Algerien: Aktivist zu Haft verurteilt

Portraitfoto eines glatzköpfigen Mannes, er lächelt leicht und trägt einen Anzug. Im HIntergrund sind Bücher.

Der algerische Umweltaktivist Mohad Gasmi

Am 17. Oktober verurteilte das erstinstanzliche Gericht von Adrar den Umweltaktivisten Mohad Gasmi wegen "Verherrlichung des Terrorismus" zu fünf Jahren Haft. Grund war eine Facebook-Veröffentlichung, in der er die algerischen Behörden für die Radikalisierung eines bekannten Aktivisten verantwortlich machte. Mohad Gasmi wird seit dem 8. Juni 2020 in einer Hafteinrichtung in Adrar festgehalten. Die Behörden müssen seine Verurteilung aufheben und ihn sofort freilassen.

Appell an

Abdelmajid Tebboune

Présidence de la république

Place Mohammed Seddik Benyahia,

El Mouradia, Alger 
16000

ALGERIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Algerien

Herr Saad Allah  Kehal

Geschäftsträger a.i.

Görschstraße 45-46

13187 Berlin

Fax: +49 30 48 09 87 16

E-Mail: info@algerische-botschaft.de

Amnesty fordert:

Sachlage

Mohad Gasmi ist seit dem 8. Juni 2020 in Adrar, einer Stadt 1400 km südwestlich der algerischen Hauptstadt Algier, inhaftiert. Nachdem die Staatsanwaltschaft des erstinstanzlichen Gerichts von Adrar Anklage wegen "Verherrlichung des Terrorismus" erhoben hatte, wurde er für die gesetzlich zulässige Höchstdauer von 16 Monaten in Untersuchungshaft genommen. Am 17. Oktober verurteilte ein Gericht in Adrar den Aktivisten auf der Grundlage von Paragraf 87bis 4 des Strafgesetzbuchs zu fünf Jahren Gefängnis. Außerdem darf er fünf Jahre lang nicht wählen oder an einer Wahl teilnehmen.

Als die Polizei in Adrar Mohad Gasmi festnahm, durchsuchte sie sein Haus und beschlagnahmte sein Telefon, seinen Computer und seinen USB-Stick. Nach Angaben seines Rechtsbeistands hat das Gericht für die Anklage einen von ihm am 18. Januar 2018 veröffentlichten Facebook-Post als Beweismittel herangezogen, in dem Mohad Gasmi auf die Verantwortung der algerischen Behörden für die Radikalisierung von Abdesslem Termoune hinweist. Die Behörden stuften Abdesslem Termoune als "Terroristen" ein. Er war der Anführer der bewaffneten Gruppe "Bewegung der Söhne des Südens für Gerechtigkeit" und wurde im Januar 2018 in Libyen getötet.

Mohad Gasmi ist ein zivilgesellschaftlicher und Umweltaktivist, der zwischen 2012 und 2015 zu den Anführer_innen der Protestbewegung gegen die Ausbeutung des Schiefergases im Süden Algeriens gehörte. Er nahm auch an den Hirak-Protesten teil, die im Februar 2019 ausbrachen und einen politischen Wandel in Algerien forderten.

In einem anderen Fall verfolgt das Gericht von Adrar Mohad Gasmi wegen "Zugang zu geheimen Informationen", "Beleidigung" des Präsidenten der Republik und "Beleidigung" öffentlicher Einrichtungen wegen Online-Postings wie einem, in dem er schrieb, dass die Polizei, die bei der Verteilung der Corona-Hilfe unterstützte, dieselbe sei, die die Aktivist_innen der Hirak-Bewegung unterdrückte. Ein Gericht in Adrar hielt seine erste Anhörung in diesem Fall am 13. Oktober ab und der_die Richter_in ordnete weitere Untersuchungen an.

Die algerischen Behörden greifen bei der Verfolgung von Journalist_innen, Menschenrechtsverteidiger_innen und politischen Aktivist_innen immer häufiger auf konstruierte Anschuldigungen im Zusammenhang mit Terrorismus zurück.

Hintergrundinformation

Hintergrund

In seinem Facebook-Post würdigt Mohad Gasmi Abdesslem Termoune und sagt, es sei kein Wunder, dass einige in der algerischen Sahara zu den Waffen griffen, um gegen ihre Ausgrenzung zu protestieren und soziale Forderungen zu stellen. Er schließt mit der Überlegung, dass "die Behörden durch ihre Geringschätzung für den Extremismus in der Gesellschaft verantwortlich sind".

Auch die Journalisten Hassan Bouras und Mohamed Mouloudj befinden sich derzeit wegen ihrer behördenkritischen Online-Veröffentlichungen unter Terrorismusverdacht in Untersuchungshaft. Drei Mitglieder der algerischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte in Oran sind ebenfalls wegen "Terrorismus" angeklagt, um sie für ihre Beteiligung an der Hirak-Bewegung zu bestrafen.

Nach dem algerischen Strafgesetzbuch wird mit bis zu fünf Jahren bestraft, wer "terroristische Handlungen verherrlicht, dazu ermutigt oder sie mit irgendwelchen Mitteln finanziert". Die Definition des Terrorismus und seiner Verherrlichung im algerischen Gesetzbuch enthält weit gefasste Straftatbestände, die legitime Äußerungen kriminalisieren. Das Recht auf freie Meinungsäußerung umfasst auch Äußerungen, die beleidigen, schockieren und verstören. Die Verurteilung von Mohad Gasmi wegen eines Facebook-Posts, der offensichtlich nicht zu einer Straftat aufruft, verstößt gegen das Völkerrecht und die Übereinkommen, deren Vertragsstaat Algerien ist.

Seit 2019 nehmen die algerischen Behörden Hunderte von Aktivist_innen wegen der Ausübung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung fest, inhaftieren sie und verfolgen sie strafrechtlich. Seit April 2021 greifen sie bei der Verfolgung von Menschenrechtsverteidiger_innen und Hirak-Aktivist_innen immer häufiger auf die Anschuldigungen "Terrorismus" oder "Verschwörung gegen den Staat" zurück. Sie nehmen Aktivist_innen wegen ihrer angeblichen Verbindungen zu nicht registrierten politischen Organisationen aus Algerien fest und verfolgen sie strafrechtlich. Zu solchen zählen auch Rachad oder die Bewegung für die Selbstbestimmung der Kabylei (Mouvement pour l'Autonomie de la Kabylie – MAK), die die Behörden im Mai 2021 als terroristische Organisationen eingestuft haben.

Nach Angaben des Nationalen Komitees für die Befreiung von Gefangenen (Comité National pour la Libération des Détenus – CNLD) in Algerien, einer örtlichen NGO zur Unterstützung politischer Gefangener, befinden sich derzeit 222 Personen in Algerien in Haft, weil sie ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlung friedlich wahrgenommen haben.