Wochen postete Mohammed al-Sulaiti immer wieder Auszüge aus diesem Bericht auf seinem Twitter-Account @mohdalsulaiti74i. Am 4. Oktober 2020 wurde er, scheinbar ohne Haftbefehl, in seinem Haus festgenommen und unversehens verschwand auch sein Twitter-Account. Viele Inhalte, die er geteilt hatte, z.B. einen Aufruf zu einer Internet-Umfrage, um die Zahl katarischer Bürger_innen mit einem Reiseverbot zu erheben, bleiben durch das Internet Archive-Projekt dennoch erhalten. Nach seiner Inhaftierung schrieb Amnesty an das staatliche katarische Menschenrechtsinstitut NHRC (National Human Rights Committee), die Staatsanwaltschaft und das Büro für Regierungskommunikation, um sich über seinen Verbleib zu erkundigen. Am 19. Oktober antwortete das NHRC, dass Mohammed al-Sulaiti von der Staatssicherheit wegen nicht weiter ausgeführter "Verbrechen gegen die Nationale Sicherheit" festgehalten werde. Er hatte beinahe zwei Wochen keinen Kontakt zur Außenwelt und seine Familie durfte ihn bis jetzt nur einmal anrufen. Die UN-Arbeitsgruppe zu willkürlichen Inhaftierungen schrieb in ihrem kürzlich veröffentlichten Bericht über Katar, dass sie während ihres offiziellen Besuchs in Doha 2019 das Haftzentrum der Staatssicherheit nicht besuchen durfte und dass das Gesetz, das die Inhaftierungsbefugnisse der Behörde regelt, ihr ein außergewöhnliches und höchst problematisches Maß an willkürlicher Macht verleiht. Die Arbeitsgruppe sei darüber informiert worden, "dass dies in der Praxis zu sehr langem Freiheitsentzug führe und damit die internationalen Menschenrechtsstandards verletze."