Amnesty Journal Bangladesch 27. März 2017

Mehr Plan als Aktion

Anwohner vor einer abgebrannten Textilfabrik in Karachi, 2012

Anwohner vor einer abgebrannten Textilfabrik in Karachi, 2012

Die Bundesregierung will Unternehmen in einem Nationalen Aktionsplan zur Einhaltung von Menschenrechten in ihren Lieferketten verpflichten. Doch es fehlen Sanktionen und rote Linien.

Von Kai Schöneberg

Dass die Anklage überhaupt zugelassen wurde, ist eine kleine Sensation: Vier Überlebende und Hinterbliebene des Fabrikbrandes von Karachi im September 2012 verlangen vor dem Landgericht Dortmund Schmerzensgeld vom deutschen Textildiscounter KiK. 30.000 Euro pro Opfer fordern sie – stellvertretend für die 260 Toten und 32 Verletzten, die vor fünf Jahren beim pakistanischen KiK-Zulieferer Ali Enterprises arbeiteten.

Fiele das Urteil gar zugunsten der Kläger aus der Hafenstadt am Indischen Ozean aus, wäre es eine große Sensation – mit Präzedenzwirkung für Leidtragende anderer Fälle von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen weltweit, deren Produkte in Deutschland verkauft werden.

Damit könnte der Prozess in Düsseldorf mehr Einfluss auf die Einhaltung von Menschenrechten in Lieferketten deutscher Unternehmen haben als ein Projekt, das die Bundesregierung derzeit auf den Weg bringt. So sehen das jedenfalls die Vertreter vieler Nichtregierungsorganisationen, die den Ende 2016 vom Kabinett verabschiedeten Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) ablehnen. Das federführende Auswärtige Amt hingegen hält dem entgegen, dass darin "die Verantwortlichkeiten deutscher Unternehmen zur Wahrung der Menschenrechte erstmals in einem festen Rahmen verankert" würden.

Ziel des Nationalen Aktionsplans ist es, die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte des UNO-Menschenrechtsrats von 2011 umzusetzen. Bis Herbst 2016 kamen die Vertreter mehrerer Ressorts und relevanter Interessengruppen auch gut voran, doch dann trat das Finanzministerium auf die Bremse: Mit der Begründung, deutschen Firmen drohten Wettbewerbsnachteile, wurden dem Plan die Zähne gezogen.

Die UNO-Prinzipien sollten nicht in "rechtliche Verpflichtungen umgedeutet werden", die "mit übermäßigen Bürokratiekosten und Haftungsrisiken" verbunden seien, hieß es aus dem Haus von Minister Wolfgang Schäuble (CDU). Und das, obwohl zahlreiche hiesige Firmen in ihren Lieferketten Menschenrechtsverletzungen zumindest billigend in Kauf nehmen. Das zeigt eine Untersuchung der Universität Maastricht, die 1.800 Menschenrechtsbeschwerden weltweit ausgewertet hat – in 87 Fällen waren deutsche Unternehmen involviert.

Entsprechend harsch fällt die Kritik am NAP aus. Viel Plan und wenig Aktion, lautet der Tenor, da die Bestimmungen nur auf die Freiwilligkeit von Unternehmen setzten – und keine roten Linien zögen. So ist mangelhafter Brandschutz in Zuliefer­fabriken wie der in Karachi auch weiter nicht justiziabel, sagt Julia Otten von Germanwatch.

Fehlende Verbindlichkeit moniert auch Verena Haan: "Warum muss ein Konzern wie Mercedes künftig seine Lieferketten nicht transparenter gestalten, beispielsweise bei einem Konfliktrohstoff wie Kobalt für Elektro­batterien?", fragt die Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte von Amnesty Deutschland. Dass der Aktionsplan nicht auf die Einhaltung von Sorgfaltspflichten in den globalen Wertschöpfungsketten deutscher Konzerne pocht, hält Haan für eine "ganz große Schwachstelle".

Zwar heben die meisten Kritiker lobend hervor, dass der NAP deutsche Firmen dazu anhalte, ihren Sorgfaltspflichten für ihre globalen Lieferketten nachzukommen. Auf Zustimmung stößt auch das Ziel, bis 2020 die Beachtung von Menschenrechten in Unternehmensprozesse zu integrieren – zumindest in jeder zweiten Firma mit mehr als 500 Mitarbeitern.

Aber genau hier setzt auch die Kritik an. Schließlich dürfte es vielen der 3.000 betroffenen größeren Firmen ein Leichtes sein zu begründen, warum sie diese in ihren Lieferketten nicht berücksichtigen wollen. Auch, dass bundeseigene Firmen oder Unternehmen, die von Außenwirtschaftsförderung und öffentlichen Aufträgen profitieren, sich im Gegenzug nicht zu verantwortungsvollem Wirtschaften verpflichten müssen, stößt auf Unverständnis.

Dabei ist die Forderung, Firmen stärker in die Pflicht zu nehmen, alles andere als aus der Luft gegriffen. Die französische Nationalversammlung etwa beschloss erst im Februar ein Gesetz, das mit Strafen in Millionenhöhe droht, wenn Menschenrechte in den Lieferketten missachtet werden. Betroffen sind Firmen, die in Frankreich 5.000 Mitarbeiter beschäftigen oder im In- und Ausland zusammen 10.000 – so etwa Starbucks oder Volkswagen.

Gegen das französische Vorgehen sei der deutsche Aktionsplan nichts weiter als eine "politische Luftikuserklärung", sagt Markus Löning, von 2010 bis 2014 Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung und heute Berater von Firmen in Menschenrechtsfragen. "Was schert uns, was die letzte Bundesregierung gesagt hat?", werde die Haltung der Nachfolger der Großen Koalition gegenüber dem NAP sein, ist Löning überzeugt, der ein zentrales Versäumnis des Vorhabens ausmacht: "Es ist ein Plan, kein Gesetz."

Mehr Beachtung schenkt der frühere FDP-Bundestagsabgeordnete deshalb der EU-Richtlinie zur Erweiterung der Berichterstattung von großen kapitalmarktorientierten Unternehmen und Konzernen (CSR). Die von der Bundesregierung bereits übernommene CSR-Regelung sieht nicht nur Berichtspflichten für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern in Arbeitnehmer-, Sozial- und Umweltbelangen bei der Achtung von Menschenrechten und der Korruptionsbekämpfung vor – sondern ahndet diese bei Verstößen auch mit millionenschweren Geldbußen. Es werde interessant sein zu sehen, "wie das in zwei, drei Jahren auf die Lieferketten durchschlägt", sagt Löning.

Ganz so positiv freilich bewerten nicht alle die EU-Richtlinie. Menschen, die im globalen Süden in der Textilindustrie oder im Bergbau arbeiten, helfe diese wenig, kritisiert Frederike Boll, die bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung für Menschenrechte und Wirtschaft zuständig ist. "Sie betrifft vor allem am Kapitalmarkt tätige Unternehmen", so Boll, und damit weniger als ein Prozent der deutschen Konzerne. Aldi, Lidl oder KiK etwa könnten nicht in Haftung genommen werden.

Dass der Aktionsplan zumindest einen Bewusstseinswandel einleiten könnte, halten die Befürworter seinen Kritikern entgegen. "Das Thema menschenrechtliche Verantwortung in der Lieferkette hat eine Dynamik, der sich keiner entziehen kann", sagt die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD). Eines Tages werde "die Einhaltung von Sorgfaltspflichten zu einer Selbstverständlichkeit", die "die Verbraucher auch einfordern werden", ist sie sich sicher.

Firmen wie Tchibo, Studiosus Reisen und Otto hätten sich bereits positiv zum NAP geäußert. Bis zum angestrebten Ziel, dass die Einhaltung von Sorgfaltspflichten in den Lieferketten so normal ist wie heute das Anbieten von Bio-Produkten im Supermarkt, ist es freilich noch ein weiter Weg.

Entscheidend für die konkrete Ausgestaltung des Aktionsplans dürfte wohl der Ausgang der Bundestagswahl im September werden. "Neben Linken und Grünen wird sich wahrscheinlich auch die SPD in ihrem Wahlprogramm für ein Gesetz zur Verpflichtung der größten Unternehmen einsetzen", sagt Boll von der Ebert-Stiftung. CDU und CSU sind dagegen – bislang.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe April / Mai 2017 des Amnesty Journals erschienen.

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