Amnesty Journal Usbekistan 06. April 2010

Der Zeuge aus dem Foltergefängnis

Für die Ermittlungen gegen die "Sauerland-Gruppe" ­verhörte die Bundesanwaltschaft einen Zeugen in einem usbekischen Gefängnis. Dort wird regelmäßig gefoltert.

Von Marcus Bensmann

Ein Video zeigt das Verhör. Es wurde am 30. September 2008 in Taschkent aufgenommen. Beamte des Bundeskriminalamts und der Bundesanwaltschaft reisten in ein usbekisches Gefängnis und vernahmen dort den Zeugen Scherali Asisow. Er belastete Mitglieder der "Sauerland-Gruppe", die Anschläge in Deutschland geplant hatten.

Usbekistan ist ein Unrechtsstaat. Folter wird in dem zentral­asiatischen Staat systematisch angewandt. "Die Befragung von Zeugen in solchen Staaten durch deutsche Ermittler ist ein Verstoß gegen das Folterverbot", sagt Julia Duchrow von Amnesty International. "Auch wenn der Gefangene nicht vor den Augen der deutschen Beamten misshandelt wird, steht er bei dem Verhör unter der Drohung, gefoltert zu werden. Das dürfen die Ermittler nicht ausnutzen."

Die schwarze Anstaltskleidung wirft Falten um den mageren Körper des Häftlings. Der Schädel ist kahl geschoren, die Wangen wirken eingefallen. Beim Zuhören presst der Mann die Lippen aufeinander. Die Gesichtszüge bleiben starr, nur die braunen Augen wandern vom fragenden Deutschen zum Übersetzer.

Asisow ist in Usbekistan als Terrorist verurteilt. Er soll 2006 einen Anschlag auf den Militärstützpunkt im usbekischen Termes geplant haben, den die Bundeswehr für den Krieg in Afghanistan nutzt. Aber nicht deswegen reisten die deutschen Ermittler nach Taschkent. Die Bundeswehr weiß auf Nachfrage auch drei Jahre später nichts von einem Attentatsversuch.

Asisow sagt aus, zwei Mitglieder der Sauerland-Gruppe in einem Ausbildungslager für Terroristen im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet erkannt zu haben. Er spricht über die Islamische Dschihad Union. Die zwei Deutschen, ein Mann und eine Frau in Anzügen, stellen ihre Fragen höflich. Die BKA-Beamtin schreibt eifrig mit. Der Bundesanwalt liest die Fragen ab und lässt den Kugelschreiber zwischen seinen Fingern kreisen. Es habe "keine Hinweise auf eine Beeinflussung des Zeugen durch psychische oder physische Zwangsmittel gegeben", erklärt die Bundesanwaltschaft später. In der Tat, auf dem Video wird Scherali Asisow nicht vor den Augen der deutschen Gäste malträtiert.

Im Protokoll der deutschen Ermittler heißt es aber, der Zeuge sei zusammen mit einem zweiten Usbeken verhaftet worden und dieser sei in der Haft an einem Unfall verstorben. Die deutschen Juristen sollten wissen, dass Unfalltod im usbekischen ­Gefängnis häufig eine Chiffre für Tod durch Folter ist. Vor dem Gericht in Düsseldorf hätten die Verteidiger gegen die Verwertbarkeit der Aussagen aus dem usbekischen Foltergefängnis protestiert. Doch dazu kam es nicht. Alle vier Angeklagten haben gestanden. Anfang März hat das Gericht sie zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, ohne dass Asisows Aussagen in den Prozess eingeführt wurden.

Asisow ist Usbeke, er stammt aber aus dem Dorf Beskapa in dem usbekischen Nachbarstaat Tadschikistan. Seit Jahrhunderten siedelt dort eine usbekische Minderheit. Beskapa liegt in der tadschikischen Provinz Jawan, sechzig Kilometer südöstlich der Hauptstadt Duschanbe. Die Ausläufer des Vorpamirgebirges umschließen das fruchtbare Tal. Weiß getupfte Baumwollfelder überziehen die Ebene, am Eingang des Tals steht eine Chemie­fabrik aus der Sowjetzeit. Die Anlagen sind verrostet, einige Aufbauten umgestürzt, zwei Schlote rauchen noch. Ein Melonenverkäufer an der Straße weist den Weg zum Haus der Familie.

Entlang einer staubigen Straße grenzen Mauern aus Lehmziegeln die Gehöfte ab. Ein aus den Angeln gehobenes Metalltor steht vor dem Haus der Asisows. Die Mauer umschließt zwei Gebäude und einen Garten mit Maulbeer- und Walnussbäumen. Von Asisows Schicksal wusste seine Familie nichts. Erst die journalistische Recherche bringt die Nachricht von seiner Verhaftung und Verurteilung in Usbekistan nach Beskapa. Er war 2004 in den Iran gereist, um in der Stadt Sahedan den Koran zu studieren. Zwei Jahre später führte sein Vater Chaitali Asisow das letzte Telefongespräch mit ihm. Die Verbindung sei schlecht gewesen. Und dann abgebrochen. Seither war Asisow verschollen.

Der 71-jährige Chaitali Asisow ist hager und trägt einen weißen Bart, und der blaue Kaftan verschluckt ihn förmlich. Scherali ist der jüngste seiner vier Söhne. Er wurde am 24. November 1975 geboren. Er war ein guter Schüler und lernte sogar Deutsch. Zweimal belegte Scherali in einer Wissensolympiade in Deutsch den dritten Platz. Das ist ungewöhnlich. Obwohl Asisow später vor deutschen Beamten aussagte, die Deutschen in Terrorlagern in Pakistan gesehen zu haben, hat er trotz seiner Sprachkenntnisse offenbar nicht versucht, mit ihnen Deutsch zu reden.

Nach der Schule ging Asisow zum Militär. Er diente an der tadschikisch-afghanischen Grenze in den Ausläufern des Pamirgebirges. 1994 wütete in Tadschikistan noch der Bürgerkrieg. Das Wehrbuch dokumentiert seinen Aufstieg zum Unteroffizier. Er bekam einen Orden. Asisow begann sich für Religion zu interessieren und wollte Mullah werden. Drei Jahre lernte der Usbeke in Tadschikistan den Koran. Er heiratete und sollte als jüngster Sohn mit seiner Familie bei Vater und Mutter wohnen. Nach der Hochzeit pendelte er für drei Jahre zum Geldverdienen nach Russland. Im Juni 2003 brachte seine Frau Tochter Madina zur Welt.

Bei einem Fest in Beskapa erklärte der Imam unwirsch, dass Asisow trotz seiner Studien kaum Arabisch könne. Daraufhin, so erzählt es sein Vater, beschloss er, im Ausland zu studieren. Im Februar 2004 flog er in den Iran. Ein Bekannter aus Tadschikistan begleitete ihn bis nach Sahedan, wo Asisow in eine Religionsschule eintreten wollte. In Sahedan verliert sich die Spur.

Erst im Juli 2009 bekam die Familie Asisow einen Brief ihres Sohnes. Asisow hatte ihn bereits am 26. Februar 2009 im Gefängnis von Buchara geschrieben. Dort sitzt er in einem Hochsicherheitsgefängnis für Schwerverbrecher, 450 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Taschkent. Im September 2009 besucht der Vater seinen Sohn. Scherali habe dürr ausgesehen, aber er sei gesund, sagt der Vater. "Scherali hat mir gesagt, dass er unschuldig ist."

Für Duchrow ist die tatsächliche Schuldfrage Asisows bei der Beachtung des Folterverbots unerheblich. Die Amnesty-Referentin wünscht sich bei deutschen Beamten mehr Rückgrat. "Sie hätten sich weigern sollen, nach Taschkent zu fliegen", sagt Duchrow, denn Beamte seien dem Artikel eins des Grundgesetzes, der die Unverletzlichkeit der Menschenwürde garantiert, vor jeder Dienstanweisung verpflichtet.

Der Autor ist freier Zentralasien-Korrespondent. Im Frühjahr 2009 spürte er Asisows Familie in Tadschikistan auf.

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