Algerien: Urteil gegen Aktivisten bestätigt

Aufnaheme von Mohamed Benhlima, der in einem Hafen am Rande eines Piers sitzt und mit vor der Brust verschrenkten Armen in die Kamera blickt.

Der algerische Whistleblower und ehemalige Militärangehörige Mohamed Benhlima machte 2019 die Korruption hochrangiger algerischer Militärs öffentlich.

Mohamed Benhlima ist ein Aktivist, ehemaliger Militärangehöriger und Whistleblower, der die Korruption hochrangiger algerischer Militärs aufgedeckt und im Internet darüber berichtet hat. Er floh 2019 von Algerien nach Spanien aus Angst, wegen seiner Teilnahme an einer friedlichen Protestbewegung gegen die algerische Regierung von den Behörden verfolgt zu werden. 2021 wurde er in Abwesenheit zum Tode verurteilt. In drei anderen Verfahren bestätigte ein Berufungsgericht in Algier am 4. September 2022 die Schuldsprüche wegen "Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung" und "Veröffentlichung von Falschnachrichten, die die nationale Einheit untergraben" und verurteilte Mohamed Benhlima zu insgesamt zwölf Jahren Gefängnis. Laut Angaben eines ihm nahestehenden Familienmitglieds laufen gegen Mohamed Benhlima noch weitere Verfahren. Mohamed Benhlima sitzt zurzeit in Einzelhaft in einem Militärgefängnis.

Appell an

Präsident

Abdelmadjid Tebboune

Présidence de la République

Place Mohammed Seddik Benyahia

El Mouradia, Alger, 16000

ALGERIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Algerien

S.E. Herrn Smail Allaoua

Görschstraße 45-46


13187 Berlin

Fax: 030-4809 8716

E-Mail: info@algerische-botschaft.de

Amnesty fordert:

Sachlage

Der 33-jährige Whistleblower Mohamed Benhlima ist seit dem 28. April 2022 im Militärgefängnis von El-Blida inhaftiert. Der ehemalige Militärangehörige befindet sich weiter in Einzelhaft, die er täglich nur für zehn Minuten verlassen darf. Ihm wird jeglicher Kontakt zu anderen Gefangenen versagt. Beamt*innen des Militärgefängnisses in El-Blida haben es ihm darüber hinaus verboten, Essen, Kleidung oder gar Bücher von seiner Familie zu erhalten.

Das Todesurteil gegen Mohamed Benhlima wegen Spionage und Desertion erging 2021 in Abwesenheit, als er sich noch als Asylsuchender in Spanien aufhielt. In drei anderen Verfahren wurden am 4. September 2022 die Schuldsprüche wegen "Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung" und "Veröffentlichung von Falschnachrichten, die die nationale Einheit untergraben" bestätigt, und Mohamed Benhlima wurde zu insgesamt zwölf Jahren Gefängnis verurteilt.

Am 19. Juni sagte er vor dem Gericht in Kolea aus, dass er nach seiner Abschiebung nach Algerien am 24. März 2022 tagelang von Angehörigen des militärischen Sicherheitsdienstes im Geheimdienstzentrum S'hawla in Algier gefoltert und misshandelt worden sei. Unter anderem soll er nackt ausgezogen und mit eiskaltem Wasser übergossen worden sein. Die algerischen Behörden haben öffentlich keine Nachweise einer offiziellen Untersuchung der von Mohamed Benhlima vorgebrachten Vorwürfe der Folter und Misshandlung vorgelegt. Eine sollte Untersuchung war aber von seiner Familie am 25. Juni in einem Schreiben an die algerischen Behörden gefordert worden.

Das Verhalten der Gefängnisverwaltung gegenüber Mohamed Benhlima und seiner Familie ist zudem diskriminierend: Die Gefängnisverwaltung lässt die Familie warten, bis die offizielle Besuchszeit fast vorüber ist und alle anderen Familien ihren Besuch beendet haben, bevor sie Mohamed Benhlimas Familie erlaubt, diesen weniger als zehn Minuten und unter Anwesenheit von Wachpersonal zu sehen. Seine Familie berichtet auch, dass mehrmals versucht wurde, sie einzuschüchtern. Die Familie gab an, dass unnötige Befragungen durch das Gefängnispersonal des Militärgefängnisses von El-Blida nach jedem Besuch bei Mohamed Benhlima stattfänden.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Mohamed Benhlima ist algerischer Staatsbürger und hat sowohl in Spanien als auch in Frankreich Asyl beantragt. Er ist ein ehemaliger Angehöriger des algerischen Militärs und Whistleblower, der auf einem YouTube-Kanal die mutmaßliche Korruption hochrangiger algerischer Militärs aufgedeckt hat. Außerdem hat er an den friedlichen Massenprotesten gegen die algerischen Behörden teilgenommen, die 2019 in Algerien begannen.

Nach der Abschiebung nach Algerien haben die algerischen Behörden die "Inhaftierung" von Mohamed Benhlima in den Medien breitgetreten und sein Recht auf Privatsphäre sowie sein Recht auf ein faires Verfahren schwer verletzt, insbesondere sein Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen: Im staatlichen Fernsehen wurde ein Video ausgestrahlt, in dem Mohamed Benhlima "gesteht", sich gegen den Staat verschworen zu haben, und beteuert, dass er in Haft nicht schlecht behandelt werde. Mohamed Benhlima selbst hatte vor seiner Abschiebung nach Algerien ein Video aus dem Haftzentrum im spanischen Valencia veröffentlicht, in dem er davor warnt, dass solche Videos nicht echt seien und vielmehr zeigen würden, dass er "von Geheimdiensten schwer gefoltert wurde".

Anfang 2021 beantragte er in Spanien Asyl und erhielt von den spanischen Behörden eine Aufenthaltsgenehmigung, die er verlängern ließ und die bis zum 5. November 2021 gültig war. Am 23. August 2021 erhielt er eine Vorladung der Polizei in Bilbao. Aus Angst vor einer möglichen Auslieferung nach Algerien floh er kurz darauf nach Frankreich. Diese Befürchtung gründete auf einem ähnlichen Fall, bei dem der ehemalige Militärangehörige und Asylsuchende Mohamed Abdellah am 20. August 2021 von Spanien an Algerien ausgeliefert wurde.

Mohamed Benhlima wurde später in Frankreich festgenommen und nach Spanien zurückgebracht. Am 14. März 2022 eröffneten die spanischen Behörden ein Ausweisungsverfahren wegen Verstoßes gegen Paragraf 54.1.a. des Einwanderungsgesetzes 4/2000, in dem sie Mohamed Benhlima vorwarfen, er habe an "Aktivitäten teilgenommen, die der öffentlichen Sicherheit zuwiderlaufen oder den Beziehungen Spaniens zu ausländischen Staaten schaden können". Konkret rechtfertigten sie die Eröffnung des Ausweisungsverfahrens mit der angeblichen Verbindung von Mohamed Benhlima zur politischen Oppositionsgruppe Rachad, die am 6. Februar 2022 von Algerien als terroristische Vereinigung eingestuft wurde. Die spanischen Behörden gaben an, Rachads Ziel sei es, radikale Jugendliche in die algerische Gesellschaft einzuschleusen, um gegen die algerische Regierung zu protestieren, und kamen zu dem Schluss, dass der Aktivist Mitglied einer terroristischen Vereinigung sei. Die spanischen Behörden legten jedoch keine Beweise für die Anwendung von Gewalt, die Aufstachelung zum Hass oder andere Aktionen des Aktivisten vor, die als "Terrorismus" im Sinne der von der UN-Sonderberichterstatterin für den Schutz der Menschenrechte bei der Bekämpfung des Terrorismus vorgeschlagenen Definition angesehen werden könnten. Die spanischen Behörden scheinen nicht berücksichtigt zu haben, dass die algerischen Behörden seit April 2021 zunehmend falsche Anschuldigungen wegen Terrorismus und Gefährdung der nationalen Sicherheit gegen friedliche Aktivist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen erheben.

Am 27. Dezember 2021 warnten unabhängige Menschenrechtsexpert*innen des UN-Menschenrechtsrats, dass die Definition von Terrorismus im algerischen Strafgesetzbuch zu ungenau sei und die Menschenrechte untergrabe. Sie erklärten, dass das Verfahren für die Eintragung in die nationale Terroristenliste nicht den internationalen Menschenrechtsstandards entspreche, und äußerten die Befürchtung, dass dies zu Missbrauch führen könne.

Am 24. März 2022 gegen 19:00 Uhr wurden die Anwält*innen von Mohamed Benhlima von dem Ausweisungsbeschluss in Kenntnis gesetzt und reichten umgehend einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung beim Nationalen Gerichtshof von Spanien (Audiencia Nacional) ein, der jedoch abgelehnt wurde. Später stellte sich heraus, dass Mohamed Benhlima zu diesem Zeitpunkt bereits in einem Flugzeug nach Algerien saß.