Rohingya-Flüchtlinge werden auf einsame Insel umgesiedelt

Menschen mit Gepäck und Wasserflaschen laufen in einer Reihe vor blauem Himmel mit weißen Wolken

Rohingya aus dem myanmarischen Bundesstaat Rakhine erreichen im November 2017 Bangladesch nahe der Stadt Cox's Bazar

Am 4. Dezember 2020 haben die Behörden mehr als 1.600 Rohingya-Flüchtlinge umgesiedelt – auf eine abgelegene Insel. Obwohl diese von den Vereinten Nationen bisher nicht als sicher und bewohnbar erklärt wurde, plant die Regierung, etwa 100.000 Rohingya-Flüchtlinge aus dem Flüchtlingslager nahe der Stadt Cox's Bazar auf die abgelegene Insel Bhasan Char zu bringen. Angesichts des Sicherheitsrisikos für Tausende Rohingya-Flüchtlinge fordert Amnesty International die Behörden in Bangladesch auf, die Umsiedlung unverzüglich zu stoppen.

Appell an

Sheikh Hasina

Prime Minister’s Office

Old Sangsad Bhaban

Tejgaon, Dhaka – 1215

BANGLADESCH

Sende eine Kopie an

Botschaft der Volksrepublik Bangladesch

S.E. Herr Md Mosharraf Hossain Bhuiyan

Kaiserin-Augusta-Allee 111

10553 Berlin


Fax: 030–39 89 75 10

E-Mail: info.berlin@mofa.gov.bd

 

Amnesty fordert:

  • Bitte stoppen Sie umgehend die Umsiedlung weiterer Rohingya-Flüchtlinge nach Bhashan Char. Lassen Sie diejenigen, die bereits auf der Insel sind, zu ihren Familien und in ihr gewohntes Umfeld in Cox's Bazar zurückbringen.
  • Erlauben Sie bitte den Vereinten Nationen, humanitären Organisationen und Menschenrechtsorganisationen, eine unabhängige Untersuchung über die Bewohnbarkeit von Bhashan Char durchzuführen, die auch den Zugang zu grundlegenden Freiheiten und Rechten prüft und beurteilt. Öffnen Sie die Insel bitte erst dann, wenn sie als bewohnbar erachtet wird, für die Öffentlichkeit – nicht nur für die Rohingya.
  • Legen Sie bitte in einem öffentlich zugänglichen, transparenten und rechtskonformen Rahmenplan dar, wie die Rohingya-Flüchtlinge an den sie betreffenden Entscheidungen beteiligt werden.

Sachlage

Die Situation der mehr als 1.600 Rohingya-Flüchtlinge, die am 4. Dezember 2020 auf die Insel Bhashan Char gebracht wurden, ist besorgniserregend. Ihre Umsiedlung erfolgte noch bevor die Vereinten Nationen, Menschenrechtsorganisationen und weitere humanitäre Organisationen Zugang zu der abgelegenen Sedimentinsel im Golf von Bengalen erhalten haben, um die dortigen Bedingungen – einschließlich des Zugangs zu Grundfreiheiten und -rechten – einer unabhängigen Bewertung zu unterziehen.

Seit Mai 2020 sind bereits 300 Rohingya-Flüchtlinge gegen ihren Willen nach Bhashan Char gebracht worden, weitere 100.000 sind von einer sofortigen Umsiedlung bedroht. Einige Flüchtlinge haben Menschenrechtsorganisationen berichtet, dass sie gezwungen werden, auf die Insel zu ziehen.

Bangladesch hat den Rohingya-Flüchtlingen eine Chance gegeben, als diese vor der Verfolgung im Nachbarland Myanmar fliehen mussten. Das Festhalten der Flüchtlinge auf einer Insel verstößt jedoch gegen die Verpflichtungen des Landes im Rahmen des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Außerdem stellt die Umsiedlung eine massive Einschränkung der Rechte auf Freiheit und Freizügigkeit dar.

In Situationen, in denen die internationale Gemeinschaft die Verantwortung hat, sowohl Bangladesch als auch die Rohingya-Flüchtlinge zu unterstützen, ist die Einhaltung eines ordnungsgemäßen und transparenten Verfahrens und internationaler Menschenrechtsabkommen unabdingbar.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Fast eine Million Rohingya – eine verfolgte mehrheitlich muslimische Minderheit in Myanmar – sind seit 1978 vor massiven gewaltsamen Angriffen geflohen und haben im benachbarten Bangladesch Zuflucht gesucht. Der Großteil von ihnen kam vor drei Jahren: Ab dem 25. August 2017 flohen mehr als 740.000 Rohingya vor der Gewalt des myanmarischen Militärs im nördlichen Teil des Staates Rakhine nach Bangladesch. Die vom myanmarischen Militär verübte ethnische Säuberung – die Häuser wurden niedergebrannt und mindestens 10.000 Männer, Frauen und Kinder wurden getötet – stellt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Völkerrecht dar.

Bhashan Char bedeutet "schwimmende Insel". Vor 20 Jahren gab es sie noch nicht, doch mit der Zeit ließen angeschwemmte Sedimente die Insel aus dem Golf von Bengalen wachsen. "Das dichte Netz aus einheitlichen Wohnblöcken, das von einem Deich und dem Ozean umgeben ist, ist nicht gerade die Art von Infrastruktur, die einem zivilen Leben förderlich ist. Sie vermittelt eher den Eindruck von Inhaftierung", schrieb die Architekturprofessorin Lindsay Bremner von der University of Westminster in ihrem Artikel Sedimentary logics and the Rohingya refugee camps in Bangladesh, der im März 2020 in der wissenschaftlichen Online-Datenbank ScienceDirect veröffentlicht wurde.

In dem von Amnesty International im September 2020 veröffentlichten Bericht Let Us Speak for our Rights erzählen zwei Rohingya-Flüchtlinge, dass sie von sexualisierten Übergriffen durch Polizei- und Marineangehörige auf der Insel gehört hätten. Anstatt umgehend eine unparteiische Untersuchung der Vorwürfe einzuleiten, stritten die Behörden diese vehement ab.

Zwei Wochen vor der Umsiedlung im Dezember 2020 erklärten fünf Familienmitglieder, die 23 Rohingya-Flüchtlinge vertraten, gegenüber Amnesty International, dass sie sich nicht freiwillig für die Umsiedlung nach Bhashan Char entschieden hätten, sondern aus Zwang. Eine Frau, die auf einer der Listen für die Umsiedlung steht, gab Amnesty International gegenüber an, dass sie sich nur gemeldet habe, weil ihr Mann bereits auf Bhashan Char sei. Als alleinerziehende Mutter mit einem kleinen Kind und ohne Verwandte im Flüchtlingscamp von Cox's Bazar hat sie mit vielen Problemen zu kämpfen. Sie sagte: "Das Leben als Geflüchtete ist sehr schwierig. Ich habe keine andere Möglichkeit. Es sieht so aus, als ob die Regierung meinem Mann nie erlauben wird, die Insel zu verlassen."

Zwei Rohingya-Familien wurden auf die Umsiedlungsliste gesetzt, nachdem sie Regierungsvertreter_innen und dem Majhi – ein von den bangladeschischen Behörden ausgewählter Gemeindevorstand – gemeldet hatten, dass ihre Unterkünfte beschädigt worden waren. Anstatt eine Reparatur zu veranlassen, wurde ihnen gesagt, dass sie nach Bhashan Char umziehen müssten.

Mitarbeiter_innen humanitärer und medizinischer Einrichtungen zeigten sich sehr besorgt über die Umsiedlungen. So sei ein Patient vor seiner Umsiedlung in "völlige Panik" ausgebrochen, da er gezwungen werde, nach Bhashan Char zu gehen. Eine der Mitarbeiter_innen berichtete: "Er weiß nicht, ob er dort weiterhin seine Medikamente bekommen wird. Also wollte er einen Vorrat für mehrere Monate anlegen."

Die Mitarbeiter_innen einer zentralen Gesundheitseinrichtung berichteten Amnesty International, dass einige der Flüchtlinge regelmäßig Medikamente einnehmen müssen. Es ist völlig unklar, ob die Gesundheitsversorgung auf Bhashan Char gewährleistet ist. Somit besteht die große Sorge, dass sich der Gesundheitszustand der Betroffenen verschlechtern könnte.

Absatz 9 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, dem Bangladesch als Vertragsstaat verpflichtet ist, garantiert allen Menschen das Recht auf Freiheit und verbietet willkürliche Inhaftierungen und Freiheitsentzug, außer im gesetzlich festgesetzten Rahmen. Absatz 12 garantiert jedem Menschen, "der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, (…) das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen".