Blog Deutschland 17. Dezember 2014

Wie können wir Minderheiten vor vorurteilsmotivierter Gewalt schützen?

Unterkunft für Asylbewerber_innen in Hoyerswerda

Marco Perolini, Europa-Researcher aus dem Internationalen Sekretariat von Amnesty in London, hat mit Menschen gesprochen, die rassistische Bedrohungen und Übergriffe erlebt haben – unter anderem in Hoyerswerda.

"Ich verlasse das Haus nicht mehr ohne meinen Mann, ich habe zu große Angst. Wir verbringen die meiste Zeit drinnen. Die Leute werfen mir immer böse Blicke zu, nur weil ich ein Kopftuch trage und Ausländerin bin. Ich habe das Gefühl, absolut unerwünscht zu sein."

"J" (ihren richtigen Namen können wir nicht nennen) ist gebürtige Palästinenserin aus dem Libanon und lebt in Hoyerswerda in Ostdeutschland, nahe der polnischen Grenze. Dort ist sie eine der wenigen Frauen, die Kopftuch tragen. Anfang 2014 wurde sie Opfer eines rassistischen Übergriffs: Sie war mit ihren Kindern auf dem Weg zum Arzt, als sich ihr zwei Männer in einem Auto näherten. Die Männer beleidigten sie und warfen dann eine Flasche Bier nach ihr. 

"Ich fühle mich nicht sicher"

Ihre Geschichte ist kein Einzelfall. Eine andere Frau, mit der ich gesprochen habe, "S", ist mit ihren drei Kindern aus dem Irak nach Deutschland geflohen. Während sie in einer Flüchtlingsunterkunft wohnte, versuchte ein Mann, in dieses Gebäude einzubrechen. "Ich fühle mich hier nicht sicher" erzählt sie mir. "Ich gehe nicht mit meinen Kindern allein in den Park. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen in dieser Stadt sehr feindselig sind. Vielleicht, weil ich keine Deutsche bin."

Im vergangenen Jahr haben Anwohner auf das Vorhaben, in Hoyerswerda eine Flüchtlingsunterkunft einzurichten, mit unverhohlener Feindseligkeit reagiert. Seit den berüchtigten rassistischen Ausschreitungen von 1991 blieben rechtsextreme Gruppen hier aktiv. Eine koordinierte Online-Kampagne sollte dafür sorgen, dass die Unterkunft nicht eröffnet würde.

Mit Fakten gegen Gerüchte

"Wir haben postwendend darauf reagiert" berichtet Grit Maroske, engagierte Sprecherin einer lokalen Initiative, die alles daran setzt, erneute Ausschreitungen wie 1991 zu verhindern. "Wir haben die Kommunalbehörden einbezogen und öffentliche Veranstaltungen organisiert, um das Thema zu diskutieren. Es kursieren viele falsche Informationen. Viele sind überzeugt, Asylbewerber wären privilegiert, deshalb betone ich immer, dass das Gegenteil der Fall ist."

Überall in Deutschland haben rechtsextreme Gruppierungen hunderte von Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte organisiert. Aber die Anzahl der Flüchtlinge ist hier noch verhältnismäßig niedrig - 2,32 Flüchtlinge kommen auf 1000 Einwohner_innen in Deutschland, verglichen mit 200 auf 1000 im Libanon und 100 in Jordanien.

"Ich habe hier keine Rechte"

Die Situation in Deutschland lässt sich überall in Europa wiederfinden. Gewalt gegen Minderheiten, geschürt von Vorurteilen und Intoleranz, ist weit verbreitet. So war beispielsweise ein Viertel im griechischen Etoliko, in dem viele Roma leben, Anfang 2012 mehrfach gewalttätigen, rassistischen Attacken ausgesetzt. Im sizilianischen Catania wurde eine Frau namens Michelle nur deshalb angegriffen, weil sie transsexuell ist.

Wenn Opfer vorurteilsmotivierter Gewalt dann für ihr Recht kämpfen, erkennen Behörden das rassistische oder anderweitig diskriminierende Motiv hinter dem Verbrechen oft nicht an. In manchen Fällen nehmen sogar Staatsbeamt_innen, einschließlich Polizist_innen, mit Gewalt Minderheiten ins Visier. Die Polizei in Marseille verletzte zum Beispiel 2011 einen rumänischen Roma, der zuvor mit Gewalt aus seinem Haus vertrieben worden war.

Im Juli sprach ich mit Marwan, einem syrischen Flüchtling, der in Sofia in Bulgarien lebt. Im Dezember 2013 wurde er körperlich angegriffen. "Ich kam nach Bulgarien, um dem Tod in Syrien zu entgehen, aber hier habe ich keine Rechte. Ich wurde zusammengeschlagen und habe fast ein Auge verloren - aber die Behörden ignorieren meinen Fall." 

Damit sich etwas ändert, braucht Europa mehr lokale Initiativen wie die Gruppe um Grit Maroske  aus Hoyerswerda. Aber keine lokale Initiative kann erfolgreich sein, wenn sie nicht mit einer größeren Debatte um Rassismus und Diskriminierung einhergeht. Und Regierungen müssen sicherstellen, dass vorurteilsmotivierte Verbrechen auch als solche erkannt werden.

Der Beitrag ist zuerst auf dem LIVEWIRE von Amnesty.org erschienen

Lesen Sie mehr: In Marco Perolinis Blogeintrag berichtet ein 89jähriger, französischer Holocaust-Überlebender von Diskriminierung und Polizeigewalt (englisch)

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