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Irak: Hilfsrichter droht zweites unfaires Strafverfahren
Hilfsrichter Hatsyar Wshyar
© privat
Dem Hilfsrichter Hatsyar Wshyar drohen bis zu sieben Jahre Gefängnis wegen Posts in den Sozialen Medien, für die er bereits ein Jahr Haft verbüßt hat. Er wird nach wie vor in Haft gehalten und ihm steht ein weiteres Verfahren wegen derselben Twitternachrichten bevor. Die kurdischen Behörden müssen Hatsyar Wshyar umgehend und bedingungslos freilassen und alle Anklagen gegen ihn fallenlassen.
Appell an
Judge Bengeen Qasim Mohamed Kattany
Kurdistan Region Judicial Council
c/o Dr. Dindar Zebari
Head of the Committee to Evaluate and Respond to International Reports
Erbil
IRAK
Sende eine Kopie an
Vertretung der Regionalregierung Kurdistan-Irak in Deutschland
Herrn Dilshad Barzani
P.O. Box 150 101
10633 Berlin
Fax: 030 – 2888 495-29
E-Mail: germany@gov.krd
oder:
Vertretung der Regionalregierung Kurdistan-Irak in Österreich
Canovagasse 7 / Top 6
1010 Wien, ÖSTERREICH
Fax: (00 43) 1 505 02 07-40
E-Mail: representation@at.gov.krd
Amnesty fordert:
- Lassen Sie Hatsyar Wshyar bitte umgehend und bedingungslos frei und lassen Sie alle noch anhängigen Anklagen gegen ihn fallen.
- Sorgen Sie bitte dafür, dass die 2019 erhobenen Foltervorwürfe unverzüglich unabhängig, unparteiisch und wirksam untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und dass Hatsyar Wshyar eine angemessene Entschädigung erhält.
Sachlage
Dem Hilfsrichter Hatsyar Wshyar drohen bis zu sieben Jahren Haft wegen derselben Posts in den Sozialen Medien, deretwegen er gerade eine einjährige Haftstrafe verbüßt hat. Er hatte in den Twitternachrichten das Verhalten von Richter_innen in Sulaimaniyya, einer Stadt im Osten der kurdischen Region des Irak, kritisiert. Die neue Anklage wegen dieser Posts nach Paragraf 226 des irakischen Strafgesetzbuchs lautet "Beleidigung öffentlicher Institutionen oder Regierungsvertreter". Die Gerichtsverhandlung soll am 7. März stattfinden.
Am 2. Dezember 2019 war er in einem unfairen Verfahren unter Paragraf 2 des irakischen Strafgesetzbuchs wegen "Missbrauchs von elektronischen Geräten" zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Die Anklagen bezogen sich auf dieselben Social Media Posts, deretwegen er jetzt wieder vor Gericht steht. Das Verfahren entsprach 2019 nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren: Die Verhandlung wurde hinter verschlossenen Türen abgehalten, Hatsyar Wshyar durfte sich nicht äußern und hatte keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl.
Obwohl Hatsyar Wshyar die Gefängnisstrafe aus dem damaligen Verfahren am 2. Dezember 2020 verbüßt hatte, befindet er sich bis heute im Gewahrsam der kurdischen Sicherheitskräfte (Asayish) in Sulaimaniyya. Seine Familie hat ihn im Oktober 2020 zum letzten Mal gesehen. Er durfte sie seither nur drei Mal anrufen und bei jedem dieser Telefonate weniger als eine Minute mit ihnen sprechen. Am 28. Februar 2021 hatte Hatsyar Wshyar 30 Minuten Besuch von seinem Rechtsbeistand. Während der ganzen Zeit waren Mitglieder der Asayish anwesend. Bei diesem einzigen Treffen mit seinem Rechtsbeistand konnte Hatsyar Wshyar ihm durch die Anwesenheit der Asayish keine Auskunft über seine Haftbedingungen geben. Bis zum 2. März 2021 hatte der Rechtsbeistand auch keinen Zugang zur Fallakte von Hatsyar Wshyar.
Hatsyar Wshyars Rechte auf freie Meinungsäußerung und ein faires Gerichtsverfahren wurden 2019 verletzt. Jetzt wird er wegen derselben vermeintlichen Straftaten zum zweiten Mal vor Gericht gestellt und es besteht erneut die Sorge, ob ihm gestattet wird, seine Verteidigung angemessen vorbereiten zu können. Dies verstößt gegen die Verpflichtungen des Irak unter Artikel 38 der irakischen Verfassung und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte.
Hintergrundinformation
Im Jahr 2017 strengte die Gewerkschaft der Richter_innen unter Paragraf 236 des Strafgesetzbuchs mehrere Gerichtsverfahren gegen Hatsyar Wshyar an, weil er "auf seinen privaten Social-Media-Konten unschickliche Ausdrücke gegen bestimmte Personen" verwendet haben soll. Der Hilfsrichter veröffentlichte regelmäßig Beiträge in den Sozialen Medien, in denen er das Justizsystem in Sulaimaniyya kritisierte und gerichtliche Praktiken anprangerte, die er als korrupt betrachtete. Er befand sich 50 Tage lang im Gewahrsam und wurde zu vier Monaten Haft verurteilt. Während dieser Zeit wurde er seines Amtes enthoben. Im Januar 2018 kam er frei und leitete wegen seiner Entlassung rechtliche Schritte gegen das Gericht ein.
Am 24. November 2019 wurde Hatsyar Wshyar von Angehörigen der kurdischen Sicherheitskräfte (Asayish) während einer gerichtlichen Anhörung willkürlich festgenommen. Die Sicherheitskräfte durchsuchten seine Wohnung und beschlagnahmten sein Mobiltelefon, sein Laptop und offizielle Unterlagen in Verbindung mit dem Prozess. Er verbrachte sieben Tage in Einzelhaft und soll gefoltert worden sein. Anschließend wurde er von Angehörigen der Asayish zum Gericht gebracht, wo er am 2. Dezember 2019 in einer Verhandlung, die hinter verschlossenen Türen stattfand, unter Paragraf 2 des irakischen Strafgesetzbuchs wegen "Missbrauchs von elektronischen Geräten" zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Der Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl wurde ihm dabei verweigert und es wurde ihm ein_e Pflichtverteidiger_in zugewiesen. Auch durfte er sich bei der Verhandlung nicht selbt äußern. Nach seiner Verurteilung trat er für mehr als zwei Monate in den Hungerstreik. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich dabei erheblich.
Nach dem Verbüßen seiner Strafe am 2. Dezember 2020 wurde Hatsyar Wshyar nicht freigelassen, sondern in den Gewahrsam der als Asayish bezeichneten Sicherheitskräfte in Sulaimaniyya überstellt.