Blog Vereinigte Staaten von Amerika 24. Februar 2012

Die zweite Hinrichtung

Gescheiterte Hinrichtung: 18 mal versuchte das Personal des Hinrichtungsteams, Romell Broom einen intravenösen Zugang für die Giftspritze zu legen. 18 mal vergeblich. Aus Verzweiflung über die Schmerzen versuchte Broom sogar, selbst bei seiner Hinrichtung zu helfen - ebenfalls vergeblich. Ein Arzt markierte später alle Einstiche.

Ein unfaires Gerichtsverfahren, 26 Jahre Todeszelle, ein missglückter Hinrichtungsversuch und eine drohende zweite Hinrichtung: In seinem neuen Dokumentarfim beleuchten der Filmemacher Michael Verhoeven mit seiner Co-Autorin Luise Lindermair Amerikas Verhältnis zur Todestrafe anhand des Falls von Romell Broom.

Michael Verhoeven ist seit Jahrzehnten als gesellschaftspolitisch engagierter Filmemacher bekannt. So protestierte er beispielsweise 1970 mit seinem Kinofilm "O.K." gegen den Vietnamkrieg, 1982 verfilmte er die Geschichte der Widerstandsgruppe "Die weiße Rose". In dem Dokumentarfilm "Der unbekannte Soldat" (2006) thematisierte er die Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, in "Menschliches Versagen" (2008) die Enteignung der Juden im "Dritten Reich". 2006 war Verhoeven Jurymitglied für den Amnesty-Filmpreis auf der Berlinale.

 

Seit 50 Jahren ist Amnesty International ein wesentlicher Garant dafür, dass sich weltweit Zivilgesellschaften für den Schutz der Menschenrechte einsetzen. Meine erste, bescheidene Berührung mit Amnesty war 1975, als ich an den Münchner Kammerspielen Brechts "Die Gewehre der Frau Carrar" inszenierte, ein Stück über den spanischen Bürgerkrieg, genauer gesagt: gegen General Franco. 1975 lebte Franco noch, und noch immer saßen politische Häftlinge Francos in spanischen Gefängnissen.

Die Schauspieler (Hanne Hiob, Peter Lühr u.a.) und das Team haben nach jeder Vorstellung in Filmbüchsen Geld für die Gefangenen gesammelt und es an Amnesty geschickt. Im Theater war uns das Geldsammeln verboten worden, also eilten wir auf die Straße und sammelten dort.  Natürlich hat diese Aktion uns selbst mehr gebracht als den spanischen Gefangenen, weil wir das Gefühl hatten, etwas Richtiges, Notwendiges und Vernünftiges zu tun.

Ich bin sehr froh, dass Amnesty International sich für meinen Film "Die Zweite Hinrichtung – Amerika und die Todesstrafe" (US-Titel: "The Second Execution of Romell Broom", Co-Autorin Luise Lindermair) einsetzt.

Am Morgen des 15. September 2009 kam ein Hinrichtungsteam in die Southern Ohio Correctional Facility in Lucasville, Ohio, um einen Mann zu töten: den damals 53-jährigen Afroamerikaner Romell Broom. 18 mal versuchte das Team, einen intravenösen Zugang für die Giftspritze zu legen, 18 mal vergeblich. Der Todeskandidat versuchte aus Verzweiflung über die Schmerzen sogar, selbst bei seiner Hinrichtung zu helfen, ebenfalls vergeblich. Nach dem zweieinhalbstündigen Versuch, eine Nadel in eine von Brooms Venen zu stechen, sagt der Gouverneur von Ohio die Hinrichtung ab - vorerst. Ich hatte 2009 in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass in Columbus, Ohio, eine Anhörung stattfinden sollte, ob der Staat Ohio das Recht hat, Romell Broom, der schon 25 Jahre in der Todeszelle gesessen hatte, ein zweites Mal hinzurichten. Zu der Anhörung kam außer unserem Filmteam und einem Journalisten kein einziger Mensch. Dieses Desinteresse am Thema Todesstrafe war so erschütternd wie der Fall selbst.

Tod der Todesstrafe: Seit 1973 setzt sich Amnesty International für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe ein. Mit Erfolg: Immer weniger Staaten führen heute noch Hinrichtungen durch. Das Foto zeigt eine Amnesty-Aktion in Mexiko im August 2007.

Die deutsche Erstaufführung unseres Films fand am 24. Februar im WDR statt. In den USA wird der Film vom Verleih "First Run Features" verliehen. Ich hatte – und habe – Sorge, dass das amerikanische Publikum meinen Appell gegen die Todesstrafe in den USA als Einmischung und Belehrung eines deutschen Filmemachers sehen könnte und den Film und seine Botschaft deshalb ablehnt.

Natürlich ist mein Appell gegen die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten eine Einmischung. Aber ich habe mich dazu berechtigt gefühlt, weil wir hier in Deutschland nach den dunklen Jahren des Nationalsozialismus von den Amerikanern gelernt haben, was Demokratie ist.

Es ist ja absurd und abstoßend, dass noch immer Menschen durch Gerichte zu Tode gebracht werden gerade in einem Land, das den freien, aufgeklärten Westen repräsentiert. Anderswo wird diese unmenschliche Strafe nur in Ländern vorgenommen, die die USA als "Achse des Bösen" bezeichnen.

Ich habe herausgefunden, dass diese schreckliche, juristische Praxis allein schon deshalb aufrecht erhalten wird, weil in den USA Staatsanwälte und Richter von der lokalen Bevölkerung gewählt werden, der juristische Mord also vorprogrammiert ist, weil ein Richter sich gar nicht leisten kann, gegen die Todesstrafe zu sein, weil er dann nicht gewählt würde.

Eine "zweite Hinrichtung" macht das Unmenschliche der Todesstrafe nicht schlimmer als eine einzige, aber sie zeigt die Absurdität und Unmöglichkeit dieser schrecklichen Justiz noch deutlicher und krasser.

 

Mehr Informationen über den Einsatz von Amnesty International gegen die Todesstrafe finden Sie auf www.amnesty-todesstrafe.de

Weitere Artikel