Aserbaidschan: Gesundheitszustand kritisch

Ein Mann mit kurzen grauen Haaren in Anzug und Krawatte, es ist der aserbaidschanische Ökonom und Regierungskritiker Gubad Ibadoghlu

Der aserbaidschanische Ökonom und Regierungskritiker Gubad Ibadoghlu (Archivaufnahme vom April 2021)

Der Gesundheitszustand von Gubad Ibadoghlu verschlechtert sich zusehends. Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler und politische Aktivist befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft. Die unsicheren Haftbedingungen und die anhaltende Verweigerung einer angemessenen medizinischen Versorgung stellen eine Gefahr für sein Leben dar.

Appell an

Ilham Aliyev

President of Azerbaijan


19 Istiqlaliyyat Street

Baku AZ1066

ASERBAIDSCHAN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Aserbaidschan

S.E. Herrn Nasimi Aghayev

Hubertusallee 43

14193 Berlin

Fax: 030-219 161 52


E-Mail: berlin@mission.mfa.gov.az

Amnesty fordert:

  • Bitte ergreifen Sie Maßnahmen für die sofortige und bedingungslose Freilassung von Gubad Ibadoghlu.
  • Gewährleisten Sie, dass er bis zu seiner Freilassung unverzüglich die notwendige medizinische Versorgung erhält und vor Folter und anderen Misshandlungen geschützt wird.
  • Ich fordere Sie außerdem dringend auf, für eine wirksame Untersuchung der mutmaßlichen Anklage- und Beweisfälschungen zu sorgen und – sofern die so ermittelten Beweise dies rechtfertigen – die Verantwortlichen für solche konkreten Fälle von Justizmissbrauch strafrechtlich zu verfolgen.
  • Sehen Sie bitte davon ab, das Strafjustizsystem zu missbrauchen, um Aktivist*innen und friedliche Kritiker*innen ins Visier zu nehmen.

Sachlage

Am 23. Juli wurden Gubad Ibadoghlu und seine Frau Irada Bayramova willkürlich festgenommen, nachdem Polizist*innen in Zivil in nicht gekennzeichneten Fahrzeugen ihr Auto gerammt hatten. Berichten zufolge griffen die Polizist*innen das Paar an, brachten es in getrennten Zellen unter und weigerten sich, die Gründe für ihre Festnahme zu nennen. Beiden wurde der Zugang zu Rechtsbeiständen zunächst verweigert. Während Irada Bayramova später ohne Anklage freigelassen wurde, verhängte das Bezirksgericht Narimanov in Baku am 24. Juli Untersuchungshaft gegen Gubad Ibadoghlu wegen Herstellung, Erwerb oder Verkauf von Falschgeld durch eine organisierte Gruppe nach Paragraf 204.3.1 des Strafgesetzbuchs. Dies wird mit bis zu zwölf Jahren Haft geahndet. Später kamen Extremismusvorwürfe hinzu. Die Untersuchungshaft wurde am 16. November um weitere drei Monate bis zum 24. Februar 2024 verlängert. Er wird in der Untersuchungshaftanstalt von Kurdekhani in Baku festgehalten.

Gubad Ibadoghlu leidet an schweren gesundheitlichen Problemen, darunter Diabetes Typ 2 und Bluthochdruck. Er wird unter Bedingungen festgehalten, die unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommen könnten. Er ist gezwungen, Trinkwasser und Nahrungsmitteln schlechter Qualität zu sich zu nehmen und erhält nicht die richtigen Medikamente zur vorgeschriebenen Zeit. Seiner Familie zufolge hat sich sein Gesundheitszustand in der Haft kontinuierlich und erheblich verschlechtert. Die konstruierten Vorwürfe gegen ihn lauten auf Herstellung, Erwerb oder Verkauf von Falschgeld durch eine organisierte Gruppe sowie auf Extremismus. Seine Inhaftierung und strafrechtliche Verfolgung sind offenbar eine Vergeltung für seine Kritik an der Regierung und seine politischen und zivilgesellschaftlichen Aktivitäten. Am 14. September forderte das Europäische Parlament die Freilassung von Gubad Ibadoghlu. Außerdem erkannte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die unmittelbare Gefahr irreparabler Gesundheitsschäden. Er forderte die aserbaidschanische Regierung per einstweiliger Verfügung nach Artikel 39 auf, dafür zu sorgen, dass Gubad Ibadoglu "weitere medizinische Untersuchungen erhält" und dass er gegebenenfalls in eine "spezialisierte medizinische Einrichtung [ein Krankenhaus]" überführt wird.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Gubad Ibadoghlu ist ein bekannter aserbaidschanischer Wirtschaftswissenschaftler und Politiker. Im Juni 2023 unterstützte er die Gründung einer Stiftung für die Ausbildung Jugendlicher. Sie soll unter anderem durch beschlagnahmte Gelder finanziert werden, die korrupte Aserbaidschaner*innen in England anlegten und die dann von der britischen Regierung eingefroren wurden. Gubad Ibadoghlu ist der Vorsitzende der Aserbaidschanischen Bewegung für Demokratie und Wohlstand, die 2014 mit einer sozialdemokratischen Plattform gegründet wurde und der die aserbaidschanischen Behörden willkürlich die Registrierung als politische Partei verweigern. Er war Gastwissenschaftler an der London School of Economics und leitete das Economic Research Center, eine Nichtregierungsorganisation, die sich mit der Verwaltung der öffentlichen Finanzen, guter Regierungsführung und Haushaltstransparenz beschäftigt. Die aserbaidschanischen Behörden schlossen 2014 das Wirtschaftsforschungszentrum und froren dessen Bankkonten ein. Gubad Ibadoghlu ging 2017 ins politische Exil, kehrte aber 2023 nach Aserbaidschan zurück, um seine Familie zu besuchen.

Am 23. Juli nahmen Polizist*innen Gubad Ibadoghlu und seine Frau fest, als sie auf dem Weg zu einem Treffen mit Jugendaktivist*innen der Aserbaidschanischen Bewegung für Demokratie und Wohlstand in Sumgayit waren, einer Stadt etwa 40 Kilometer von Baku entfernt. Vier nicht gekennzeichnete Fahrzeuge kreisten gegen 13 Uhr ihren Wagen ein und zwangen sie zum Anhalten, indem sie ihn von vorne und hinten rammten. Nach Angaben ihrer Tochter Zhala Bayramova zwangen 20 Polizist*innen in Zivil das Paar aus dem Auto, griffen sie tätlich an, zwangen sie dann in getrennte Autos und fuhren sie zur Abteilung für organisierte Kriminalität des Innenministeriums in Baku. Als Irada Bayramova um 19 Uhr freigelassen wurde, hatte sie mehrere Prellungen an Armen, Beinen und am Rücken. Gubad Ibadoghlu hat wegen der Misshandlung Anzeige erstattet.

Nach einer offiziellen Erklärung des aserbaidschanischen Innenministeriums vom 23. Juli ist die Festnahme mehrerer Personen, darunter Gubad Ibadoghlu, Teil einer Operation gegen Anhänger*innen des im Exil lebenden türkischen Geistlichen Fethullah Gülen, den die türkischen Behörden zusammen mit seinen Anhänger*innen unter Terrorismusverdacht vor Gericht stellen wollen. Die Polizei beschlagnahmte angeblich unter anderem 40.000 US-Dollar in bar aus dem Büro der NGO Economic Research Center. Sie durchsuchten auch das Haus von Gubad Ibadoghlu und Irada Baymarova und nahmen Ibadoghlus Bruder, Gabid Baymalov, fest. Am 2. August wies das Gericht in Baku die Klage von Gubad Ibadoghlu gegen die rechtswidrige Durchsuchung seiner Wohnung ab.

Die Familie von Gubad Ibadoghlu berichtet, dass er in einer kleinen Zelle mit fünf anderen Männern festgehalten wird und auf Leitungswasser angewiesen ist, das gesundheitsschädlich sein könnte, sowie auf Gefängnisnahrung, die nicht für seine Diabetes und andere gesundheitliche Probleme geeignet ist. Er leidet unter anderem an einer Herzerkrankung, Typ-2-Diabetes, Nierenerkrankungen, einer erweiterten Halsvene, Magengeschwüren und starken Schmerzen im unteren Rückenbereich, und sein Gesundheitszustand verschlechtert sich zusehends. Die Behörden verweigern ihm notwendige diagnostische Untersuchungen, die nötig wären, um einen angemessenen Behandlungsplan erstellen zu können. Er erhält seine Medikamente nur in unregelmäßigen Abständen, was das Risiko für einen Schlaganfall und die Entwicklung weiterer Herzkrankheiten und anderer lebensbedrohlicher Erkrankungen erhöht. Gubad Ibadoghlu ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen und Artikel, in denen er Aserbaidschan und seine internationalen Partner kritisiert, darunter auch die EU, die auf die Gaslieferungen des Landes angewiesen ist und den Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan nicht die nötige Aufmerksamkeit schenke.