Ecuador: Unterdrückung indigener Proteste

Eine Menschenmenge auf einem Platz, in der Mitte wird ein gelbes Spruchband hoch gehalten, auf dem "Amnistia" steht.

Demonstration der Organisation Mujeres Amazonicas in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito im März 2020

Am 14. Juni um kurz nach Mitternacht wurde Leónidas Iza, Präsident des Indigenenbündnisses CONAIE, in der ecuadorianischen Provinz Cotopaxi von Sicherheitskräften festgenommen. Er wurde ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten und wegen "Blockierens öffentlicher Infrastruktur" angeklagt, bevor man ihn am Abend wieder freiließ. Seine Inhaftierung war möglicherweise willkürlich, und das gegen ihn angestrengte Strafverfahren basiert allem Anschein nach auf der Kriminalisierung des Protestrechts. Menschenrechtsorganisationen berichten über weitere willkürliche Inhaftierungen sowie unverhältnismäßige Gewaltanwendung und Strafverfahren gegen Protestierende in Ecuador.

Appell an

Präsident

Guillermo Lasso

Palacio de Gobierno

García Moreno N10-43 entre Chile y Espejo

ECUADOR

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Ecuador

I. E. Frau Veronica Augusta Bustamante Ponce

Joachimstaler Straße 12

10719 Berlin

Fax: 030 - 800 969 699

E-Mail: info@ecuadorembassy.de

Amnesty fordert:

  • Beenden Sie bitte unverzüglich die Stigmatisierung, Unterdrückung und Kriminalisierung friedlicher Proteste.
  • Geben Sie bitte den Aufenthaltsort und die Anklagen gegen jegliche inhaftierten Personen bekannt und lassen sie willkürlich inhaftierte Personen frei.

Sachlage

Es liegen besorgniserregende Berichte über die Unterdrückung von Demonstrationen in Ecuador vor.

Am 20. Mai 2022 kündigten das Indigenenbündnis La Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador (CONAIE) und andere Organisationen an, dass sie ab dem 13. Juni massenhaft gegen die Sparmaßnahmen der Regierung sowie gegen die mangelhafte Gewährleistung ihrer wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Rechte und Umweltrechte protestieren würden. Gleichzeitig gaben sie eine Übersicht ihrer wichtigsten Forderungen heraus.

Am 11. Juni, noch vor Beginn der Proteste, machte Innenminister Patricio Carrillo stigmatisierende Bemerkungen über die Demonstrierenden: "Die angekündigte Mobilisierung bzw. Demonstration bedeutet in der Praxis, dass eine Woche lang Straßen und Erdölbohrlöcher blockiert, Angehörige der Polizei und des Militärs entführt und Plünderungen durchgeführt werden, usw. Sie werden dies als Sozialkampf ausgeben, um sich als Opfer darzustellen. Wer profitiert denn von weiteren uneingeschränkten Protesten?"

Am 13. Juni begannen Mitglieder von CONAIE und weiteren Organisationen, die die Rechte von Indigenen, Kleinbäuer*innen, Arbeiter*innen, Schüler*innen und Studierenden, Frauen und LGBTI sowie Umweltrechte verteidigen, mit den Demonstrationen. Im Zuge zahlreicher Protestveranstaltungen kam es in verschiedenen Provinzen zu Straßenblockaden. Seither berichten Menschenrechtsorganisationen in Ecuador über willkürliche Inhaftierungen, Kriminalisierung und unverhältnismäßige Gewaltanwendung wie z. B. den unterschiedslosen Einsatz von Tränengas gegen Protestierende, Menschenrechtler*innen und Journalist*innen im ganzen Land. In der Hauptstadt Quito wurde dem Vernehmen nach einem Studierenden ins Bein geschossen. Das ecuadorianische Menschenrechtsbündnis (Alianza por los Derechos Humanos) hat dokumentiert, dass am 14. und 15. Juni in Quito und Cotopaxi in Verbindung mit den Protesten mindestens 36 Personen inhaftiert wurden.

Am 14. Juni um kurz nach Mitternacht wurde Leónidas Iza, Präsident von CONAIE, nahe Pastocalle in der Provinz Cotopaxi von Sicherheitskräften festgenommen. Er wurde mehrere Stunden lang ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Zugang zu Rechtsbeiständen festgehalten und wegen "Blockierens öffentlicher Infrastruktur" angeklagt, bevor man ihn am Abend wieder freiließ. Seine Inhaftierung war möglicherweise willkürlich, und das gegen ihn angestrengte Strafverfahren basiert allem Anschein nach auf der Kriminalisierung des Protestrechts.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Live-Aufzeichnungen zeigen, wie Personen in Polizei- und Militäruniform am 14. Juni um 0:29 Uhr Leónidas Iza nahe Pastocalle in der Provinz Cotopaxi festnehmen und ihn in ein weißes Zivilfahrzeug stoßen, das dann davonfährt. Das ecuadorianische Menschenrechtsbündnis berichtete am selben Morgen, dass die Sicherheitskräfte keinen Haftbefehl vorgelegt und Leónidas Iza auch nicht über die Gründe seiner Festnahme aufgeklärt hätten. Zudem hielten die Behörden seinen Aufenthaltsort geheim und hielten ihn ohne Kontakt zur Außenwelt fest – auch seine Familienangehörigen und seine Rechtsbeistände durfte er nicht kontaktieren. Laut Angaben des Menschenrechtsbündnisses ist das Nummernschild des Wagens, in dem Leónidas Iza abtransportiert wurde, in keiner der öffentlichen Datenbanken zu finden. All dies könnte bedeuten, dass seine Inhaftierung willkürlich war.

Um 1:18 Uhr in derselben Nacht postete Präsident Lasso ein Video, in dem er Protestierenden Straftaten vorwirft und ihnen mit Strafverfolgung droht: "Die Inhaftierung der geistigen und materiellen Urheber dieser Gewalttaten hat begonnen [...] Wir lassen uns nicht von Vandalen, die lediglich Chaos stiften wollen, zu Opfern machen [...] Nun, da wir dem Vorgehen begonnen haben, können wir nicht aufhören. Alle, die für Vandalismus verantwortlich sind, müssen sich vor der Justiz und dem ecuadorianischen Volk verantworten."

Um 3:20 teilte die Polizei in einem Tweet mit, dass man Leónidas Iza als "Strafverdächtigen" in der Gemeinde Pastocalle in der Provinz Cotopaxi festgenommen habe, ohne jedoch genauer zu erläutern, was ihm vorgeworfen wird. Weiter führte die Polizei aus, dass er "bis zur Anhörung über ein In-Flagranti-Delikt [flagrancia] in einer provisorischen Zelle" festgehalten werde.

Um 9:22 Uhr morgens teilte die Generalstaatsanwaltschaft mit, dass sie erst durch die Sozialen Medien von der Inhaftierung von Leónidas Iza erfahren habe. Die Polizei habe ihn weder der Generalstaatsanwaltschaft vorgeführt noch den entsprechenden Polizeibericht über die Gründe seiner Inhaftierung vorgelegt. Weiter hieß es, dass der Generalstaatsanwalt Richtlinien an die Staatsanwaltschaften der Provinzen verteilt habe, um Maßnahmen und Verfahren mit den "jeweiligen Behörden" abzusprechen und rechtswidrige bzw. willkürliche Inhaftierungen zu vermeiden.

Um 10:47 Uhr teilte die Generalstaatsanwaltschaft mit, dass sie den Polizeibericht über die nächtliche Festnahme von Leónidas Iza während eines In-Flagranti-Delikts erhalten habe und dass sie die entsprechenden Prozesse einleiten werde. Um 11:37 Uhr informierte die Polizei in einem weiteren Tweet darüber, dass Leónidas Iza festgenommen wurde, als er mutmaßlich "Handlungen zur Eskalierung und Radikalisierung von Gewalt koordinierte und förderte", und dass man den Polizeibericht bezüglich seiner Festnahme "als erste morgendliche Amtshandlung" an die Generalstaatsanwaltschaft gegeben habe.

Zu späterer Stunde desselben Tages berichteten die Rechtsbeistände von Leónidas Iza, dass sie und die Familienangehörigen ihres Mandanten keine Informationen über seinen Aufenthaltsort erhalten haben. Angaben in den Sozialen Medien deuteten jedoch darauf hin, dass er in dem weißen Zivilfahrzeug aus der Provinz Cotopaxi nach Quito und dann in einem Militärfahrzeug in eine Militäreinrichtung in Latacunga, ebenfalls in der Provinz Cotopaxi, gebracht worden war.

Am Abend fand die Anhörung von Leónidas Iza vor der "Sonderjustizeinheit für Gewalt gegen Frauen oder Familienmitglieder und Verstöße gegen die sexuelle und reproduktive Integrität" in Latacunga statt. Das Gericht befand seine Inhaftierung für rechtmäßig und leitete ein Strafverfahren auf der Grundlage des "Blockierens öffentlicher Infrastruktur" ein, da er während der Proteste an Straßenblockaden beteiligt gewesen sein soll. Dies könnte eine Kriminalisierung des Protestrechts darstellen.