Pakistan: Schuldspruch nach geheimem Verfahren

Porträtfoto von Idris Khattak

Nach bislang unbestätigten Berichten vom Dezember 2021 wurde der Menschenrechtsverteidiger Idris Khattak nach einem geheimen Militärgerichtsverfahren wegen Spionage schuldig gesprochen. Idris Khattaks Familienangehörige und sein Rechtsbeistand haben bis jetzt noch keine Informationen über den neuesten Stand seines Verfahrens erhalten. Sein Rechtsbeistand äußert ernstzunehmende Bedenken, ob es sich um ein faires Gerichtsverfahren handelte. In Anbetracht seiner Entführung durch die Behörden ist der mutmaßliche Schuldspruch umso beunruhigender. Seine Familienangehörigen konnten bestätigen, dass er zum aktuellen Zeitpunkt noch keine Covid-19-Impfung erhalten hat. Dies stellt aufgrund des überbelegten Gefängnisses, in dem er sich befindet, eine weitere Lebensbedrohung für ihn dar. Außerdem sind seine Familienangehörigen besorgt, dass ihm der Zugang zu angemessener Ernährung trotz seiner Erkrankungen verweigert wird. Die Regierung muss Idris Khattaks Recht auf ein faires Gerichtsverfahren und auf angemessene Gesundheitsversorgung gewährleisten!

Appell an

Premierminister

Imran Khan

Prime Minister’s Office

Constitution Avenue G-5/2

Islamabad

PAKISTAN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Pakistan

S. E. Herrn Mohammad Faisal

Schaperstr. 29

10719 Berlin


Fax: 030–2124 4210

E-Mail: mail@pakemb.de

Amnesty fordert:

  • Informieren Sie bitte seine Familienangehörigen und seinen Rechtsbeistand umgehend über seinen Fall und seinen aktuellen Zustand.
  • Veranlassen Sie bitte, dass ein Zivilgericht über die Rechtmäßigkeit der Festnahme und Inhaftierung von Muhammad Idris Khattak befindet.
  • Gewähren Sie ihm außerdem bitte unverzüglich Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung, inklusive einer Covid-19-Impfung.

Sachlage

Es besteht große Sorge um das Leben und die Sicherheit von Muhammad Idris Khattak, einem 57-jährigen Menschenrechtsverteidiger und ehemaligen Berater von Amnesty International. Seit er am 13. November 2019 von Männern in Zivil verschleppt wurde, ist er ein Opfer des Verschwindenlassens. Nach einem geheimen Militärgerichtsverfahren soll er nun schuldig gesprochen worden sein. Allerdings liegen keine Informationen über das Strafmaß, den Stand seines Verfahrens oder die Einlegung von Rechtsmitteln vor.

Als Zivilperson hätte Idris Khattak gar nicht erst vor ein Militärgericht gestellt werden dürfen. Bis heute ist niemand für Idris Khattaks Entführung und seine siebenmonatige Haft ohne Kontakt zur Außenwelt zur Rechenschaft gezogen oder identifiziert worden. Informationen zu seiner Strafzumessung sind noch nicht einmal seinen Familienangehörigen zugänglich gemacht worden, geschweige denn der Öffentlichkeit. Seit mehr als zwei Jahre warten seine Familienangehörigen nun schon verzweifelt auf Antworten. Ohne diese ist es ihnen nicht möglich, rechtliche Schritte in die Wege zu leiten, um die Aufklärung des Falls und eine mögliche Entschädigung zu erwirken.

Vom Zeitpunkt, als er Opfer des Verschwindenlassens wurde, bis hin zu seiner Haft unter unzumutbaren Bedingungen, sind die Rechte von Idris Khattak auf ein faires Gerichtsverfahren, auf Würde und auf Leben in eklatanter Weise verletzt worden. Da er weiterhin noch keine Covid-19-Impfung erhalten hat, befindet er sich in dem überbelegten Gefängnis in einem zunehmend lebensbedrohlichen Zustand. Außerdem äußerten seine Familienangehörigen, dass sie sich über seinen Zugang zu angemessener Ernährung und medizinischer Versorgung Sorgen machten. Sollte er diesen nicht haben, wäre dies eine offenkundige Verweigerung seines Rechts auf Gesundheit. In Anbetracht seiner Vorerkrankungen, darunter Diabetes, ist dies umso besorgniserregender.

Die Regierung muss unverzüglich Informationen zu Idris Khattaks Fall und seinem Zustand an seine Familienangehörigen und seinen Rechtsbeistand weiterleiten. Außerdem muss sie die notwendigen Schritte einleiten, um die Achtung seines Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren vor einem Zivilgericht zu gewährleisten, sowie dringend seinen Zugang zu Gesundheitsversorgung garantieren. Dazu gehören eine Covid-19-Impfung und angemessene Ernährung.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Im November 2021 informierte das Gericht den Rechtsbeistand, dass Idris Khattak für schuldig befunden wurde, doch es wurden weder das offizielle Urteil noch das Strafmaß bekannt gegeben. Aufgrunddessen waren im Internet unbestätigte Berichte im Umlauf, die besagten, dass er für schuldig befunden wurde. Die Familienangehörigen hatten zu dem Zeitpunkt noch keine offiziellen Informationen über den neuesten Stand seines Verfahrens erhalten und mussten sich auf die Sozialen Medien verlassen, was den aktuellen Stand diesbezüglich anbelangte. Dank der Ermittlungen, die die Familienangehörigen eigenständig anstellten, wurde Idris Khattak im Dezember 2021 im Adiala Gefängnis in Rawalpindi ausfindig gemacht. Seiner Tochter Talia ist es erlaubt, ihn in dem Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses zu besuchen.

Bei der "Straftat", die Idris Khattak zur Last gelegt wird, scheint es sich um ein Treffen mit Michael Semple im Juli 2009 zu handeln – das weit über ein Jahrzehnt vor seinem Verschwindenlassen stattfand. In dem Gerichtsbeschluss wird Michael Semple als MI6-Agent bezeichnet. Zum Zeitpunkt des Treffens war Michael Semple Mitarbeiter am Carr Center for Human Rights der Universität Harvard und seit 20 Jahren ein hochrangiger UN- und EU-Diplomat in Afghanistan. Er wurde 2008 wegen "unbefugter Aktivitäten" aus Afghanistan ausgewiesen. Michael Semple ist derzeit Professor an der Queen's University in Belfast.

Der Gerichtsbeschluss erwähnt weder das Verschwindenlassen von Idris Khattak noch die Verantwortung, die die Behörden dafür tragen, dass er von seiner Familie getrennt wurde und seine Familie im Unklaren darüber gelassen wurde, ob er überhaupt noch am Leben war.

Bei einer Anhörung vor dem Hohen Gericht in Peshawar am 13. Januar 2021 erhob die Familie Khattak Einspruch dagegen, dass der Fall von Idris Khattak vor einem Militärgericht verhandelt werden soll: Als Zivilist müsse er vor ein ziviles Gericht gestellt werden. Mit einem am 28. Januar 2021 veröffentlichten Beschluss wurde der Einspruch zurückgewiesen. Am 30. Januar 2021 folgte die Begründung dieser Entscheidung, mit der weitere Einzelheiten zur Anklage gegen Idris Khattak bekannt wurden. Die Vorwürfe gegen ihn umfassen mehrere Anklagepunkte, die sich auf Spionage beziehen. Außerdem wird ihm ein Verhalten "zum Nachteil der Sicherheit oder der Interessen des Staates" vorgeworfen. Die Vorwürfe stützen sich auf Abschnitt 3 des Gesetzes über Staatsgeheimnisse (Official Secrets Act – OSA) sowie Abschnitt 59 des pakistanischen Armeegesetzes von 1952. Diese sehen vor, dass Fälle, in denen Zivilpersonen wegen bestimmter Straftaten unter dem OSA angeklagt sind, vor einem Militärgericht verhandelt werden.

Muhammad Idris Khattak hat in der Vergangenheit als Berater für Amnesty International und andere internationale Menschenrechtsorganisationen gearbeitet. Über Jahre hinweg dokumentierte er Menschenrechtsverletzungen und humanitäre Krisen in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa und den ehemaligen Stammesgebieten unter Bundesverwaltung.

Muhammad Idris Khattak verschwand, als sein Mietwagen am 13. November 2019 auf dem Heimweg aus Islamabad in der Nähe des Autobahnkreuzes Swabi in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa angehalten wurde. Außer ihm befand sich nur der Fahrer im Fahrzeug, mit dem Muhammad Idris Khattak bereits häufiger gereist war. Auch dieser wurde verschleppt. Die Familie von Muhammad Idris Khattak erfuhr von dessen "Verschwinden" erst, als der Fahrer in der Nacht zum 15. November freigelassen wurde.

In der Nacht vom 16. Juni 2020 gab das Verteidigungsministerium zu, dass Idris Khattak in Gewahrsam gehalten wird. Einen Tag später wurde diese Information in einer Anhörung von einem Ermittlungsteam (Joint Investigation Team) bestätigt.

Idris Khattaks Rechtsbeistand war es nach eigenen Angaben während des ganzen Prozesses insgesamt nur dreimal erlaubt, seinen Mandanten zu treffen. Jedes dieser Treffen wurde aufgezeichnet, und ein Armeeangehöriger war ununterbrochen anwesend. Außerdem war es ihnen nicht gestattet, in ihrer Muttersprache Paschtunisch zu sprechen.

Die derzeitige Regierung unter Imran Khan hat versprochen, das Verschwindenlassen unter Strafe zu stellen. Der Gesetzentwurf dazu, der aktuell im Senat verhandelt wird, wird allerdings internationalen Standards nicht gerecht, und Berichte über weitere Fälle des Verschwindenlassens hemmen zusätzlich die Entwicklung.