Amnesty Report Sri Lanka 20. Mai 2017

Sri Lanka 2017

Amnesty Report 2016 / 2017

Die Regierung Sri Lankas hielt an ihrer Zusage fest, die Verantwortlichen für mutmaßliche völkerrechtliche Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, doch der Umsetzungsprozess verlief langsam. Die vielen noch existierenden Menschenrechtsprobleme stellten weiterhin eine große Herausforderung dar. So griffen Behörden auf das Antiterrorgesetz zurück, um Tatverdächtige festzunehmen und zu inhaftieren. Nach wie vor wurden Menschen in Polizeigewahrsam gefoltert oder anderweitig misshandelt, und es herrschte weiterhin Straflosigkeit für Fälle von Verschwindenlassen und andere Menschenrechtsverletzungen. Die Opfer von während des bewaffneten Konflikts verübten Menschenrechtsverletzungen sahen sich großen Herausforderungen bei der Rückkehr in ein normales Leben und der Wiederherstellung ihrer Existenzgrundlagen gegenüber, da kohärente Pläne zur Unterstützung und Entschädigung noch nicht umgesetzt wurden.

HINTERGRUND

Sri Lanka leitete einen Verfassungsreformprozess ein und begann mit der Konzipierung von Mechanismen für Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung sowie der Einführung gesetzlicher und verfahrensrechtlicher Reformen. Das Ziel ist, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und -verstöße, denen die Menschen über Jahrzehnte hinweg ausgesetzt waren, aufzuarbeiten und gleichzeitig sicherzustellen, dass diese sich nicht wiederholen. Die Behörden führten auch öffentliche Konsultationen über diese Mechanismen durch, doch gelang es ihnen nicht, für eine angemessene Umsetzung des Prozesses zu sorgen.

WILLKÜRLICHE FESTNAHMEN UND INHAFTIERUNGEN

Tamilen, die mutmaßlich Verbindungen zu den Befreiungstigern von Tamil Eelam (Liberation Tigers of Tamil Eelam – LTTE) unterhielten, wurden weiterhin auf der Grundlage des Antiterrorgesetzes (Prevention of Terrorism Act – PTA) inhaftiert. Das Gesetz erlaubt eine verlängerte Verwaltungshaft und verlagert bei Folter- oder Misshandlungsvorwürfen die Beweislast auf den Gefangenen. Im September 2015 hatte die Regierung versprochen, das PTA aufzuheben und durch gesetzliche Bestimmungen zu ersetzen, die internationalen Standards entsprechen. Bis Ende 2016 war diese Zusage jedoch noch nicht eingelöst worden. In einem Entwurf neuer gesetzlicher Bestimmungen, der im Oktober 2016 dem Kabinett zur Zustimmung vorgelegt wurde, blieben viele der problematischsten Bestimmungen des PTA unverändert. Immerhin enthielt der Entwurf Schutzbestimmungen gegen Folter.

Im Juni 2016 wies Präsident Sirisena Polizei und Streitkräfte an, die Richtlinien der Menschenrechtskommission von Sri Lanka einzuhalten. Die Richtlinien verfolgen das Ziel, den auf der Grundlage des PTA und anderer Notstandsmaßnahmen inhaftierten Personen Schutz zu gewähren und Praktiken, die zu Menschenrechtsverstößen führen könnten, zu beenden. Derartige Verstöße umfassten u. a. Festnahmen, bei denen Polizisten sich nicht auswiesen, sowie den Transport Tatverdächtiger in Fahrzeugen ohne amtliche Kennzeichen und die Inhaftierung in inoffiziellen Einrichtungen. Die Richtlinien sehen ebenfalls vor, dass der Zugang der Häftlinge zu einem Rechtsbeistand – auch während eines Verhörs – garantiert sein muss. Allerdings wurden diese Richtlinien bisher noch nicht in vollem Umfang eingehalten.

Ende August 2016 richtete der Menschenrechtsanwalt Lakshan Dias eine Eingabe an den Obersten Gerichtshof, in der er die Abteilung für Terrorismus-Ermittlungen (Terrorist Investigation Division –TID) beschuldigte, die Richtlinien der Menschenrechtskommission verletzt zu haben, da ihm ein Treffen mit einem seiner Mandanten verwehrt wurde. Eine Novellierung der Strafprozessordnung, auf deren Grundlage Festgenommenen erst nach der Aufnahme ihrer Aussagen durch die Polizei Zugang zu einem Rechtsbeistand gewährt worden wäre, wurde im Oktober 2016 zurückgezogen, nachdem Rechtsanwälte sich dagegen ausgesprochen hatten.

FOLTER UND ANDERE MISSHANDLUNGEN

Im Mai 2016 besuchte der UN-Sonderberichterstatter über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe Sri Lanka. Er stellte fest, dass die Polizei nach wie vor schwere Formen von Folter anwandte, auch wenn das Ausmaß möglicherweise geringer als in der Zeit des bewaffneten Konflikts war. Straflosigkeit sei sowohl für alte wie für neue Fälle von Menschenrechtsverletzungen noch immer an der Tagesordnung. Er merkte zudem an, dass Verfahrensnormen des PTA wie langfristige willkürliche Haft ohne Anklage "fast eine Aufforderung seien, Folter und Misshandlungen als routinemäßige Arbeitsmethode einzusetzen". Im August 2016 gab Sri Lanka auf der Grundlage der UN-Antifolterkonvention eine Erklärung ab. Darin erkannte der Staat die Zuständigkeit des UN-Ausschusses gegen Folter für die Entgegennahme und Prüfung von Mitteilungen einzelner Personen an, die geltend machen, Opfer einer Verletzung der ihnen nach der Konvention zustehenden Rechte zu sein.

EXZESSIVE GEWALTANWENDUNG

Nach wie vor gingen Beschwerden über die Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt bei Polizeieinsätzen ein. Es herrschte weiterhin Straflosigkeit für in der Vergangenheit verübte Verstöße. So war für die im August 2013 durch Armeeangehörige verübte Tötung Demonstrierender, die sauberes Trinkwasser gefordert hatten, bisher noch niemand strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden. Im Oktober 2016 entschied ein Richter, dass es sich bei den Tötungen um Straftaten gehandelt habe. Er ordnete weitere Anhörungen für 2017 an, um entscheiden zu können, ob ausreichende Beweismittel für eine strafrechtliche Verfolgung vorlägen.

VERSCHWINDENLASSEN

Im Mai 2016 ratifizierte Sri Lanka das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen. Bis Ende 2016 waren jedoch noch keine gesetzlichen Bestimmungen verabschiedet worden, mit denen Fälle des Verschwindenlassens im nationalen Recht als Straftatbestand definiert werden. Die Kommission zur Untersuchung von Fällen vermisster oder verschwundener Personen (Presidential Commission to Investigate into Complaints Regarding Missing Persons) beendete im Juli ihre Arbeit, nachdem sie über 19000 Eingaben über vermisste Zivilpersonen erhalten hatte. Bei der Aufklärung ihres Schicksals und der strafrechtlichen Verfolgung der für das Verschwindenlassen Verantwortlichen hatte sie aber kaum Fortschritte erzielt. Im August 2016 verabschiedete das Parlament ohne vorherige öffentliche Konsultation ein Gesetz zur Einrichtung eines Amtes für vermisste Personen (Office on Missing Persons). Dieses Amt soll Familien bei der Auffindung vermisster Angehöriger unterstützen. Zudem hat es die Aufgabe, die von der Kommission noch nicht aufgeklärten Fälle zu bearbeiten.

STRAFLOSIGKEIT

Es herrschte weiterhin Straflosigkeit für mutmaßliche völkerrechtliche Verbrechen, die während des bewaffneten Konflikts begangen worden waren. Auch viele weitere Menschenrechtsverletzungen blieben ungesühnt. Dazu gehörten die im Januar 2006 durch Angehörige der Sicherheitskräfte verübte außergerichtliche Hinrichtung von fünf Studierenden in Trincomalee und die Tötung von 17 humanitären Helfern der Aktion gegen den Hunger in Muttur im August 2006.

In einer Anhörung zur gerichtlichen Haftprüfung (habeas corpus) im Zusammenhang mit dem im Dezember 2011 erfolgten Verschwindenlassen der politischen Aktivisten Lalith Weeraraj und Kugan Muruganandan gab der als Zeuge geladene ehemalige Medienminister im Mai 2016 eine Erklärung ab. Danach beruhte seine damalige Aussage, wonach sich die beiden Aktivisten in Gewahrsam der Regierung befänden und ihr Aufenthaltsort nicht offenbart werden könne, auf Informationen aus dem Verteidigungsministerium. Die Ermittlungen im Fall der Beteiligung von Angehörigen des Militärgeheimdienstes am Verschwindenlassen des regierungskritischen Karikaturisten Prageeth Eknaligoda im Jahr 2010 wurden fortgesetzt. Im August 2016 ordnete ein Gericht in der Hauptstadt Colombo eine neue Obduktion der sterblichen Überreste des im Jahr 2009 getöteten Zeitungsherausgebers Lasantha Wickrematunge an.

MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER

Im August 2016 wurde Balendran Jeyakumari, die sich für die Aufklärung von Fällen des Verschwindenlassens einsetzt, erneut zu einer Vernehmung vorgeladen. Sie war bereits zuvor wegen Verstößen gegen die Bestimmungen des PTA ohne Anklageerhebung ein Jahr lang inhaftiert worden. Dem Menschenrechtsverteidiger Ruki Fernando war es weiterhin per Gerichtsbeschluss untersagt, sich über die laufenden Ermittlungen der Polizei über sein Engagement in ihrem Fall zu äußern. Seine beschlagnahmte elektronische Ausrüstung wurde ihm nicht wieder ausgehändigt.

Sandhya Eknaligoda, die Ehefrau des "verschwundenen" Karikaturisten Prageeth Eknaligoda, musste wiederholt Drohungen und Einschüchterungsversuche über sich ergehen lassen. So fanden vor dem Gericht, in dem die Haftprüfungsanhörung im Fall ihres Ehemanns erfogte, Proteste statt. Nachdem die Polizei sieben Angehörige des Militärgeheimdienstes identifiziert hatte, die mutmaßlich in das Verschwindenlassen von Prageeth Eknaligoda verwickelt waren, wurde Sandhya Eknaligoda zudem in einer Plakatkampagne beschuldigt, die LTTE zu unterstützen.

RECHTE AUF MEINUNGS-, VERSAMMLUNGS- UND VEREINIGUNGSFREIHEIT

Im Juni 2016 wurde der Journalist Freddy Gamage in der Stadt Negombo von Männern verprügelt, die er als Unterstützer eines Politikers identifizierte. Freddy Gamage war schon zuvor wegen Artikeln, in denen er die mutmaßliche Bestechlichkeit des Politikers und seine Verbindungen zum organisierten Verbrechen öffentlich gemacht hatte, bedroht worden. Einer der Angreifer attackierte ihn erneut, nachdem er ihn bei einer Gegenüberstellung identifiziert hatte und sie sich danach im Gericht begegneten. Niemand wurde wegen in der Vergangenheit gegen Medienschaffende verübte Angriffe zur Verantwortung gezogen. Angaben von Medien-NGOs zufolge waren seit 2004 bei Angriffen etwa 44 Medienmitarbeiter getötet worden.

Personen, die sich im Norden und Osten der Insel für die Rechte der tamilischen Bevölkerungsgruppe einsetzten, berichteten weiterhin über Schikanen und Überwachung durch die Sicherheitskräfte.

GESETZLICHE, VERFASSUNGSRECHTLICHE UND INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNGEN

Sri Lanka leitete einen Prozess zur Reform der Verfassung ein, der zum Ziel hat, die Exekutive Kontrollen zu unterwerfen und eine gerechtere Machtverteilung zwischen den ethnischen Gruppen des Landes sicherzustellen. Im Mai 2016 wurden die Ergebnisse einer öffentlichen Konsultation über den Inhalt der neuen Verfassung veröffentlicht. Das Parlament wird voraussichtlich Anfang 2017 einen Verfassungsentwurf debattieren.

Im Juli 2016 verabschiedete Sri Lanka das Gesetz über das Recht auf Information (Right to Information Act). Im August billigte das Kabinett eine nationale politische Strategie zur Schaffung dauerhafter Lösungen für die vom Konflikt betroffenen Opfer der Vertreibung (National Policy on Durable Solutions for Conflict-Affected Displacement). Ziel dieser Strategie ist es, die Menschenrechte zu schützen, indem das vom Militär in Besitz genommene private Land an seine rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben wird, Arbeitsplätze geschaffen werden, damit die Vertriebenen ihren Lebensunterhalt durch eigene Einkommen bestreiten können, sowie Flüchtlingen, die in ihre Heimatorte zurückkehren, Unterstützung zu gewähren. Schwerpunkte der Strategie sind Nichtdiskriminierung, Gerechtigkeit und Entschädigungen. Es war davon auszugehen, dass die Umsetzung dieser Strategie Anfang Februar 2017 beginnen soll.

DISKRIMINIERUNG

Tamilen beschwerten sich weiterhin über ethnic profiling (Profilerstellung auf der Grundlage ethnischer Merkmale) sowie Überwachung und Schikane durch die Polizei, die sie verdächtigte, Verbindungen zur LTTE zu unterhalten. Im August 2016 befand der UN-Ausschuss für die Beseitigung rassistischer Diskriminierung, dass das PTA in unverhältnismäßiger Weise gegen Tamilen angewandt wird und somit faktisch diese Bevölkerungsgruppe diskriminiert.

Christen und Muslime berichteten über Drangsalierungen, Bedrohungen und physische Gewaltanwendung durch Mitbürger und Anhänger singhalesischer buddhistischer Hardliner-Gruppen. Die Polizei ließ die Angreifer gewähren oder beschuldigte in einigen Fällen sogar religiöse Minderheiten, ihre Gegner provoziert zu haben. Im Juni 2016 nahm eine Gruppe, die sich selbst als Sinha Le ("Löwenblut") bezeichnete, an einem Protest gegen den Bau einer Moschee in der Stadt Kandy teil. Im Juni 2016 führten Gefolgsleute dieser Gruppe in den sozialen Medien eine Droh- und Einschüchterungskampagne gegen die Organisation Equal Ground durch, die sich für die Menschenrechte und politischen Rechte der srilankischen Gemeinschaft der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgeschlechtlichen, Intersexuellen und Queer (LGBTIQ) einsetzt.

Im Juni 2016 wies das Gesundheitsministerium darauf hin, dass "Transgeschlechtliche häufig sozial, wirtschaftlich, politisch und rechtlich marginalisiert werden (…) und schutzlos gegenüber Schikanen, Gewalt und sexuellen Angriffen sowie Diskriminierung beim Zugang zu öffentlichen Räumen sind". Das Ministerium ordnete an, spezielle gesundheitliche Dienstleistungen für Transgeschlechtliche zu erbringen, u. a. von Ärzten ausgestellte Bescheinigungen über die Anerkennung der Geschlechtsidentität (Gender Recognition Certificates), um die gewünschte Geschlechtsidentität in der Geburtsurkunde entsprechend ändern zu können.

GEWALT GEGEN FRAUEN UND MÄDCHEN

Gegen Frauen und Mädchen gerichtete Gewalt wie Vergewaltigung durch Militärangehörige und Zivilpersonen blieb weiterhin straflos. Auch für Fälle von häuslicher Gewalt wie Vergewaltigung in der Ehe wurde niemand zur Verantwortung gezogen. Menschenrechtsverteidigerinnen, die die Reform der Verfassung unterstützten, sprachen sich für die Außerkraftsetzung von Artikel 16(1) aus, der gesetzliche Bestimmungen aufrechterhält, die aus einer früheren Verfassung stammen, mit der aktuellen Verfassung aber unvereinbar sind. Darunter fielen Grundsätze des islamischen Persönlichkeitsrechts, die Kinderehen erlauben und Vergewaltigung in der Ehe nicht als Straftatbestand anerkennen.

TODESSTRAFE

Es wurden weiterhin Todesurteile verhängt, doch fanden keine Hinrichtungen statt. Im September 2016 wurde ein ehemaliger Parlamentsabgeordneter wegen der Ermordung eines politischen Rivalen zum Tode verurteilt.

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