Amnesty Journal Deutschland 28. November 2013

"Für die Unternehmen ist die Klage ein Schock"

"Auf eine Klage ist man in deutschen Unternehmen nicht vorbereitet"

"Auf eine Klage ist man in deutschen Unternehmen nicht vorbereitet"

Die Menschenrechtsorganisation "European Center for Constitutional and Human Rights" versucht, mit Musterklagen gegen Menschenrechtsverstöße deutscher Firmen im Ausland vorzugehen. Ein Gespräch mit der stellvertretenden juristischen Leiterin, Miriam Saage-Maaß.

Vor drei Jahren gab es eine Beschwerde bei der OECD gegen mehrere europäische Baumwollhändler, die Baumwolle aus Usbekistan importierten. Dabei ging es auch um Kinder- und Zwangsarbeit. Was hat diese Beschwerde bewirkt?
In Usbekistan dürfen heute nur noch Jugendliche ab 16 Jahren eingesetzt werden – das ist immerhin ein Unterschied zu früher, als auch zehnjährige Kinder arbeiten mussten. Die Beschwerde konnte aber nur indirekt wirken, da sie sich gegen die europäischen Unternehmen richtete, die Baumwolle aus Usbekistan importieren. In Usbekistan ist das System vollständig staatlich kontrolliert, sodass man die Lieferkette selbst als Händler nicht nachvollziehen kann. Weil Kinder systematisch eingesetzt wurden und alle Einnahmen nur dem Staat zugute kamen, haben wir uns grundsätzlich gegen den Kauf von Baumwolle aus Usbekistan ausgesprochen. Wenn die europäischen Händler nichts mehr kaufen, steht die usbekische Regierung unter Druck, etwas zu ändern. Gleichzeitig hat sich die Internationale Arbeitsorganisation lange mit dem Thema beschäftigt und auch die Europäische Union hat immer wieder Initiativen gestartet. Es ist daher schwer nachvollziehbar, ob nur die OECD-Beschwerde entscheidend war.

2010 stellten Sie Strafanzeige gegen eine deutsche Ingenieursfirma, die am Bau des Staudamms Merowe im Norden des Sudans beteiligt war. Tausende Familien mussten aus dem Gebiet fliehen, weil es überflutet wurde. Was waren die Konsequenzen dieser Anzeige?
Die zuständige Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und damit begonnen, Zeugen zu vernehmen.

Ist es nicht sehr schwierig, im Sudan zu ermitteln?
Ja, aber in diesem Fall haben wir das große Glück, dass es mehrere Deutsche gibt, die selber Betroffene der Überflutung waren. Eine deutsche Wissenschaftlerin schrieb in der Region an ihrer Doktorarbeit über einen Volksstamm, der durch die Überflutung vertrieben wurde. Und wir haben Kontakt zu einer ehemaligen UNO-Mitarbeiterin, die damals vor Ort war.

Was wird den Projektleitern konkret vorgeworfen?
Es geht um ein typisches Problem: Der Bau geht schneller voran als die Umsiedlung. Die Projektleitung hat aber, um ihren Zeitplan einzuhalten, einfach weitergebaut. Sie wusste, dass mit dem nächsten Bauschritt die Siedlungen, die sich im Stauraum befanden, überflutet werden würden. Unserer Meinung nach hätten sie diesen Schritt nicht gehen dürfen, bevor die sudanesische Regierung nicht die Umsiedlung geklärt hatte.

Was ist dabei strafrechtlich relevant?
Wer eine Überschwemmung herbeiführt und damit Leib und Leben oder das Eigentum anderer Menschen gefährdet, macht sich nach deutschem Recht strafbar. Und dieser Tatbestand gilt nicht nur in Deutschland, sondern wo auch immer ein Deutscher das Leben und Eigentum anderer Menschen durch eine Überschwemmung gefährdet.

Mit welchen Strafen muss das Unternehmen rechnen?
In Deutschland sind Unternehmen strafrechtlich nicht belangbar, sondern nur Individuen. Also haben wir die hauptverantwortlichen Manager angezeigt. Sie könnten eine Bewährungsstrafe ­bekommen, wenn es gut läuft. Aber es geht uns nicht darum, Menschen ins Gefängnis zu bringen, sondern darum, dass eine unabhängige Stelle anerkennt, dass Unrecht geschehen ist. Wenn das Verfahren ­eröffnet werden sollte, ist das an sich schon ein großer Erfolg. Es kommt nicht auf die Höhe der Strafe an.

Die Hamburger Verbraucherzentrale hat gegen Lidl geklagt. Dabei geht es um irreführende Werbung mit der Einhaltung sozialer Arbeitsstandards bei Zulieferern in Bangladesch. Was ist der Hintergrund?
Die Klage ist relevant im Zusammenhang mit Zertifizierungen und Siegeln, denn das Gesetz besagt, dass man den deutschen Verbraucher nicht betrügen und keinen falschen Eindruck erwecken darf. Das ist hauptsächlich interessant für die Debatte in Deutschland. Die Unternehmer wollen eigentlich immer Initiativen, die unverbindlich sind, also typische Corporate Social Responsibility-Initiativen, bei denen Unternehmen viel versprechen, aber wenig kontrolliert wird, ob sie auch das Versprochene halten. In der Klage gegen Lidl ging es genau darum, zu sagen, so geht das nicht: Wenn ihr vollmundig gute Arbeitsbedingungen in euren Zulieferketten versprecht, dann ist das zumindest gegenüber den deutschen Verbrauchern auch rechtsverbindlich.

Was wollen Sie mit Ihren Klagen langfristig erreichen?
Eine Klage ist dann für uns strategisch sinnvoll, wenn sie eine typische Menschenrechtsverletzung betrifft. Dann ist entscheidend, dass wir in dem betroffenen Land Partner haben, die ein eigenes politisches Anliegen vertreten und die der Meinung sind, dass ein juristisches Vorgehen für sie und ihre Arbeit förderlich ist. Ein juristisches Verfahren bewirkt, dass sehr viel Druck aufgebaut wird und eine Menschenrechtsverletzung noch einmal auf einer anderen Ebene skandalisiert wird – nicht nur als politisches und soziales Problem, sondern eben auch als Rechtsverstoß. Dieses Moment müssen aber auch die Betroffenen und ihre Organisationen nutzen können, sonst verpufft der Effekt der Klage.

Können Sie ein Beispiel nennen?
In unserem Nestlé-Fall geht es um einen ermordeten Gewerkschaftsführer in Kolumbien. Nestlé hat schon seit langer Zeit eine Tochterfabrik in Kolumbien in einer paramilitärisch kontrollierten Region. Das lokale Nestlé-Management hatte zum Tatzeitpunkt enge Beziehungen zu den Paramilitärs und hat einen Gewerkschaftsführer öffentlich als vermeintlichen Guerillero diffamiert – damit wurde er praktisch auf eine Todesliste gesetzt. Der Gewerkschaftsführer Luciano Romero ist dann von Paramilitärs auch umgebracht worden. In Kolumbien gab es zwar ein Strafverfahren, in dem die direkten Täter, also die Paramilitärs, verurteilt worden sind. Das kolumbianische Gericht hat auch klar gesagt, dass die Rolle von Nestlé aufgeklärt werden muss. Doch das ist in Kolumbien nie geschehen. Der Richter, der dieses Urteil gefällt hat, musste ins Exil, weil er bedroht wurde. Daraufhin haben die Gewerkschaften und eine Menschenrechtsorganisation entschieden, sich an die Schweizer Behörden zu wenden, um aufzuklären, welche Rolle das Unternehmen gespielt hat. In Kolumbien ist dies offensichtlich nicht möglich.

Die Klage wird gerade vorbereitet?
Die ist schon eingereicht und wurde zunächst abgelehnt. Die Gerichte in der Schweiz beschäftigen sich jetzt aber damit.

Was hat Ihre Arbeit bisher bewirkt?
Unsere Arbeit besteht noch nicht lange genug, um diese Frage definitiv beantworten zu können. Juristische Verfahren sind sehr langwierig. Im Moment liegen die Erfolge darin, dass sie für die Betroffenen eine Unterstützung bedeuten, denn sie können aktiv werden, gegen ein Unternehmen vorgehen und sich aus der Opferrolle befreien. Und die Unternehmen, die verklagt worden sind, waren jedes Mal ausgesprochen erstaunt. Es war ein Schock für sie. Vielleicht haben sie sich inzwischen ein wenig an Kampagnen gewöhnt – aber auf eine Klage ist man in deutschen Unternehmen nicht vorbereitet.

Fragen: Anton Landgraf / Uta von Schrenk

Miriam Saage-Maaß
Miriam Saage-Maaß ist Rechtsanwältin und Mitarbeiterin des "European Center for Constitutional and Human Rights" (ECCHR; deutsch: Europäisches Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte). Das ECCHR ist eine gemeinnützige und unabhängige Menschenrechtsorganisation. Es wurde 2007 von ­einer Gruppe von Rechtsanwälten gegründet und sitzt in Berlin.

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