Frauenrechtlerin droht lange Haftstrafe

Saba Kordafshari, iranische Frauenrechtlerin

Saba Kordafshari, iranische Frauenrechtlerin

Die iranische Frauenrechtlerin Saba Kordafshari ist wegen ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Unter anderem hat sich die 21-Jährige für die Abschaffung der Verschleierungsgesetze stark gemacht. Wenn das Urteil im Berufungsverfahren aufrechterhalten wird, muss die junge Frau 15 Jahre ihrer Haftstrafe verbüßen. Sie ist eine gewaltlose politische Gefangene und muss umgehend und bedingungslos freigelassen werden.

Appell an

Oberste Justizautorität

Ebrahim Raisi

Permanent Mission of Iran to the UN

Chemin du Petit-Saconnex 28

1209 Genf

SCHWEIZ

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Iran

S.E. Herrn Mahmoud Farazandeh

Podbielskiallee 65-67

14195 Berlin

Fax: 030 83 222 91 33


E-Mail: info@iranbotschaft.de

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie Saba Kordafshari bitte unverzüglich und bedingungslos frei, da sie eine gewaltlose politische Gefangene ist und sich nur wegen ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit in Haft befindet.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass sie bis zu ihrer Freilassung regelmäßigen Kontakt zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl aufnehmen kann.
  • Stellen Sie bitte die Kriminalisierung von Frauenrechtler_innen ein und unternehmen Sie Schritte zur Abschaffung des Verschleierungsgesetzes.

Sachlage

Die iranische Frauenrechtlerin Saba Kordafshari wurde am 27. August vor der Abteilung 26 des Teheraner Revolutionsgerichts wegen ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt. Unter anderem hat sich die junge Frau für die Abschaffung der diskriminierenden Verschleierungsgesetze eingesetzt und öffentlich über Menschenrechtsverletzungen gesprochen. Die 24-jährige Freiheitsstrafe setzt sich folgendermaßen zusammen: 15 Jahre für "Anstiftung zu und Begünstigung von Verdorbenheit und Prostitution" wegen mutmaßlicher Anstiftung zur "Entschleierung"; siebeneinhalb Jahre für "Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit" und eineinhalb Jahre wegen "Verbreitung von Propaganda gegen das System". Saba Kordafshari wartet derzeit auf den Ausgang ihres Rechtsmittelverfahrens. Wenn Schuldspruch und Strafmaß aufrechterhalten werden, muss die Frauenrechtlerin 15 Jahre ihrer Haftstrafe verbüßen. Laut der iranischen Gesetzeslage haben Personen, die aufgrund mehrfacher Anklagen verurteilt werden, die die längste Einzelstrafe zu verbüßen – in diesem Fall die 15 Jahre.

Das Verfahren gegen Saba Kordafshari entsprach nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren. So durfte sie sich nach ihrer Inhaftierung am 1. Juni 2019 mehr als zwei Monate lang nicht mit ihrem Rechtsbeistand treffen und konnte sich nicht angemessen auf ihre Gerichtsverhandlung vorbereiten, da dem Rechtsbeistand erst einen Tag vor der Verhandlung Bescheid gesagt wurde und er die Gerichtsakte erst am Tag des Verfahrens einsehen durfte. Als der Rechtsbeistand sich beschwerte, die Gerichtsakte sei unvollständig, und Einsicht in die restlichen Dokumente forderte, erklärten ihm die Behörden, das "habe [ihn] nicht zu interessieren". Am 19. August 2019, dem Tag der Verhandlung, legte man Saba Kordafshari Handschellen und eine Augenbinde an, bevor man sie zum Gericht brachte. Sie sagte ihrer Familie später, dass im Gerichtssaal gefilmt wurde und dass ihr Verhörbeamter sowie Angehörige der Revolutionsgarden anwesend waren. Ihren Angaben zufolge wies der Richter ihren Antrag auf eine Freilassung gegen Kaution ab.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Saba Kordafshari wurde am 1. Juni 2019 bei sich zuhause von elf in Zivil gekleideten Angehörigen des Geheimdienstministeriums festgenommen. Ihrer Mutter Raheleh Ahmadi wurden dabei Handschellen angelegt und das Mobiltelefon und der Laptop von Saba Kordafshari beschlagnahmt. Saba Kordafshari wurde elf Tage lang im Teheraner Vozara-Haftzentrum in Einzelhaft festgehalten. Man verhörte sie zu ihren Verbindungen mit der iranischen Menschenrechtsgruppe Human Rights Activists News Agency (HRANA), der sie in der Vergangenheit Informationen über Haftbedingungen hatte zukommen lassen, welche sie von dem gewaltlosen politischen Gefangenen Alireza Shirmohammadali erhalten hatte. Alireza Shirmohammadali wurde am 10. Juni 2019 im Teheraner Fashafouyeh-Gefängnis getötet. Saba Kordafshari wurde zudem unter Druck gesetzt, die Online-Kampagne White Wednesdays zu verurteilen, die sich gegen die Verschleierungsgesetze richtet, sowie ihre Gründerin Masih Alinejad, eine iranische Journalistin in den USA. Am 11. Juni wurde Saba Kordafshari in das Gefängnis in Shahr-e Ray verlegt, in dem Frauen inhaftiert sind, die eine Strafe wegen schwerer Gewaltverbrechen verbüßen. Das Gefängnis ist überbelegt und die Haftbedingungen sind sehr schlecht.

Am 2. Juli verlegte die Spionageabwehreinheit der Revolutionsgarden Saba Kordafshari an einen anderen Ort. Erst am 13. Juli wurde die Frauenrechtlerin zurück in das Gefängnis Shahr-e Rey gebracht. In diesen zwölf Tagen war sie Opfer des Verschwindenlassens, da die Behörden ihrer Familie keine Informationen über ihr Schicksal oder ihren Verbleib gaben. Saba Kordafshari sagte ihrer Familie später, dass sie während dieser Zeit im Trakt 2A des Evin-Gefängnisses festgehalten wurde, der den Revolutionsgarden untersteht. Dort habe man sie unter Druck gesetzt, ein "Geständnis" abzulegen. Die Verhörbeamt_innen machten ihre Freilassung von dem Ablegen eines "Geständnisses" abhängig und drohten damit, ihre Mutter Raheleh Ahmadi festzunehmen, wenn sie nicht kooperierte. Am 10. Juli wurde Raheleh Ahmadi tatsächlich festgenommen. Saba Kordafshari berichtete, dass sie sich mit verhülltem Kopf in einem Verhörzimmer befand, als sie plötzlich hörte, wie man in der Nähe ihre Mutter verhörte. Daraufhin zwang man sie, vor der Kamera ein "Geständnis" abzulegen. Wenige Tage später sah Saba Kordafshari ihre Mutter im Gefängnis Shahr-e Rey wieder. Raheleh Ahmadi wurde am 14. Juli gegen Kaution freigelassen. Am 13. August verlegte man Saba Kordafshari in den Frauentrakt des Teheraner Evin-Gefängnisses.

Jüngst hat sich im Iran eine Gegenbewegung zur obligatorischen Verschleierung herausgebildet. Frauen und Mädchen zeigen mutig offenen Widerstand: Indem sie sich still an öffentlichen Orten platzieren und ihr an ein Stock gebundenes Kopftuch hochhalten, oder indem sie sich selbst filmen, wie sie mit offenen Haaren die Straße entlanggehen. Zu dieser Bewegung gehört die beliebte Online-Kampagne White Wednesdays, die Frauen dazu auffordert, jeden Mittwoch Videos und Fotos von sich selbst in den Sozialen Medien zu posten, die sie mit weißen Kopftüchern oder weißen Kleidungsstücken zeigen. Im Rahmen der Kampagne My Stealthy Freedom (Meine heimliche Freiheit) teilen iranische Frauen Fotos von sich ohne Kopftuch. Gesetze zur obligatorischen Verschleierung verstoßen gegen eine ganze Reihe von Menschenrechten, so zum Beispiel die Rechte auf Gleichstellung, Privatsphäre, freie Meinungsäußerung und Glaubensfreiheit. Das Verschleierungsgesetz schränkt das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und Mädchen ein.