Amnesty Report 24. April 2024

Regionalkapitel Amerika 2023

Das Bild zeigt Menschen, mit einen großen Regenbogenflagge

Demonstration für die Rechte von Schwulen, lesbischen, bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI+) in der brasilianischen Stadt Sao Paolo am 19. Juni 2023

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Auf dem gesamten amerikanischen Kontinent wurde der Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliches Engagement immer enger. Dies gefährdete die Fortschritte, die im Hinblick auf die Menschenrechte in den vergangenen Jahrzehnten erzielt worden sind. Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen wurden gezielt schikaniert, kriminalisiert, angegriffen und getötet. Besonders gefährdet waren Aktivist*innen, die sich für Klimagerechtigkeit, Landrechte und Umweltschutz einsetzten. Somit blieb diese Weltregion eine der gefährlichsten im Hinblick auf diese Aktivitäten. In den meisten Ländern des amerikanischen Kontinents gab es immer noch keine wirksamen Schutzprogramme für Menschenrechtsverteidiger*innen. Die Sicherheitskräfte reagierten auf friedliche Demonstrationen mit rechtswidriger Gewalt. 

Die Behörden verletzten nach wie vor die Rechte der Menschen auf Leben, Freiheit, ein faires Gerichtsverfahren und körperliche Unversehrtheit, und willkürliche Inhaftierungen waren weit verbreitet. Auf dem gesamten Kontinent war geschlechtsspezifische Gewalt noch immer fest verwurzelt, und die Behörden ergriffen keine wirksamen Maßnahmen, um Straflosigkeit für diese Verbrechen zu bekämpfen und Frauen, Mädchen sowie andere von Diskriminierung und Gewalt betroffene Bevölkerungsgruppen zu schützen. Was den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen betraf, gab es auf dem gesamten Kontinent massive Rückschläge, selbst in Ländern, die den Eingriff entkriminalisiert hatten. 

Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) litten nach wie vor unter Verfolgung und unzureichender rechtlicher Anerkennung. Indigene Gemeinschaften waren weiterhin unverhältnismäßig stark von Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierung betroffen. In einigen Ländern wurde ihnen ihr Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung verweigert, insbesondere bei Großprojekten. Die Zahl der Menschen, die aufgrund verheerender wirtschaftlicher, humanitärer und politischer Krisen aus ihren Heimatländern flohen, stieg dramatisch an. Mehrere Länder missachteten ihre Pflicht, die Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen zu schützen, und reagierten auf die wachsende Zahl der Schutzsuchenden, indem sie zunehmend Militär einsetzten. Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzungen und völkerrechtliche Verbrechen blieb allgegenwärtig, und viele Länder entzogen sich weiterhin internationaler Kontrolle. 

Brasilien, Kanada und die USA zählten zu den größten Verursachern von Treibhausgasemissionen weltweit. Die Ausweitung der Förderung und Produktion fossiler Brennstoffe auf dem Kontinent gefährdete die globalen Klimaziele. Dennoch waren die Regierungen nicht bereit, sich zu einem raschen und gerechten Ausstieg aus der Nutzung und Produktion aller fossilen Brennstoffe zu verpflichten und deren Subventionierung einzustellen. Doch war nicht alles hoffnungslos. Trotz düsterer Aussichten und vieler Widrigkeiten kämpften Menschenrechtler*innen und andere Personen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, weiterhin für einen grundlegenden Wandel auf dem Kontinent, um fairere und gerechtere Lebensverhältnisse für alle zu erreichen.

Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Auf dem gesamten Kontinent verringerte sich der zivilgesellschaftliche Handlungsspielraum 2023 dramatisch. In Ländern wie El Salvador, Nicaragua und Venezuela, in denen das Recht auf freie Meinungsäußerung bereits eingeschränkt war, ergriffen die Regierungen weitere rechtliche und institutionelle Maßnahmen gegen zivilgesellschaftliche Gruppen, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. In Nicaragua verloren von August 2022 bis September 2023 mehr als 2.000 NGOs ihre Zulassung. Damit erhöhte sich die Zahl der seit 2018 geschlossenen Organisationen auf 3.394. Im August 2023 verfügten die Behörden außerdem die Schließung der Zentralamerikanischen Universität (Universidad Centroamericana) mit der Begründung, es handle sich um ein "Terrorismuszentrum". Zudem beschlagnahmten sie Eigentum von Organisationen wie dem Roten Kreuz. In Kuba konnte die Regierung gemäß eines im Mai 2023 verabschiedeten Gesetzes Telekommunikationsanbieter anweisen, Nutzer*innen auszuschließen, wenn diese Informationen verbreitet hatten, die nach Ansicht der Behörden die öffentliche Ordnung oder die Moral beeinträchtigten.

In El Salvador gab es 2023 zahlreiche Proteste, weil sich die Lage im Land zunehmend verschlechtert hatte, seit im März 2022 der Ausnahmezustand verhängt worden war. Die Behörden reagierten mit Repressionen auf die legitimen Unmutsäußerungen und verletzten die Rechte auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, indem sie die Bewegungsfreiheit einschränkten und Organisator*innen von Protesten stigmatisierten, bedrohten und umfassend überwachten.

In Argentinien, Bolivien, El Salvador, Haiti, Kuba, Paraguay, Peru, Puerto Rico und Venezuela gingen die Behörden repressiv gegen öffentliche Kundgebungen vor. So meldete die Ombudsstelle in Bolivien, dass die Polizei im Januar 2023 bei Protesten, die durch die Festnahme des Gouverneurs von Santa Cruz ausgelöst worden waren, in mehreren Fällen unverhältnismäßige Gewalt angewandt habe.

In Argentinien, Kanada, Kuba, Mexiko, Puerto Rico und den USA leiteten die Behörden strafrechtliche Verfahren gegen friedlich Demonstrierende ein. In Chile weichte ein neues Gesetz die rechtlichen Pflichten der Sicherheitskräfte bei Gewaltanwendung auf. In den USA wurden in 16 Bundesstaaten Gesetzentwürfe eingebracht, die das Recht auf Protest einschränkten. Der Bundesstaat North Carolina verschärfte die Strafen für "Aufruhr" und für Proteste in der Nähe von Pipelines.

Journalist*innen waren auf dem amerikanischen Kontinent weiterhin stark gefährdet. In Argentinien, der Dominikanischen Republik, El Salvador, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Paraguay und Venezuela wurden Medienschaffende bedroht, rechtswidrig überwacht, schikaniert und getötet. In der Dominikanischen Republik gab es Beweise dafür, dass die bekannte Journalistin Nuria Piera, die sich mit Korruption und Straflosigkeit beschäftigte, in den Jahren 2020 und 2021 ausgespäht worden war. Die Behörden bestritten ihre Beteiligung an der Überwachung, bei der die Spionagesoftware Pegasus des Unternehmens NSO Group eingesetzt worden war, die einen uneingeschränkten Zugriff auf elektronische Geräte ermöglicht. In Mexiko wurden nach Angaben der Organisation Article 19 mindestens fünf Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet.

Die Staaten müssen Gesetze und Vorgehensweisen abschaffen, die die Ausübung der Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit behindern. Sie müssen zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um das Recht der Menschen auf Meinungsfreiheit und die Arbeit von Journalist*innen zu schützen.

Das Bild zeigt eine Frau vor einer Reihe Polizisten

Eine indigene Frau am Rande einer regierungskritischen Demonstration in Perus Hauptstadt Lima am 23. Januar 2023

Menschenrechtsverteidiger*innen

Menschenrechtsverteidiger*innen waren auf dem amerikanischen Kontinent so stark gefährdet wie sonst fast nirgendwo auf der Welt. Das Engagement für Landrechte und Umweltschutz war u. a. in Bolivien, Brasilien, Ecuador, El Salvador, Honduras, Kanada, Kolumbien und Mexiko extrem riskant, insbesondere für Schwarze Menschen, Indigene und Frauen. Staatliche und nichtstaatliche Akteur*innen in Brasilien, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Haiti, Honduras, Kanada, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Nicaragua, Peru, Venezuela und anderen Ländern schikanierten, stigmatisierten, kriminalisierten und töteten Menschenrechtler*innen, um deren wichtige und legitime Arbeit zu unterbinden. In Brasilien wurden nach Angaben der NGO Justiça Global in den vergangenen vier Jahren jeden Monat im Durchschnitt drei Menschenrechtsverteidiger*innen ermordet. Honduras lag laut der NGO Global Witness weltweit an erster Stelle, was die Zahl der getöteten Menschenrechtsverteidiger*innen gemessen an der Bevölkerungszahl betraf. Im Juli 2023 wurde ein Einwohner der Gemeinde Guapinol im Norden des Landes am helllichten Tag erschossen, nachdem sechs Monate zuvor bereits zwei seiner Familienmitglieder getötet worden waren. Alle drei hatten sich gegen ein Bergbauvorhaben zur Wehr gesetzt, um den Fluss Guapinol vor Verschmutzung zu bewahren, von dem ihr Lebensunterhalt abhing. Ende 2023 war noch niemand für die Tötungen zur Verantwortung gezogen worden.

In den meisten Ländern des amerikanischen Kontinents gab es keine wirksamen Schutzprogramme für Menschenrechtsverteidiger*innen. In Kolumbien bestand allerdings Aussicht auf Verbesserung: Das Innenministerium kündigte an, das Programm für den kollektiven Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen aus Basisorganisationen und Gemeinschaften, die häufig Landrechte verteidigen, zu stärken.

Die Staaten müssen dafür sorgen, dass Menschenrechtsverteidiger*innen ihre Aktivitäten gefahrlos ausüben können, indem sie wirksame Schutzprogramme entwickeln oder bestehende Programme verbessern. Sie müssen außerdem sicherstellen, dass bei Angriffen auf Aktivist*innen die mutmaßlich Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden.

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Willkürliche Inhaftierungen und unfaire Gerichtsverfahren

In weiten Teilen des Kontinents waren willkürliche Inhaftierungen weiterhin üblich. Die Behörden in El Salvador, Kuba, Nicaragua, Venezuela und anderen Ländern verletzten nach wie vor die Rechte der Menschen auf Freiheit, faire Gerichtsverfahren und körperliche Unversehrtheit. In den USA spielte bei vielen Inhaftierungen Diskriminierung eine Rolle.

In El Salvador wurden seit Beginn des Ausnahmezustands im März 2022 mehr als 73.000 Inhaftierungen verzeichnet. Die meisten Inhaftierten wurden beschuldigt, "illegalen Gruppierungen" anzugehören und an Bandenkriminalität beteiligt gewesen zu sein. Die Mehrzahl dieser Inhaftierungen verstieß gegen das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren, weil keine richterlichen Haftanordnungen vorlagen und die Identität der beteiligten Richter*innen verschwiegen wurde.

In Ländern wie El Salvador, Mexiko, Nicaragua und Venezuela wurden Gefangene häufig gefoltert oder anderweitig misshandelt; in einigen Fällen wurden sie Opfer des Verschwindenlassens. In Venezuela waren seit 2014 rund 15.700 Personen willkürlich festgenommen worden, von denen laut Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen 2023 weiterhin rund 280 willkürlich aus politischen Gründen in Haft waren. Am 30. August wurde der studentische Aktivist und Musiker John Álvarez willkürlich festgenommen und länger als 24 Stunden ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Sicherheitskräfte zwangen ihn unter Folter dazu, einen Gewerkschaftsführer und einen Journalisten zu belasten, und zeichneten dies auf Video auf. Er kam im Dezember 2023 wieder frei.

In einer Reihe von Ländern, darunter Bolivien, El Salvador, Kuba, Nicaragua, USA und Venezuela, wurde das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren verletzt. Das US-Militär hielt immer noch 30 muslimische Männer willkürlich und auf unbestimmte Zeit auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba fest und verletzte damit das Völkerrecht. Obwohl der Oberste Gerichtshof der USA bereits 2008 entschieden hatte, dass sie ein Recht darauf hatten, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung richterlich überprüfen zu lassen (Habeas Corpus), wurden ihnen entsprechende Anhörungen weiterhin verweigert.

Die Behörden müssen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren garantieren und dürfen die Justiz nicht missbrauchen. Staaten müssen gewährleisten, dass Menschen, die willkürlich inhaftiert wurden, angemessen entschädigt werden.

Exzessive und unnötige Gewaltanwendung

Auf dem gesamten Kontinent wandten die Sicherheitskräfte 2023 exzessive und unnötige Gewalt an, einschließlich tödlicher Gewalt. Besonders betroffen waren Argentinien, Brasilien, die Dominikanische Republik, Honduras, Kanada, Kuba, Mexiko, Peru, Puerto Rico und die USA. In vielen Fällen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung spielte Rassismus eine Rolle. In Brasilien wurden von Juli bis September 2023 mindestens 394 Menschen bei Polizeieinsätzen in den Bundesstaaten Bahia, Rio de Janeiro und São Paulo getötet. Dennoch zog die Regierung nicht den Einsatz von Maßnahmen wie Bodycams in Betracht, um die Polizeigewalt einzudämmen. In den USA tötete die Polizei durch Schusswaffeneinsatz 1.153 Personen. Der peruanische Staat reagierte auf landesweite Proteste sowohl mit tödlicher als auch mit übermäßiger Anwendung weniger tödlicher Gewalt, die rassistisch motiviert war und sich insbesondere gegen Indigene richtete. Bei den Protesten wurden in knapp zwei Monaten 49 Zivilpersonen und ein Polizist getötet sowie Hunderte Menschen verletzt. In mindestens 20 Fällen von Tötung könnte es sich um außergerichtliche Hinrichtungen handeln.

In Chile und Kolumbien wurden Polizeireformen fortgesetzt, die zu gemischten Ergebnissen führten. Die kolumbianische Regierung verabschiedete Vorschläge zur Änderung der Struktur und Arbeitsweise der Polizei und gab z. B. ein neues Polizeihandbuch zum Einsatz von Gewalt bei Protesten heraus. Eine umfassende Polizeireform stand jedoch noch aus.

In einer Reihe von Ländern schritt die Militarisierung der inneren Sicherheit weiter fort, u. a. in El Salvador und Honduras, wo die Behörden den Ausnahmezustand verhängt hatten. Ecuador und Mexiko erweiterten Gesetze, um das Militär bei öffentlichen Sicherheitsaufgaben einsetzen zu können.

Die Behörden müssen sicherstellen, dass Polizeikräfte internationale Menschenrechtsnormen und -standards einhalten, u. a. in Bezug auf die Anwendung von Gewalt. Sie müssen gewährleisten, dass Personen, die im Verdacht stehen, Menschenrechtsverletzungen verübt zu haben, vor Gericht gestellt werden.

Rechte von Frauen und Mädchen

Feminizide und andere Formen tief verwurzelter geschlechtsspezifischer Gewalt waren auf dem gesamten amerikanischen Kontinent an der Tagesordnung. Die Behörden ignorierten das Problem der Straflosigkeit für diese Verbrechen allerdings systematisch. In Mexiko wurden nach Angaben der zuständigen Behörde im Durchschnitt neun Frauen pro Tag ermordet. Die meisten Fälle wurden weder ordnungsgemäß untersucht noch aufgeklärt. Für Kanada verzeichneten die Vereinten Nationen einen Anstieg der Zahl vermisster und ermordeter indigener Frauen und Mädchen. Sie stellten außerdem fest, dass indigene Frauen und Mädchen sowie Two-Spirit-Personen, lesbische, schwule, bisexuelle, trans, queer, questioning, intergeschlechtliche und asexuelle Menschen (2SLGBTQQIA+), die im Umfeld von Pipeline-Baustellen lebten, in starkem Maße sexualisierter Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt waren.

Auf dem gesamten amerikanischen Kontinent waren die sexuellen und reproduktiven Rechte weiterhin stark eingeschränkt, selbst in Ländern wie Argentinien und Kolumbien, die Schwangerschaftsabbrüche 2020 bzw. 2022 entkriminalisiert hatten. In El Salvador bestand nach wie vor ein absolutes Abtreibungsverbot, und mindestens 21 Frauen standen wegen unverschuldeter gynäkologischer Notfälle (meist Früh- oder Totgeburten) vor Gericht. In Chile gab es keine Fortschritte bezüglich rechtlicher Reformen, um Schwangerschaftsabbrüche vollständig zu entkriminalisieren und einen gleichberechtigten und ungehinderten Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen zu gewährleisten. In Brasilien blieben Abtreibungen strafbar. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums starben dort bis Juli 2023 mindestens 19 Schwangere an den Folgen eines unsicheren Abbruchs. Im September befasste sich das Oberste Gericht Brasiliens mit einer Klage, die zum Ziel hat, Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen zu entkriminalisieren. Die Entscheidung wurde jedoch vertagt.

In einigen Ländern wurde der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen weiter eingeschränkt. In den USA führten 15 Bundesstaaten ein absolutes Abtreibungsverbot ein oder ließen Schwangerschaftsabbrüche nur noch in wenigen Ausnahmefällen zu, nachdem der Oberste Gerichtshof im Jahr 2022 den auf Bundesebene gesetzlich verankerten Schutz des Rechts auf einen Schwangerschaftsabbruch gekippt hatte. Die restriktiven Maßnahmen wirkten sich unverhältnismäßig stark auf Schwarze und andere von Rassismus betroffene Personen aus.

Doch gab es 2023 auch Fortschritte. In Honduras blieben Schwangerschaftsabbrüche zwar weiterhin verboten, doch hob die Regierung eine seit 14 Jahren bestehende Regelung auf, die den Verkauf und die Einnahme von Notfallverhütungsmitteln ("Pille danach") verboten hatte. In Mexiko erklärte der Oberste Gerichtshof, sowohl die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sei verfassungswidrig als auch die Entlassung von medizinischem Personal wegen der Durchführung oder Unterstützung des Eingriffs.

Die Behörden müssen die Straflosigkeit für Gewaltverbrechen an Frauen und Mädchen beenden. Sie müssen den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen sowie andere sexuelle und reproduktive Rechte gewährleisten, einschließlich einer umfassenden Sexualerziehung.

Das Bild zeigt Menschen mit Protestschildern in der Hand

Protest gegen die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile am 28. September 2023

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

In Argentinien, Brasilien, Guatemala, Honduras, Kanada, Kolumbien, Paraguay, Peru, Puerto Rico, den USA und weiteren Ländern waren LGBTI+ weiterhin in großem Maße Schikanen, Diskriminierung, Drohungen, gewaltsamen Angriffen und Tötungen ausgesetzt, die in der Regel straflos blieben. Zudem gab es Hindernisse bei der rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsidentität.

In Guatemala, wo die gleichgeschlechtliche Ehe nach wie vor verboten war, wurden nach Angaben der zuständigen Beobachtungsstelle 2023 mindestens 34 Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität getötet. In Brasilien wurden im 14. Jahr in Folge mehr trans Personen getötet als irgendwo sonst auf der Welt. Peru hatte immer noch kein offizielles Register für Hassverbrechen, obwohl Berichte vorlagen, dass LGBTI+ Opfer von Gewalt und Tötungen wurden. In Paraguay wies die Justiz fünf Klagen von trans Personen ab, die gefordert hatten, ihre Namen entsprechend ihrer Geschlechtsidentität rechtlich anzuerkennen. In den USA nahm die Zahl der Bundesstaaten dramatisch zu, die gegen LGBTI+ gerichtete Gesetze verabschiedeten. Lediglich 54 Prozent der erwachsenen LGBTI+ lebten in Bundesstaaten, in denen es Gesetze gegen Hassverbrechen gab, die auch Angriffe aufgrund der sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität oder des Ausdrucks der Geschlechtlichkeit abdeckten.

Im April 2023 fand man in einer Polizeiwache der argentinischen Kleinstadt Presidente Derqui (Provinz Buenos Aires) Sofía Inés Fernández tot in einer Zelle. Die 40-jährige trans Frau war dort wegen eines mutmaßlichen Raubüberfalls inhaftiert. Die Polizist*innen, die beschuldigt wurden, ihren Tod verursacht zu haben, behaupteten, sie habe sich das Leben genommen, die vorläufige Autopsie ergab jedoch, dass die Todesursache Erstickung war.

Trotz der düsteren Aussichten gab es 2023 gewisse Fortschritte. Im April 2023 erhielt in Kolumbien zum ersten Mal eine Person ein Universitätsabschlusszeugnis mit der Geschlechtsbezeichnung, die ihrer nicht-binären Identität entsprach.

Die Behörden müssen den Schutz von LGBTI+ verstärken. Dazu gehört auch, Verletzungen ihrer Rechte wirksam zu untersuchen und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Rechte indigener Gemeinschaften

Indigene Gemeinschaften, die über Jahrhunderte rassistisch diskriminiert und ausgegrenzt worden sind, waren weiterhin unverhältnismäßig stark von Menschenrechtsverletzungen betroffen. In Kolumbien waren nach Angaben des UN-Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) 45 Prozent aller Vertriebenen im Jahr 2023 Afrokolumbianer*innen und 32 Prozent Indigene. In Brasilien wurde Sônia Guajajara als erste indigene Frau zur Ministerin für indigene Bevölkerungsgruppen ernannt. Sie rief den nationalen Gesundheitsnotstand aus, weil die indigene Gemeinschaft der Yanomami unter Unterernährung, Umweltverschmutzung und sexualisierter Gewalt litt. Grund dafür waren in erster Linie illegale Bergbauaktivitäten auf dem angestammten Land der indigenen Gemeinschaft im Amazonasgebiet.

In mehreren Ländern, darunter Argentinien, Ecuador, Kanada und Venezuela, wurde indigenen Gemeinschaften das Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung verweigert, insbesondere im Zusammenhang mit großen Bergbau-, Landwirtschafts- und Infrastrukturvorhaben. In Kanada enthielt der im Juni 2023 von der Regierung veröffentlichte Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker (UNDRIP) keine ausreichenden Vorgaben, was die Rechenschaftspflicht der Regierung und das Recht der Betroffenen auf freie, vorherige und informierte Zustimmung betraf. Im Mai und Oktober standen mehrere Landrechtsverteidiger*innen der Wet'suwet'en vor Gericht, weil sie ihr Territorium gegen den Bau einer Pipeline verteidigt hatten. Eine Person wurde im November für nicht schuldig befunden, die anderen warteten noch auf ein Urteil. Bei einer Verurteilung könnten ihnen Gefängnisstrafen drohen.

In einer Reihe von Ländern gab es weiterhin Probleme im Zusammenhang mit Landbesitz und Eigentumsrechten. In Paraguay wartete die indigene Gemeinschaft der Tekoha Sauce, die zu den Avá Guaraní Paranaense zählt, immer noch auf die Rückgabe ihres angestammten Territoriums, von dem sie rechtswidrig vertrieben worden war, bevor das Energieunternehmen Itaipú Binacional dort ein Wasserkraftwerk baute. Das Unternehmen legte zudem Rechtsmittel gegen ein Gerichtsurteil ein, mit dem ein Räumungsbeschluss abgelehnt wurde, der zur Vertreibung der Tekoha Sauce aus einem anderen Teil ihres angestammten Landes geführt hätte.

Staaten müssen sicherstellen, dass indigene Gemeinschaften Eigentumsrechte und Kontrolle haben, was ihr Land und ihre Ressourcen betrifft. Sie müssen Maßnahmen ergreifen, um die Gewalt gegen indigene Gemeinschaften zu beenden und deren Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für erlittene Menschenrechtsverletzungen zu gewährleisten.

Drei Männer in traditioneller Bekleidung stehen vor einem Gebäude und schauen in die Kamera

Führende Mitglieder der indigenen Gemeinschaft der Wet’suwet’en demonstrieren am 7. April 2022 in der kanadischen Stadt Toronto gegen den Bau einer Gas-Pipeline auf ihrem Territorium.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Verheerende politische, humanitäre und wirtschaftliche Krisen in allen Teilen des Kontinents trugen dazu bei, dass die Zahl der Menschen, die ihre Heimatländer auf der Suche nach Sicherheit verließen, stark anstieg. Viele sahen sich unterwegs mit Menschenrechtsverletzungen konfrontiert. Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge waren Ende 2023 mehr als 7,72 Mio. Menschen aus Venezuela geflohen. Die Behörden in Panama gaben an, dass 520.000 Menschen im Jahr 2023 den Urwald von Darién an der Grenze zwischen Kolumbien und Panama durchquert hätten – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Die Zahl der Migrant*innen, Asylsuchenden und Flüchtlinge, die nach Mexiko kamen, um von dort aus weiter in die USA oder nach Kanada zu gelangen, stieg ebenfalls sehr stark an.

In Chile, Ecuador, Kolumbien, Mexiko, Peru, den USA und anderen Ländern missachteten die Behörden die Rechte von Migrant*innen und Flüchtlingen auf Respekt und Schutz, indem sie ihnen u. a. ihr Recht verweigerten, einen Asylantrag zu stellen. In den USA entfielen zwar die Einreisebeschränkungen gemäß der Richtlinie Title 42, dafür wurden neue Maßnahmen zur Steuerung der Migration eingeführt, die den Zugang zu Asyl an der Grenze zu Mexiko weiterhin drastisch einschränkten. So gingen die Behörden pauschal davon aus, dass die meisten Asylsuchenden nicht asylberechtigt waren. Außerdem verpflichteten sie Asylsuchende, eine App zu verwenden, um einen Termin zu vereinbaren. Da die Zahl der Termine begrenzt war, saßen viele Asylsuchende unter unmenschlichen Bedingungen an der Grenze fest und wurden dort Opfer von Gewalt und anderen Übergriffen.

Die US-Regierung verlängerte den vorübergehenden Schutz und die Arbeitsgenehmigungen für Staatsangehörige aus Haiti, Honduras, dem Jemen, Nepal, Nicaragua, Somalia, Südsudan, Sudan, der Ukraine und Venezuela. Für Flüchtlinge aus Haiti, Kuba, Nicaragua und Venezuela wurde ein besonderes Verfahren eingeführt, das monatlich bis zu 30.000 Personen aus diesen Ländern die Einreise in die USA ermöglichte, sofern sie eine*n in den USA ansässige*n Sponsor*in vorweisen konnten.

Die US-Behörden setzten die willkürliche, massenhafte Inhaftierung von Migrant*innen fort und nutzten dafür private Hafteinrichtungen. In Kanada kündigten die Provinzen Ontario, Québec, Saskatchewan und New Brunswick an, ihre Verträge mit der Grenzschutzbehörde bezüglich der Inhaftierung von Einwander*innen zu kündigen. Zuvor hatten bereits die Provinzen Alberta, British Columbia, Manitoba und Nova Scotia beschlossen, ab Juli 2024 niemanden mehr allein aus Einwanderungsgründen zu inhaftieren. In Mexiko, wo die Haftbedingungen für Migrant*innen und Asylsuchende besonders schlecht waren, fällte der Oberste Gerichtshof im März 2023 ein wegweisendes Urteil, indem er erklärte, dass die maximale Aufenthaltsdauer in einer Hafteinrichtung für Einwander*innen 36 Stunden betragen dürfe. Danach müssten die Migrant*innen und Asylsuchenden freigelassen werden.

Immer mehr Länder reagierten auf die steigende Zahl von Migrant*innen und Flüchtlingen, indem sie das Militär einsetzten. So verlegte die chilenische Regierung im Februar 2023 Truppen an die Grenzen zu Bolivien und Peru, um insbesondere Schutzsuchende aus Venezuela an der Einreise zu hindern.

Venezolanische Staatsangehörige stießen in Chile, Ecuador, Kolumbien und Peru auf erhebliche Hindernisse beim Zugang zu Asylverfahren und anderen vorübergehenden oder ergänzenden Schutzprogrammen. Viele erhielten keinen regulären Aufenthaltsstatus und waren deshalb von der Gesundheitsversorgung und anderen grundlegenden Dienstleistungen ausgeschlossen. Die Behörden in den betreffenden Ländern ergriffen weiterhin keine Maßnahmen, um aus Venezuela geflohene Frauen zu schützen, die besonders gefährdet waren, geschlechtsspezifische Gewalt zu erleiden. Viele Betroffene zeigten gewaltsame Übergriffe aus Angst, Misstrauen oder aufgrund von Fehlinformationen nicht an und erhielten keinen Zugang zu entsprechenden Dienstleistungen, weil sie keinen regulären Aufenthaltsstatus hatten.

In der Dominikanischen Republik waren Menschen aus Haiti bzw. haitianischer Herkunft und Schwarze Menschen weiterhin von Diskriminierung und Rassismus betroffen. Besonders gefährdet waren Migrant*innen, Asylsuchende, Flüchtlinge, Frauen und Mädchen sowie LGBTI+. Die Einwanderungsbehörde und die Polizei suchten in Krankenhäusern gezielt nach haitianischen Frauen und Mädchen, um sie willkürlich festzunehmen und abzuschieben.

Die Behörden müssen rechtswidrige Abschiebungen dringend einstellen, den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement) respektieren und die Inhaftierung von Flüchtlingen und Migrant*innen unterlassen. Staaten müssen sicherstellen, dass alle Menschen, insbesondere diejenigen, die vor massiven Menschenrechtsverletzungen fliehen, Asyl beantragen können und ein faires und wirksames Asylverfahren erhalten. Sie müssen Flüchtlingen den ihnen zustehenden Schutz gewähren und jeglichen Rassismus gegen Migrant*innen, Flüchtlinge und Asylsuchende bekämpfen.

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Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

In Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Haiti, Mexiko, Nicaragua, Peru, Uruguay und Venezuela war Straflosigkeit für völkerrechtliche Verbrechen und andere Menschenrechtsverletzungen nach wie vor die Regel. In einigen Ländern gab es jedoch auch Fortschritte.

Im Oktober 2023 stellte die Interamerikanische Menschenrechtskommission fest, dass Bolivien die während der politischen Krise 2019 verübten Menschenrechtsverletzungen noch nicht ausreichend aufgeklärt habe. Damals waren mindestens 37 Menschen gestorben, und Hunderte hatten Verletzungen durch Sicherheitskräfte erlitten. Auch in Brasilien verliefen die Ermittlungen zu Tötungen durch die Polizei ergebnislos. Drei Polizisten, die im Verdacht standen, im Jahr 2018 in Tucano (Bundesstaat Bahia) den Menschenrechtler Pedro Henrique Cruz ermordet zu haben, waren noch immer nicht vor Gericht gestellt worden, und seine Mutter, Ana Maria Santos Cruz, war weiterhin Drohungen und Einschüchterungen ausgesetzt. In Chile blieben die meisten der während der Massenproteste 2019 verübten Menschenrechtsverletzungen weiterhin straflos. Nach Angaben der chilenischen Generalstaatsanwaltschaft führten von den 10.142 Anzeigen, die Betroffene erstattet hatten, nur 127 zu Anklagen. In 38 Fällen kam es zu Verurteilungen, und 17 Verfahren endeten mit Freisprüchen.

In Ecuador blieben Menschenrechtsverletzungen straflos, die Sicherheitskräfte während der Proteste in den Jahren 2019 und 2022 verübt hatten. Im Juni 2023 legte Präsidialerlass 755 fest, dass Sicherheitskräfte, die im Verdacht standen, eine Person verletzt, geschädigt oder getötet zu haben, erst nach einer Verurteilung festgenommen oder vom Dienst suspendiert werden konnten. In Kolumbien verzeichnete das Kroc Institute for International Peace Studies, das die Einhaltung des Friedensabkommens von 2016 überwacht, zwischen April und Juni 2023 einige Fortschritte bei dessen Umsetzung.

In einigen Ländern gab es Fortschritte bezüglich des Rechts auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, u. a. in Argentinien und Chile. In Argentinien gingen die Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die unter der Militärregierung (1976–1983) verübt wurden, vor ordentlichen Zivilgerichten weiter. Chile stellte einen nationalen Plan vor, um Personen zu finden, die unter der Regierung von Augusto Pinochet (1973–1990) dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen waren. Die Umsetzung des Plans stand jedoch noch aus. Außerdem kündigte die chilenische Regierung eine nationale Erinnerungspolitik an mit dem Ziel, Gedenkstätten zu erhalten, die an die Opfer der Diktatur erinnern.

Im Juni 2023 beauftragte die Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) die Anklagebehörde des IStGH, die Ermittlungen zu mutmaßlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Venezuela wieder aufzunehmen, und ein argentinischer Staatsanwalt leitete auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips ein Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Venezuela ein.

Die Staaten müssen sich verpflichten, die Straflosigkeit zu bekämpfen und das Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu garantieren.

Recht auf eine gesunde Umwelt

Die Staaten des amerikanischen Kontinents ergriffen keine ausreichenden und wirksamen Maßnahmen, um das Recht der Menschen auf eine gesunde Umwelt zu gewährleisten und die Auswirkungen der Klimakrise auf die Menschenrechte abzumildern. Dies betraf insbesondere Argentinien, Bolivien, Brasilien, Ecuador, Kanada, Mexiko, Peru und die USA. Groß angelegte Bergbauprojekte verursachten Umweltschäden, unter denen insbesondere indigene Gemeinschaften, umliegende Gemeinden und andere ausgegrenzte Gruppen litten. Bolivien hatte sich zwar dazu verpflichtet, seinen Waldbestand zu erhalten, Menschenrechtsverteidiger*innen kritisierten jedoch, dass das Land nicht genug getan habe, um die Waldbrände zu verhindern, die Ende 2023 ausbrachen und infolge des Klimawandels noch schlimmer waren als in den Vorjahren.

Viele Länder kriminalisierten Angehörige indigener Gemeinschaften und andere Aktivist*innen, die sich gegen Bergbauprojekte zur Wehr setzten, die die Umwelt schädigten und Kohlenstoffsenken zerstörten.

Die globalen Temperaturen und Treibhausgasemissionen erreichten 2023 Rekordhöhen. Die Länder des amerikanischen Kontinents trugen dazu in sehr unterschiedlichem Ausmaß bei. Brasilien, Kanada und die USA zählten jedoch zu den größten Verursachern von Treibhausgasemissionen weltweit. Die Ausweitung der Förderung fossiler Brennstoffe und Projekte, bei denen das bei der Erdölförderung anfallende Gas verbrannt wird (Gasabfackeln), sowie die fortgesetzte Subventionierung fossiler Brennstoffe bedrohten die im Pariser Klimaabkommen festgelegten globalen Klimaziele. Dennoch waren die Regierungen nicht bereit, sich zu einem raschen und gerechten Ausstieg aus der Nutzung und Produktion aller fossilen Brennstoffe zu verpflichten und deren Subventionierung einzustellen.

Die Behörden müssen die Auswirkungen der Klimakrise auf die Menschenrechte dringend bekämpfen, indem sie kontinentweit Klimaschutzmaßnahmen ergreifen. Die Industrieländer und andere Staaten mit hohen Emissionen müssen die Führung beim Klimaschutz übernehmen, indem sie u. a. die Ausweitung der Produktion fossiler Brennstoffe und deren Subventionierung beenden. Die Regierungen müssen sicherstellen, dass indigene Gemeinschaften und Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich für Klimagerechtigkeit und Umweltrechte einsetzen, geschützt werden. Die finanzstarken Länder des Kontinents müssen außerdem dringend ihre Klimafinanzierung aufstocken, um Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung in finanzschwächeren Ländern zu unterstützen. Sie müssen sich zudem verpflichten, zusätzliche Mittel zur Bewältigung klimabedingter Schäden und Verluste bereitzustellen.

Das Bild zeigt Ölbohrtürme und Palmen aus einer Vogelperspektive

Im Norden Kolumbiens gefährden fossile Konzerne den Lebensraum von Menschen und Tieren.

Wirtschaftliche und soziale Rechte

Die Zahl der Menschen, die in Armut oder extremer Armut lebten, sank 2023 wieder auf das Niveau von vor der Coronapandemie. Die Länder des Kontinents unternahmen jedoch immer noch nicht die notwendigen Schritte, um die Armut bis 2030 zu beenden. Fast 30 Prozent der Bevölkerung Lateinamerikas (183 Mio. Menschen) lebten weiterhin in Armut und 11,4 Prozent (72 Mio.) in extremer Armut. Die massive Ungleichheit verhinderte weiterhin ein umfassendes Wirtschaftswachstum und eine sozial gerechte Entwicklung: 34 Prozent des Gesamteinkommens in Lateinamerika entfielen noch immer auf die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung.

Die Staaten müssen eine Steuer- und Haushaltspolitik verfolgen, die Armut und Ungleichheit bekämpft und menschenrechtliche Verpflichtungen hinsichtlich Gesundheit, Bildung, Wohnen und soziale Sicherheit sowie bezüglich des Zugangs zu grundlegenden Dienstleistungen und Waren erfüllt. 

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