USA: Hinrichtung ausgesetzt!

Sachlage

Melissa Lucio wurde im Juli 2008 des Mordes an ihrer zweijährigen Tochter für schuldig befunden, die im Februar 2007 gestorben war, und zum Tode verurteilt. Noch am 31. März 2022 hatte es das US-Berufungsgericht des Fünften Bezirks abgelehnt, seine vorherigen Urteile zu überprüfen, die das zuvor gefällte Todesurteil und den Schuldspruch gegen Melissa Lucio bestätigt hatten. Doch eine_r der Richter_innen beschrieb den Fall als "systematisches Versagen, das eine Reihe von Ungerechtigkeiten hervorgebracht hat". Diese seien von der späteren Verurteilung des damaligen Staatsanwalts wegen Korruption "überschattet" worden, der momentan eine 13-jährige Haftstrafe verbüße, "wegen Amtsmissbrauch in dem Zeitraum, in dem diese Anklage [gegen Melissa Lucio] erhoben wurde".

Am 15. April 2022 reichten die Rechtsbeistände von Melissa Lucio einen 242-seitigen Antrag auf richterliche Haftprüfung ein und forderten das Berufungsgericht für Strafsachen im Bundesstaat Texas (Texas Court of Criminal Appeals – TCCA) auf, ihre Hinrichtung auszusetzen sowie den Schuldspruch und das Todesurteil aufzuheben. Der Antrag enthielt neue wissenschaftliche Beweise und Gutachten von Sachverständigen, die ernsthafte Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Melissa Lucios Aussage aufkommen ließen, in der sie sich selbst belastet hatte. Sie war unmittelbar nach dem Tod ihres Kindes fünf Stunden lang verhört worden. Außerdem wurde in einem Gutachten dargelegt, warum sie durch ihre Lebensgeschichte – die von Traumata und Missbrauch durch Männer geprägt ist – bei einem solchen Verhör besonders anfällig für ein falsches Geständnis war. Außerdem beschrieb der Antrag den ermittlungstechnischen Tunnelblick seitens der Anklagebehörde und die Zulassung von unwissenschaftlichen Gutachten. Insgesamt bestehen große Zweifel, dass es sich überhaupt um ein Tötungsdelikt handelt. Vielmehr untermauert der Antrag die Annahme, dass der Tod des Kindes die Folge eines unbeabsichtigten Sturzes war.

In seinem Beschluss vom 25. April 2022 entschied das TCCA, dass vier der neun in dem Antrag auf richterliche Haftprüfung vorgebrachten Beanstandungen die Anforderungen des texanischen Rechts für eine Überprüfung durch das ursprünglich zuständige Gericht erfüllen. Diese vier Punkte sind: "Hätte der Staat keine unwissenschaftlichen Gutachten zugelassen, hätte keine Jury sie verurteilt"; "Wissenschaftliche Beweise, die zuvor nicht vorlagen, würden ihre Verurteilung ausschließen"; "Sie ist tatsächlich unschuldig" und "Der Staat hat wesentliche Beweise zurückgehalten, die sie entlastet hätten". Das TCCA verwies diese vier Punkte zur Überprüfung an das ursprünglich zuständige Gericht zurück und setzte die Hinrichtung bis zu dessen Entscheidung aus.

Die Entscheidung des TCCA kam kurz bevor der Begnadigungsausschuss von Texas darüber abstimmen sollte, ob er Gouverneur Greg Abbott die Umwandlung des Todesurteils oder die Gewährung eines 120-tägigen Aufschubs der Hinrichtung empfehlen sollte. Ein bereits bestehendes Gnadengesuch wurde am 12. April von Melissa Lucios Rechtsbeiständen um weitere Beweise und wissenschaftliche Gutachten ergänzt. Außerdem fügten sie ihm die Erklärung eines fünften Geschworenen (der im Prozess als Jury-Vorsitzender fungiert hatte) hinzu, der sich vier anderen Geschworenen und einem Ersatzgeschworenen anschloss, die sich bereits gegen die Hinrichtung und für ein neues Verfahren ausgesprochen hatten.

Die Rechtsbeistände von Melissa Lucio bedanken sich "bei den Hunderttausenden, die sich in Texas, den USA und der ganzen Welt für Melissa eingesetzt haben".

Vielen Dank allen, die Appelle geschrieben haben. Weitere Aktionen sind derzeit nicht erforderlich.

Weitere Informationen zu UA-029/2022 (AMR 51/5420/2022, 30. März 2022)