Protestierende inhaftiert

Eine große Gruppe von Demonstranten steht dicht gedrängt und hält Schilder in die Höhe.

Meeran Haider, Shifa-Ur-Rehman und die im dritten Monat schwangere Safoora Zargar wurden festgenommen, weil sie friedlich gegen das Staatsbürgerschaftsgesetz (Citizenship Amendment Act – CAA) demonstriert hatten. Das Gesetz legitimiert die Diskriminierung aufgrund der Religion und stellt einen klaren Verstoß gegen die indische Verfassung und internationale Menschenrechtsstandards dar. Nach dem Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (Unlawful Activities Prevention Act – UAPA) können die drei bis zu 180 Tage oder sogar länger ohne Anklage festgehalten werden  – ein Zeitraum, der internationale Standards bei weitem überschreitet. Da das UAPA keine Vorkehrungen für angemessene vorgerichtliche Schutzmaßnahmen gegen Folter und andere Misshandlungen vorsieht und in der Haftanstalt die unmittelbare Gefahr eines COVID-19-Ausbruchs besteht, besteht Anlass zu großer Sorge um die drei Aktivist_innen.

Appell an

Mr. Amit Shah

Union Home Minister of India

Ministry of Home Affairs

North Block

New Delhi - 110001

INDIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Indien

I.E. Frau Mukta Dutta Tomar

Tiergartenstr. 17

10785 Berlin


Fax: 030-2655 7000

E-Mail: hoc.berlin@mea.gov.in

Amnesty fordert:

  • Bitte sorgen Sie dafür, dass die Fälle von Safoora Zargar, Meeran Haider und Shifa-Ur-Rehman, die aufgrund eines repressiven Gesetzes wegen der Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert wurden, untersucht und sie unverzüglich aus der Untersuchungshaft freigelassen werden.
  • Ich fordere Sie außerdem auf, alle Gesetze, die das Recht auf freie Meinungsäußerung willkürlich oder pauschal einschränken, darunter auch das Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (UAPA), aufzuheben oder abzuändern und die indische Gesetzgebung mit internationalen Menschenrechtsnormen und -standards in Einklang zu bringen.

Sachlage

Meeran Haider, Shifa-Ur-Rehman und Safoora Zargar wurden wegen der Teilnahme an friedlichen Protesten festgenommen und sind derzeit im Tihar-Gefängnis, einem der überfülltesten Gefängnisse Indiens, inhaftiert. Die drei werden aufgrund der friedlichen Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung des Verstoßes gegen das repressive Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (UAPA) beschuldigt.

Die indische Regierung bedient sich routinemäßig repressiver Gesetze wie des UAPA, um die Menschenrechte zu untergraben und abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen. Diese Gesetze sind bloße Schikanierungsinstrumente, mit denen die Behörden Personen einschüchtern und inhaftieren, die der Regierung kritisch gegenüberstehen. Die langwierigen Ermittlungsverfahren und äußerst strengen Kautionsbestimmungen unter diesen Gesetzen stellen sicher, dass Menschen, die es wagen, ihre Stimme zu erheben, darunter Menschenrechtsverteidiger_innen, Anwält_innen und Journalist_innen, viele Jahre hinter Gittern verbringen müssen.

Meeran Haider, Shifa-Ur-Rehman und Safoora Zargar hatten im Februar 2020 an Protesten gegen das Staatsbürgerschaftsgesetz (CAA) teilgenommen, das die Diskriminierung aufgrund der Religion legitimiert und einen klaren Verstoß gegen die indische Verfassung und internationale Menschenrechtsstandards darstellt. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, das Europäische Parlament, die US-Kommission für internationale Religionsfreiheit (US Commission on International Religious Freedom – USCIRF) und verschiedene US-Senator_innen haben ernsthafte Bedenken hinsichtlich des CAA geäußert.

Es ist beunruhigend, dass die Regierung trotz mehrerer positiver COVID-19-Tests unter den Insassen eines Zentralgefängnisses in Indore und eines Bezirkgefängnisses in Karnataka auch weiterhin repressive Gesetze einsetzt, um friedliche Aktivist_innen zu inhaftieren und so ihr Leben ernsthaft in Gefahr bringt. 

Hintergrundinformation

Hintergrund

Safoora Zargar, Studentin an der Universität Jamia Millia, Meeran Haider, Mitglied des Koordinationskomitees der Universität, und Shifa-Ur-Rehman, Vorsitzender der islamischen Alumni-Vereinigung, werden beschuldigt, bei den Unruhen in Delhi im Februar 2020 als "maßgebliche Verschwörer_innen" beteiligt gewesen zu sein. Sie wurden jeweils am 10., 2. und 24. April festgenommen und anschließend unter dem Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (UAPA) inhaftiert.

Die Schwangerschaft von Safoora Zargar ist ein mildernder Faktor hinsichtlich ihrer weiteren Inhaftierung unter dem UAPA, insbesondere angesichts der COVID-19-Pandemie. Nach den Grundsätzen der Vereinten Nationen für die Behandlung weiblicher Gefangener und für nicht freiheitsentziehende Maßnahmen für weibliche Straffällige (Bangkok-Regeln) sind bei der Entscheidung über vorgerichtliche Maßnahmen Alternativen ohne Freiheitsentzug für schwangere Frauen zu bevorzugen, wo immer dies möglich und angemessen ist.

Am 22. Februar besetzen einige friedliche Protestierende einen Straßenabschnitt in der Nähe der Metrostation Jaffrabad im Nordosten Delhis, um gegen das Staatsbürgerschaftsgesetz zu protestieren. Einen Tag später hielt Kapil Mishra – ein Sprecher der Partei Bharatiya Janata Party (BJP) – eine provokative Rede und stellte der Polizei in Delhi ein dreitägiges Ultimatum, um die Demonstration aufzulösen. Kurz nach seiner Rede kam es zu Ausschreitungen und Angriffen gegen Muslim_innen durch aufgebrachte Hindus, bei denen mindestens 50 Menschen ums Leben kamen.

Während der Ausschreitungen tauchten verifizierte Videos auf, die zeigen, wie Angehörige der Polizeijunge Muslim_innen verprügelten und mit Steinen bewarfen. In einem dieser Videos zwangen die Polizeibeamt_innen mehrere Männer, die Nationalhymne zu singen, während diese die Polizist_innen baten, mit den Misshandlungen aufzuhören. Einer der Männer erlag später seinen Verletzungen.

Das im Dezember 2019 in Kraft getretene Staatsbürgerschaftsgesetz legitimiert die Diskriminierung aufgrund der Religion und stellt einen klaren Verstoß gegen die indische Verfassung und internationale Menschenrechtsstandards dar. Das Gesetz ist in seinem erklärten Ziel zwar einschließend, in seiner Struktur und Absicht jedoch ausschließend. Das Gesetz ist eine Ergänzung des Bürgerschaftsgesetzes von 1955 und soll Migrant_innen ohne regulären Aufenthaltsstatus den Erwerb der indischen Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung und Registrierung ermöglichen. Das Gesetz beschränkt das Recht darauf allerdings auf Hindus, Sikhs, Buddhist_innen, Jains, Pars_innen und Christ_innen aus Afghanistan, Bangladesch und Pakistan, die am oder vor dem 31. Dezember 2014 nach Indien eingereist sind. Außerdem müssen diese Gemeinschaften für die Einbürgerung nicht länger elf, sondern nur noch fünf Jahre ihren Wohnsitz in Indien nachweisen können.

Das CAA verstößt gegen das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz und das Recht auf Nichtdiskriminierung, wie es im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, denen Indien als Vertragsstaat angehört, garantiert wird.

Das Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (UAPA) wird von der indischen Regierung routinemäßig eingesetzt, um die Menschenrechte zu untergraben und abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen. Im Jahr 2018 lag die Verurteilungsrate unter dem UAPA bei 27 %, wobei 93 % der Fälle vor Gericht anhängig blieben. Es handelt sich um ein reines Schikaneinstrument der Regierung, um Personen, die ihr kritisch gegenüberstehen, einzuschüchtern und zu inhaftieren. Die langwierigen Ermittlungsverfahren und äußerst strengen Kautionsbestimmungen gemäß UAPA sorgen dafür, dass sie Jahre hinter Gittern verbringen müssen und schaffen einen Rahmen für rechtswidrige Inhaftierung und Folter.

Während friedliche Demonstrierende durch drakonische Gesetze mit willkürlichen Inhaftierungen konfrontiert sind, steht eine Untersuchung der Vorwürfe wegen des Einsatzes übermäßiger Gewalt gegen Demonstrierende während der CAA-Proteste und der anschließenden Unruhen, die zu einer Reihe von Todesopfern führten, noch aus. Darauf wiesen auch UN-Sonderberichterstatter_innen in einer Mitteilung an die indische Regierung vom 28. Februar 2020 hin.