Iran: Vier Kurden droht geheime Hinrichtung

Das Bild zeigt eine Collage mit Porträtbildern von Männern

Wurden im Iran hingerichtet: Die kurdischen Dissidenten Pejman Fatehi, Vafa Azarbar, Mohammad (Hazhir) Faramarzi und Mohsen Mazloum (von links).

+++ Update 29. Januar 9.30 Uhr: Uns hat die traurige Nachricht erreicht, dass Pejman Fatehi, Vafa Azarbar, Mohammad (Hazhir) Faramarzi und Mohsen Mazloum heute Morgen im Iran hingerichtet wurden. Amnesty ist schockiert über die anhaltende Hinrichtungswelle im Iran +++
Die iranisch-kurdischen Dissidenten Pejman Fatehi, Vafa Azarbar, Mohammad (Hazhir) Faramarzi und Mohsen Mazloum sind in großer Gefahr, heimlich und ohne vorherige Benachrichtigung ihrer Familien und Rechtsbeistände hingerichtet zu werden. Die iranischen Behörden halten Schicksal und Verbleib der vier Männer seit ihrer Festnahme im Juli 2022 geheim. Verschwindenlassen ist ein Verbrechen unter dem Völkerrecht. Am 2. Januar 2024 bestätigte der Obersten Gerichtshof die Todesurteile der Männer, die nach einem grob unfairen Geheimprozess verhängt worden waren, und verfügte die Vollstreckung – inmitten einer erschreckenden Zunahme von Hinrichtungen im Iran. 

Bitte beachten: Allen Personen mit persönlichen Beziehungen in den Iran raten wir, eine Teilnahme zu prüfen. Dieses Schreiben wird mit deinem Vor- und Nachnamen und Mail-Adresse an den Adressaten im Land gesandt. 

Appell an

Head of Judiciary, Gholamhossein Mohseni Ejei
c/o Embassy of Iran to the European Union
Avenue Franklin Roosevelt No. 15
1050 Brüssel
BELGIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Iran
S. E. Herrn Mahmoud Farazandeh
Podbielskiallee 67
14195 Berlin 
Fax: 030 84 35 3-133
E-Mail: info@iranbotschaft.de

Amnesty fordert:

  • Ich bitte Sie, Schicksal und Verbleib von Pejman Fatehi, Vafa Azarbar, Mohammad (Hazhir) Faramarzi und Mohsen Mazloum unverzüglich preiszugeben, alle Pläne zu ihrer Hinrichtung zu stoppen und ihre Schuldsprüche und Todesurteile aufzuheben. Sollten sie einer international als Straftat anerkannten Handlung angeklagt werden, müssen sie in einem Prozess vor Gericht gestellt werden, der den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht, unter Ausschluss erzwungener "Geständnisse" und ohne Rückgriff auf die Todesstrafe. 
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass sie bis zu ihrer Freilassung vor Folter und anderweitiger Misshandlung geschützt sind und umgehend regelmäßigen Zugang zu ihren Familien, einem Rechtsbeistand ihrer Wahl und angemessener medizinischer Versorgung erhalten.
  • Bitte erlassen Sie umgehend ein Hinrichtungsmoratorium als ersten Schritt hin zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe.

Sachlage

Die iranisch-kurdischen Dissidenten Pejman Fatehi, Vafa Azarbar, Mohammad (Hazhir) Faramarzi und Mohsen Mazloum, die seit ihrer Festnahme im Juli 2022 "verschwunden" sind, laufen Gefahr, heimlich hingerichtet zu werden, ohne dass ihre Familien oder Rechtsbeistände davon in Kenntnis gesetzt werden. Wie die Angehörigen der Männer und ihr unabhängiger Rechtsbeistand erfuhren, wurden ihre Todesurteile vom Obersten Gerichtshof am 2. Januar 2024 bestätigt und an die Vollstreckungsbehörde in Teheran weitergeleitet. Am 16. Januar 2024 teilte der unabhängige Rechtsbeistand der Männer auf X (ehemals Twitter) mit, dass sein Antrag auf gerichtliche Überprüfung des Urteils abgelehnt wurde, weil er diesem keine Kopien des Urteils beifügen konnte, wie es das iranische Gesetz verlangt. Die Behörden haben sich geweigert, den Aufenthaltsort der Männer bekannt zu geben, die genauen Anklagepunkte, wegen derer sie verurteilt wurden, offen zu legen, ihrem unabhängigen Rechtsbeistand Zugang zu ihren Akten zu gewähren sowie Kopien der Urteile zu übermitteln, die von der Abteilung 26 des Revolutionsgerichts und dem Obersten Gerichtshof im Geheimen gefällt worden waren. Am 14. Januar 2024 versammelten sich ihre Angehörigen vor dem Evin-Gefängnis in Teheran, wo sie die Gefangenen vermuten, um gegen deren Todesurteile zu protestieren und die Möglichkeit eines Besuchs zu fordern. Als Vergeltungsmaßnahme lud das Geheimdienstministerium die Familienangehörigen der vier Männer vor. Es drohte ihnen mit Tod, Folter und Gefängnis, falls sie weiterhin protestieren und sich nach ihren Angehörigen erkundigen sollten. Die Schikanen und Einschüchterungsversuche der iranischen Behörden gegenüber den Familien und die konsequente Verweigerung von Informationen über das Schicksal und den Verbleib der vier Männen, die ihre Ängste und ihr Leid noch vergrößern, verstoßen gegen das absolute Verbot von Folter und anderen Misshandlungen. 

Die Schuldsprüche und Todesurteile gegen die vier Männer folgen schwerwiegenden Verstößen gegen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Dieses beinhaltet die Rechte auf einen Rechtsbeistand ihrer Wahl ab dem Zeitpunkt der Festnahme, eine angemessene Verteidigung, das Recht zu schweigen, sich nicht selbst zu belasten und das Recht auf eine faire, öffentliche Anhörung. Zudem wurde in ihren Fällen gegen die Unschuldsvermutung verstoßen, auch eine sinnvolle Überprüfung durch ein höheres Gericht wird ihnen verweigert. Am 6. Januar 2024 erklärte ihr unabhängiger Rechtsbeistand auf X, dass er "nur auf dem Papier" ihr Anwalt sei, da er nie Zugang zu seinen Mandanten erhalten habe. Die vier Männer waren am 20. Juli 2022 von Angehörigen des Geheimdienstministeriums in Urmia in der Provinz West-Aserbaidschan festgenommen worden. Am 12. Oktober und 5. Dezember 2022 strahlte das iranische Staatsfernsehen ein Propagandavideo aus, in dem sie "gestanden", auf Anweisung des israelischen Geheimdienstes ein Bombenattentat auf ein Industriegebiet in der Nähe der Stadt Isfahan geplant zu haben. Amnesty International dokumentiert seit langem, dass die iranischen Behörden unter Folter oder anderen Misshandlungen falsche "Geständnisse" erzwingen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

In den vergangenen 18 Monaten haben sich die Familien und der unabhängige Rechtsbeistand von Pejman Fatehi, Vafa Azarbar, Mohammad (Hazhir) Faramarzi und Mohsen Mazloum in Haftanstalten, Gerichten und Büros des Geheimdienstministeriums in Urmia, Mahabad, Sanandaj, Isfahan und Teheran nach dem Schicksal und Verbleib der vier Männer erkundigt. Doch die Behörden verweigerten jede Auskunft. Stattdessen haben sie die verzweifelten Angehörigen willkürlich inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt, unter anderem durch Schläge und Beschimpfungen. Sie drohten, die Angehörigen zu entführen, zu töten, zu foltern oder ihnen anderweitig zu schaden, sollten diese sich weiterhin öffentlich äußern. Am 25. Juli 2023, etwa am Jahrestag der Festnahme der vier Männer, nahmen Angehörige des Geheimdienstministeriums auch den Bruder von Mohsen Mazloum, Omid Mazloum, in der Nähe von Mahabad in der Provinz West-Aserbaidschan fest. Sie hielten ihn 40 Tage lang willkürlich gefangen. Während der Verhöre schlugen, folterten und misshandelten ihn die Geheimdienstangehörigen. Sie drohten ihm und anderen Familienmitgliedern, sollten diese weiterhin nach den vier Männern suchen. Etwa zur gleichen Zeit luden Angehörige des Geheimdienstministeriums den Bruder und den Vater von Vafa Azarbar zur Befragung in ihre Büros in Urmia bzw. Boukan vor und warnten auch sie, sich öffentlich zu äußern. Im Frühjahr 2023 teilten Angehörige des Geheimdienstministeriums der Schwester von Mohammad (Hazhir) Faramarzi mit, sie solle sich nicht weiter nach ihm erkundigen, da "seine Hinrichtung unmittelbar bevorstehe". Sie sagten ihr: "Wir werden Ihnen Bescheid sagen, wann Sie seine Leiche abholen müssen". Nachdem im Januar 2023 Videos in Umlauf kamen, in denen die Mütter von Pejman Fatehi, Mohammad (Hazhir) Faramarzi und Mohsen Mazloum die Behörden aufforderten, ihnen Zugang zu ihren Söhnen zu gewähren, luden Angehörige des Geheimdienstministeriums Familienmitglieder zu Verhören vor und drohten ihnen mit Gefängnis, sollten sie weitere Nachforschungen über das Schicksal und den Verbleib der vier Männer anstellen. Nach der Veröffentlichung des Videos hielten Geheimdienstangehörige in Sanandaj in der Provinz Kurdistan die Mutter von Pejman Fatehi mehrere Stunden lang willkürlich fest und schlugen sie, weil sie "einen solchen Sohn großgezogen" habe. Sie drohten ihr und anderen Verwandten mit Gefängnis.

Mehrfach leugneten Angehörige der Behörden, überhaupt etwas über die vier Männer zu wissen, und das auch noch nach der Ausstrahlung der Videos mit den erzwungenen "Geständnissen". Das erste Mal, dass die Familien der Männer seit ihrer Festnahme im Juli 2022 etwas über sie erfuhren, war am 12. Oktober 2022, als ihre erzwungenen "Geständnisse" in einem Propagandavideo im staatlichen Fernsehen gesendet wurden. In einem offenen Brief vom 26. November 2022 an Javaid Rehman, den UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage im Iran, beschreiben die Familien die Gesichter der Männer bei ihren erzwungenen "Geständnissen" als "schwach, müde und gequält". In einer früheren Erklärung des Geheimdienstministeriums, die am 23. Juli 2022 in den staatlichen Medien veröffentlicht wurde, wurde die Festnahme von vier nicht namentlich genannten Personen bekanntgegeben, die der "Spionage" für Israel und der Planung "terroristischer" Handlungen im Iran beschuldigt wurden. Ihre Familien gehen davon aus, dass diese Bekanntmachungen sich auf die vier Männer bezogen. Dafür sprachen der Zeitpunkt und die Art der Anschuldigungen, die offensichtlich im Zusammenhang mit ihrer Zugehörigkeit zu der verbotenen kurdischen oppositionellen Gruppe Komala standen. Als Reaktion gab Komala am 27. Juli 2022 eine Erklärung ab, in der die Organisation "die falschen und unbegründeten Anschuldigungen" gegen ihre Mitglieder entschieden zurückwies und erklärte, die vier Männer seien in der Provinz West-Aserbaidschan bei der Durchführung organisatorischer und politischer Aktivitäten festgenommen worden. 

Einige kurdische Oppositionsgruppen, darunter auch Komala, verfügen über eigene bewaffnete Flügel, die außerhalb des Irans ansässig sind und bewaffnete Konfrontationen mit den staatlichen Behörden im Lande führen. Die iranischen Behörden nehmen routinemäßig Angehörige der kurdischen Minderheit im Iran willkürlich fest und inhaftieren sie, nur weil sie tatsächlich oder vermeintlich kurdische Parteien unterstützen oder mit ihnen in Verbindung stehen. Sie legen nur selten ausreichende Beweise vor, die auf eine direkte oder indirekte Beteiligung an einer international als Straftat anerkannten Handlung hinweisen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung schließt das Recht ein, sich kritisch über das vorherrschende politische System zu äußern und entweder alleine oder gemeinsam mit anderen friedlich für alternatives politisches Gedankengut einzutreten, solange dieses keinen Hass schürt und nicht zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufruft.

Die iranischen Behörden haben kürzlich eine weitere alarmierende Hinrichtungswelle gestartet und allein im November 2023 mindestens 115 Menschen hingerichtet – fast doppelt so viele wie im November 2022. Dieser Anstieg erfolgt vor dem Hintergrund, dass die iranischen Behörden die Todesstrafe verstärkt als Mittel der politischen Unterdrückung einsetzen. Betroffen sind Demonstrierende, Dissident*innen und Angehörige unterdrückter ethnischer Minderheiten, insbesondere Kurd*innen und Belutsch*innen, die in unverhältnismäßig hohem Maße von Todesurteilen betroffen sind. Die Behörden nutzen diese ultimative grausame und unmenschliche Bestrafung, um die Menschen im Iran zu terrorisieren und mit brutaler Gewalt Schweigen und Unterwerfung zu erzwingen. Die iranischen Behörden sind seit langem dafür bekannt, Angehörige ethnischer Minderheiten heimlich hinzurichten und ihr Schicksal und den Verbleib ihrer sterblichen Überreste jahrelang zu verschleiern. Dieses Vorgehen verletzt das uneingeschränkte Verbot der Folter und anderer Misshandlungen. Amnesty International wendet sich in allen Fällen, weltweit und ausnahmslos gegen die Todesstrafe, da sie das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebene Recht auf Leben verletzt und die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen darstellt.