Amnesty Report 07. April 2021

Regionalkapitel Afrika 2020

Physische Landkarte von Afrika mit Amnesty-Report-Icon

Berichtszeitraum: 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020

Auch im Jahr 2020 gelang es nicht, den Kreislauf der Gewalt auf dem afrikanischen Kontinent zu durchbrechen. In mehreren von bewaffneten Konflikten zerrissenen Ländern hielten die Kämpfe an. Das bereits im Jahr 2013 von führenden Politiker_innen Afrikas gegebene Versprechen, bis 2020 auf dem Kontinent "die Waffen zum Schweigen zu bringen", blieb unerfüllt. Der Lärm der Schüsse wurde lauter und Tausende Menschen starben.

Schwerwiegende Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und gegen internationale Menschenrechtsnormen waren auch 2020 den Konflikten gemein. Ob in dem seit zehn Jahren wütenden Konflikt im Nordosten Nigerias oder dem neu ausgebrochenen Konflikt in der äthiopischen Region Tigray – überall verübten Sicherheitskräfte, bewaffnete Gruppen und Milizen Gräueltaten, blieben aber straffrei.

Die verheerenden Auswirkungen der Konflikte wurden durch die Corona-Pandemie zusätzlich verschlimmert, Heuschreckenplagen und klimatisch bedingte Katastrophen taten ein Übriges. Das Zusammenwirken dieser Faktoren forderte seinen Tribut von der Bevölkerung. Dabei wurde zum einen deutlich, wie wenig Menschen Zugang zu menschenrechtlichen Schutzsystemen hatten und zum anderen, wie brüchig die innere Struktur dieser Systeme war. Die Missstände im öffentlichen Gesundheitswesen und die Ungleichheiten im Hinblick auf grundlegende soziale und wirtschaftliche Rechte traten durch die Pandemie besonders deutlich zutage. Gleichzeitig erhöhten Lockdowns und Ausgangssperren die Gefahr für Frauen und Mädchen, sexualisierter Gewalt und anderen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein. Für Überlebende war es sehr schwer, eine Rechtsberatung, Zugang zur Justiz und eine gesundheitliche Versorgung zu erhalten. Positiv zu vermerken war jedoch, dass es in einigen Bereichen beachtliche Fortschritte beim Schutz von Frauen und Mädchen vor Diskriminierung gab. Beispielsweise erging in Eswatini das erste Urteil wegen Vergewaltigung in der Ehe, und im Sudan wurde die weibliche Genitalverstümmelung unter Strafe gestellt.

Viele Regierungen griffen auf exzessive Gewaltanwendung zurück, um die Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 durchzusetzen und um Proteste aufzulösen. Die Pandemie diente Regierungen auch als Vorwand, Repressalien gegen kritische Stimmen zu intensivieren und noch härter gegen sie vorzugehen. Gleichzeitig wurden Wahlen von massiven Menschenrechtsverletzungen begleitet.

 

Bewaffnete Konflikte und Angriffe auf Zivilpersonen

In den meisten Teilen des Kontinents hielten die Konflikte mit bewaffneten Gruppen sowie Angriffe auf die Zivilbevölkerung an oder eskalierten sogar. In Westafrika und in der Sahelregion hielten bewaffnete Gruppen auch 2020 ihre Stellungen und verübten in Burkina Faso, Mali, Niger und Nigeria Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Auch Sicherheitskräfte begingen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilpersonen. In den zentralafrikanischen Staaten Kamerun, Tschad und Zentralafrikanische Republik zerstörten bewaffnete Gruppen das Leben zahlloser Menschen. Im südlichen Afrika nahm die seit langem schwelende Gewalt in der mosambikanischen Provinz Cabo Delgado zu und schlug in einen grausamen bewaffneten Konflikt um. In den seit Jahren andauernden Konflikten in den Regionen der Großen Seen und am Horn von Afrika war nach wie vor keine Entspannung in Sicht. Die Konflikte in der Demokratischen Republik Kongo, in Somalia, im Sudan und im Südsudan wüteten weiter, wenn auch in unterschiedlicher Stärke und geografischer Reichweite. In der Region Tigray in Äthiopien – einem Staat, in dem es zudem zahlreiche gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gab – entzündete sich ein neuer Konflikt.

Burkina Faso, Mali und Niger verstärkten zwischen Februar und April 2020 ihre Militäroperationen zur Bekämpfung bewaffneter Gruppen. Dabei begingen die Sicherheitskräfte schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen die Zivilbevölkerung, vor allem außergerichtliche Hinrichtungen und Fälle von Verschwindenlassen. In Nigeria führten die Sicherheitskräfte im Zusammenhang mit dem Konflikt im Nordosten des Landes wahllose Angriffe durch. Bei einem dieser Angriffe bombardierte die Luftwaffe eine Ortschaft im Bundesstaat Borno und tötete mindestens zehn Kinder und sieben Frauen.

In Mosambik forderte der Konflikt in der Provinz Cabo Delgado bis September 1.500 Todesopfer. Bewaffnete Gruppen enthaupteten Zivilpersonen, brannten Häuser nieder, plünderten Dörfer und verschleppten Frauen und Mädchen. Die Sicherheitskräfte wiederum nahmen vermeintliche Mitglieder oder Sympathisant_innen bewaffneter Oppositionsgruppen willkürlich fest, ließen sie verschwinden, folterten sie und richteten sie außergerichtlich hin.

Die US-Kommandozentrale für Afrika (AFRICOM) setzte in Somalia nach wie vor Drohnen und bemannte Flugzeuge ein. Im Jahr 2020 führte die AFRICOM mehr als 53 derartige Luftangriffe aus. Im Februar 2020 kamen bei zwei Luftangriffen ein Mann sowie eine Frau ums Leben, drei Frauen wurden verletzt. Im Südsudan kam es auch 2020 immer wieder zu Zusammenstößen zwischen den am Konflikt beteiligten Kräften. Soldat_innen plünderten das Eigentum von Zivilist_innen, brannten Ortschaften nieder und zerstörten Gebäude, darunter auch Krankenhäuser, Kirchen und Schulen.

In Burkina Faso rissen die Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppierungen und die Angriffe auf die Zivilbevölkerung nicht ab. Die Gewalt verlief häufig entlang ethnischer Kriterien. Verschiedene bewaffnete Gruppen griffen Ortschaften, Moscheen und Viehmärkte in den Regionen Nord, Sahel und Est an und töteten Zivilpersonen. In Mali töteten mehrere bewaffnete Gruppen vor allem in zentralen Regionen Dutzende Zivilist_innen. Im Juli 2020 griffen bewaffnete Männer, die mutmaßlich mit der Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime zusammenarbeiteten, mehrere Ortschaften in den Kommunen Tori und Diallassagou an. Dabei töteten sie mindestens 32 Zivilpersonen. In Nigeria war Boko Haram für die Tötung von mehr als 420 Zivilist_innen verantwortlich. Die bewaffnete Gruppe rekrutierte nach wie vor Kindersoldaten und entführte Frauen und Mädchen.

Der Konflikt in der englischsprachigen Region von Kamerun ging mit voller Wucht weiter. Bewaffnete Separatistengruppen nahmen Menschen ins Visier, die sie für Unterstützer_innen der Regierung hielten. Ein neuer Tiefpunkt der Krise wurde im Oktober 2020 erreicht, als Bewaffnete in der Region Southwest acht Schulkinder töteten und mehrere verletzten. In der französischsprachigen Region Extrême-Nord verübte die bewaffnete Gruppe Boko Haram nach wie vor Hunderte Angriffe auf die Zivilbevölkerung.

In Äthiopien verschärfte sich die Gewalt zwischen ethnischen Gruppen. Mutmaßliche Mitglieder der bewaffneten Gruppe Oromo Liberation Army töteten bei einem Angriff im November 2020 in Gawa Qanqa, einer Ortschaft im Distrikt Guliso (Bezirk West Welega) mindestens 54 ethnische Amhar_innen. Im gleichen Monat brach in der Region Tigray ein bewaffneter Konflikt aus und am 9. November 2020 wurden in der tigrinischen Stadt Mai-Kadra Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte amharische Einwohner_innen von einheimischen Milizen getötet.

In Niger waren die Zivilbevölkerung und Mitarbeitende von humanitären Hilfsorganisationen Ziel der Angriffe bewaffneter Gruppen wie dem Islamischen Staat in der Großsahara (ISGS). Im Juni 2020 entführten Bewaffnete in Bossey Bangou (Region Tillabéry) zehn Mitarbeiter einer humanitären Hilfsorganisation. ISGS-Mitglieder töteten im August 2020 im Giraffenreservat Kouré sieben Mitarbeiter_innen einer Hilfsorganisation. In der Zentralafrikanischen Republik wurden ähnliche Übergriffe dokumentiert. Es wurden 267 Überfälle auf Mitarbeiter_innen von Hilfsorganisationen verzeichnet, bei denen zwei Personen getötet wurden. In Mali machten die Angriffe bewaffneter Gruppen selbst vor Mitarbeiter_innen der Vereinten Nationen nicht halt. Zwei UN-Mitarbeiter wurden getötet.

In Somalia setzte Al-Shabab die Angriffe auf die Zivilbevölkerung und zivile Einrichtungen fort. Bei einem Anschlag von Al-Shabab mit einer Autobombe auf ein Strandhotel in der Hauptstadt Mogadischu kamen im August 2020 mindestens elf Menschen ums Leben, 18 wurden verletzt. Die zunehmenden Kämpfe zwischen ethnischen Gruppen und Clans im Südsudan hatten mindestens 600 Tote, 450 Verletzte und die Vertreibung Tausender Menschen zur Folge.

 

Alle an bewaffneten Konflikten beteiligten Kräfte müssen ihre wahllosen oder gezielten Angriffe auf Zivilpersonen, Nichtkombattant_innen oder zivile Infrastruktur sofort einstellen. Die Afrikanische Union, die Vereinten Nationen und die Mitgliedstaaten beider Organisationen müssen ihren Druck intensivieren, damit auch in Konflikten Zivilpersonen geschützt und internationale Menschenrechtsnormen eingehalten werden.

Straflosigkeit

Die Straflosigkeit für völkerrechtliche Verbrechen und andere schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und -verstöße war nach wie vor allgegenwärtig. In Konfliktländern verliefen die Bemühungen um Gerechtigkeit uneinheitlich. Fortschritte wurden durch regressive Maßnahmen der Regierungen konterkariert.

Das Strafgericht von Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, verurteilte im Februar 2020 fünf Anti-Balaka-Anführer wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das hybride Sondergericht der Zentralafrikanischen Republik bestätigte im September 2020, dass in zehn Fällen Ermittlungen eingeleitet worden seien. Allerdings hatten mehrere Anführer bewaffneter Gruppen Regierungsämter inne, obwohl die Mitglieder ihrer Gruppe Menschenrechtsverstöße verübten.

In der Demokratischen Republik Kongo verurteilte das Militärgericht von Nord-Kivu (Cour Militaire Opérationnelle) den Anführer der Miliz Nduma Défense du Congo, Ntabo Ntaberi alias Sheka, am 23. November 2020 wegen schwerwiegender Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung in der Provinz Nord-Kivu im Zeitraum von 2007 bis 2017 zu einer lebenslangen Haftstrafe. Er war u. a. wegen der Vergewaltigung von etwa 400 Frauen, Männern und Kinder im Jahr 2010 angeklagt.

Zivil- und Militärgerichte im Südsudan verurteilten mehrere Soldaten wegen konfliktbezogener, sexualisierter Gewalt. Derweil ergriff die Regierung keine erkennbaren Maßnahmen zur Einrichtung des Hybriden Gerichtshofs für den Südsudan, der in den Friedensabkommen von 2015 und 2018 vorgesehen war. Der Präsident ernannte sogar den früheren Kommandanten einer bewaffneten Oppositionsgruppe zum Gouverneur des Bundesstaats Western Equatoria, obschon er als Verantwortlicher für weitverbreitete sexualisierte Gewalt im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt gilt.

Internationaler Strafgerichtshof

Beim Internationalen Strafgerichtshof (IstGH) gab es neue Entwicklungen hinsichtlich der Situation mehrerer Staaten, darunter Mali, Nigeria und der Sudan.

Im Juni 2020 wurde Ali Muhammad Ali Abd-Al-Rahman (auch unter dem Namen Ali Kushayb bekannt), eine der ranghöchsten Führungspersonen der Janjawid-Milizen im Sudan, an den IStGH überstellt. Dort muss er sich für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten, die er in Darfur begangen haben soll. Es war ihm 13 Jahre lang gelungen, sich der Justiz zu entziehen. Zu erwähnen ist allerdings auch, dass die sudanesischen Behörden bis Ende des Jahres ihrer Pflicht nicht nachkamen, den ehemaligen Präsidenten Al-Bashir und zwei weitere Personen an den IStGH zu überstellen, wo sie sich für die ihnen zur Last gelegten Verbrechen verantworten müssen.

Im Juli 2020 begann vor dem IStGH der Prozess gegen Al Hassan Ag Abdoul Aziz Ag Mohamed. Die Anklagepunkte lauteten auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die er in seiner Zeit als Mitglied der islamistischen Gruppe Ansar Eddine in der malischen Stadt Timbuktu begangen haben soll. Die Stadt war während der Besetzung des Nordens von Mali durch Islamisten im Zeitraum von 2012 bis 2013 unter die Kontrolle von Ansar Eddine geraten.

Im Dezember 2020 schloss die Chefanklägerin des IStGH die zehn Jahre dauernden Voruntersuchungen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ab, die von Boko Haram und den nigerianischen Sicherheitskräften begangen worden sein sollen. Die Anklagebehörde des IStGH beschloss, eine richterliche Verfügung zur Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens zu beantragen.

Im Mai 2020 wurde in Frankreich Félicien Kabuga festgenommen, der als Hauptfinanzierer des Völkermords von 1994 in Ruanda galt. Er wurde im Oktober 2020 an den Internationalen Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe (IRMCT) in Den Haag überstellt. Gleichfalls im Mai 2020 bestätigte der Chefankläger des IRMCT, dass Augustin Bizimana, den der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda 2001 wegen Völkermords angeklagt hatte, bereits im Jahr 2000 in der Republik Kongo gestorben war.

Die Regierungen Afrikas müssen ihr Engagement für den Kampf gegen die Straflosigkeit erneuern und gründliche, unabhängige, unparteiische und transparente Untersuchungen völkerrechtlicher Verbrechen durchführen und die Tatverdächtigen zur Rechenschaft ziehen.

 

Unterdrückung von Kritik und Einschränkung politischer Freiräume

Die Region, in der staatliche Übergriffigkeit und Unterdrückung seit langem Anlass zur Sorge waren, erlebte 2020 eine Verschlechterung der Situation. Die Regierungen nutzen die Corona-Pandemie dazu, die Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit noch weiter einzuschränken. In fast allen beobachteten Ländern des afrikanischen Kontinents wurde der Ausnamezustand verhängt, um die Verbreitung von Covid-19 einzudämmen. Dieser wurde jedoch häufig – und zwar auch von Seiten der Sicherheitskräfte, die den jeweiligen Ausnahmezustand mit exzessiver Gewalt durchsetzten – genutzt, um Menschenrechte zu verletzen.

Auch im Zusammenhang mit Wahlen nahm die Unterdrückung der Menschenrechte zu. Es waren 22 Wahlen geplant, wovon jedoch einige verschoben oder ausgesetzt wurden. Die Wahlen, die abgehalten wurden, fanden in einem Klima der Angst statt und waren von massiven Menschenrechtsverletzungen begleitet.

 

Exzessive Gewaltanwendung

Der Rückgriff auf exzessive Gewaltanwendung war ein gängiges Mittel, um die Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 durchzusetzen. In vielen Fällen hatte die exzessive Gewalt Tote und Verletzte zur Folge, so u. a. in Angola, Kenia, Südafrika, Togo und Uganda.

In Angola erschoss die Polizei Dutzende Menschen, darunter auch einen 14-jährigen Jugendlichen. In Kenia starben in den ersten zehn Tagen einer landesweiten Ausgangssperre mindestens sechs Menschen durch Polizeigewalt. Einer der Getöteten war ein 13 Jahre alter Junge. Der Präsident entschuldigte sich zwar für diesen Vorfall, doch gingen die Gewaltexzesse der Polizei das ganze Jahr über weiter.

In Ruanda bewirkte ein Aufschrei in den Sozialen Medien, dass der Präsident und der Justizminister die Polizeigewalt bei der Durchsetzung der Ausgangssperre verurteilten und eine strafrechtliche Verfolgung zusicherten. In Uganda töteten Sicherheitskräfte mindestens zwölf Personen, unter ihnen eine 80-Jährige. In Südafrika zeigte der Tod von Collins Khosa, der an den Folgen der brutalen Schläge starb, die ihm Soldat_innen und Polizist_innen bei der Durchsetzung des landesweiten Lockdowns zugefügt hatten, wie berechtigt die seit langer Zeit bestehende Kritik an der exzessiven Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte war.

 

Niederschlagung von Protesten

Die Sicherheitskräfte gingen nach wie vor mit Gewalt gegen friedliche Protestierende vor. In Äthiopien griffen die Sicherheitskräfte bei der Auflösung von Protesten auf exzessive Gewalt zurück und töteten Hunderte Menschen. Allein in der Region Oromia starben im Juni 2020 bei der gewaltsamen Auflösung von Protesten nach der Ermordung eines prominenten oromischen Sängers 166 Menschen. Im August töteten Sicherheitskräfte mindestens 16 Demonstrierende, die gegen die Festnahme von Verwaltungsbeamt_innen, Gemeindesprecher_innen und Aktivist_innen des Bezirks Wolaita auf die Straße gegangen waren.

In Nigeria bewirkten die #EndSARS-Demonstrationen die Auflösung der wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen berüchtigten Polizeieinheit zur Bekämpfung von Raubdelikten (Special Anti-Robbery Squad – SARS). Doch der Preis dafür war hoch: Bei dem Versuch der Sicherheitskräfte, die Proteste zu kontrollieren oder zu beenden, wurden im Oktober 2020 mindestens 56 Menschen getötet. Unter den Getöteten waren auch zwölf Personen, die starben, als die Polizei an der Lekki-Mautstelle in Lagos das Feuer auf Protestierende eröffnete.

Bei Demonstrationen im Mai 2020 gegen das Vorgehen der Sicherheitskräfte zur Durchsetzung der pandemiebedingten Bewegungseinschränkungen wurden in Guinea sieben Personen getötet. Zahlreiche weitere starben bei Demonstrationen gegen das Vorhaben, die guineische Verfassung so zu ändern, dass Präsident Condé für eine dritte Amtszeit kandidieren konnte. Am 22. März 2020, dem Tag des Verfassungsreferendums, wurden zwölf Demonstrierende getötet. Neun von ihnen starben durch Schüsse. In den Tagen nach der Präsidentenwahl im Oktober 2020 töteten die Sicherheitskräfte bei Protesten gegen das Wahlergebnis mindestens 16 weitere Personen.

Bei der Unterdrückung von Protesten wurde auch auf andere Mittel zurückgegriffen, wie z. B. auf Verbote, die nicht durch Gesetze gedeckt waren, auf gerichtliche Schikanen und willkürliche Festnahmen. In Burkina Faso wurden mehrere Proteste willkürlich untersagt oder beendet. Davon war im Januar 2020 auch eine Sitzblockade vor dem Gericht in der Hauptstadt Ouagadougou betroffen, die organisiert worden war, um Gerechtigkeit für 50 Menschen zu fordern, die 2019 von einer bewaffneten Gruppe getötet worden waren. In Côte d'Ivoire wurden im August 2020 zahlreiche Menschen festgenommen, weil sie an Demonstrationen gegen die Kandidatur von Präsident Ouattara für eine dritte Amtszeit teilgenommen hatten. In Kamerun rief der Vorsitzende der oppositionellen Bewegung für die Wiedergeburt Kameruns (Mouvement pour la renaissance du Cameroun – MRC) dazu auf, auf die Straße zu gehen und so gegen die Entscheidung der Regierung für Regionalwahlen im Dezember 2020 zu protestieren. Die staatlichen Stellen in Kamerun erließen daraufhin ein landesweites Demonstrationsverbot. Am 22. September 2020 wurden mindestens 500 MRC-Anhänger_innen, die zu Demonstrationen gekommen waren, willkürlich festgenommen.

Hoffnungsfroh stimmte hingegen, dass das Verfassungsgericht in Uganda im März 2020 Teile des Gesetzes über die öffentliche Ordnung für ungültig erklärte, die der Polizei äußerst weitreichende Befugnisse gegeben hatten, öffentliche Versammlungen und Proteste zu verbieten.

 

Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger_innen und Oppositionelle

Die Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger_innen und Oppositionelle ließen nicht einmal während der Pandemie nach. Dies war vor allem in den Staaten der Fall, in denen Wahlen stattfanden oder die auf Wahlen zusteuerten, beispielsweise in Burundi, Côte d'Ivoire, Guinea, Niger, Tansania und Uganda.

In Burundi wurden vor dem Wahltermin und am Wahltag selbst mehr als 600 Mitglieder einer Oppositionspartei festgenommen. In Niger kam es vor der Präsidentschaftswahl im Dezember 2020 zu einer Festnahmewelle gegen politisch aktive Personen. In Tansania wurden nach den Wahlen im Oktober 2020 mindestens 77 führende Oppositionelle und Oppositionsanhänger_innen festgenommen. Im Vorfeld der Wahlen in Tansania wiesen die Behörden einige Menschenrechts-NGOs an, ihre Tätigkeit auszusetzen bzw. froren deren Bankkonten ein.

In anderen Staaten wurden Menschenrechtsverteidiger_innen entführt, "verschwanden" oder wurden getötet. In Mali wurde ein Anti-Korruptions-Aktivist von vermummten Angehörigen des Geheimdienstes entführt und zwölf Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Ein Gericht schmetterte später die fadenscheinigen Anklagen gegen ihn ab. In Mosambik nahmen die Sicherheitskräfte zwei Aktivisten fest, deren Leichen man später zusammen mit denen von zwölf weiteren Zivilisten fand. Nur wenige Wochen später ließen mosambikanische Armeeangehörige Ibraimo Abú Mbaruco, Journalist eines lokalen Radiosenders, verschwinden. Ende 2020 lagen noch immer keine Informationen über seinen Aufenthaltsort vor.

In Niger, Simbabwe und im Südsudan waren Menschenrechtsverteidiger_innen und Aktivist_innen, die Korruptionsfälle offenlegten und Rechenschaftspflicht einforderten, besonders gefährdet. In Simbabwe wurde das Strafrecht missbraucht, um den investigativen Journalisten Hopewell Chin’ono und andere Menschenrechtsverteidiger_innen zu verfolgen.

Es gab jedoch auch einige positive Entwicklungen. In Uganda ordnete ein Hohes Gericht im Februar 2020 die Freilassung der Universitätsdozentin Dr. Stella Nyanzi an, wenige Tage vor der vollständigen Verbüßung einer 18-monatigen Gefängnisstrafe. Ein Gericht hatte sie für schuldig befunden, den Präsidenten Ugandas über das Internet beleidigt zu haben. Das Hohe Gericht hingegen befand nun, dass Stella Nyanzi zu Unrecht verurteilt und ihre Menschenrechte verletzt worden waren. Im Fall von Germain Rukuki hob der Oberste Gerichtshof von Burundi im Juni 2020 die Entscheidung eines Berufungsgerichts, das seine erstinstanzliche Verurteilung bestätigt hatte, auf und entschied, dass der Fall neu verhandelt werden muss.

 

Medienfreiheit

Die Unterdrückung Andersdenkender zeigte sich auch daran, dass viele Regierungen Afrikas die Freiheit der Medien beschnitten. In Mosambik verübten Unbekannte einen Brandbombenanschlag auf die Büroräume der unabhängigen Zeitung Canal de Moçambique. Erst wenige Wochen vor dem Anschlag hatten die staatlichen Stellen zwei führende Mitarbeiter des Blattes unter konstruierte Anklagen gestellt. In Tansania wurden Zeitungen und Sendeanstalten, die kritisch über die Regierung berichteten, mit Strafen belegt oder vorübergehend bzw. ganz verboten. Darüber hinaus wurden die Bestimmungen für Rundfunk- und Fernsehdienste abgeändert, um so die internationale Berichterstattung über die Wahlen einzuschränken.

In Togo galt ab Januar 2020 ein neues Presse- und Kommunikationsgesetz, das für Journalist_innen, die Regierungsvertreter_innen "beleidigten", hohe Geldstrafen vorsah. Im März wurden zwei Zeitungen mit einem vorübergehenden Erscheinungsverbot belegt, weil sie über den französischen Botschafter berichtet hatten. Eine dritte Zeitung durfte vorübergehend nicht erscheinen, weil sie Kritik an den verhängten Erscheinungsverboten geäußert hatte. Journalist_innen wurden unter anderem in Niger und der Republik Kongo drangsaliert, weil sie die Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung des Coronavirus kritisierten.

In Somalia gab es eine positive Entwicklung: Hier setzte der Generalstaatsanwalt einen Sonderstaatsanwalt für Verbrechen gegen Journalist_innen ein.

 

Die Regierungen müssen dafür sorgen, dass die Sicherheitskräfte in Übereinstimmung mit internationalen Grundprinzipien für die Anwendung von Gewalt und den Gebrauch von Schusswaffen handeln. Exzessive Gewaltanwendung muss zeitnah, gründlich, unabhängig und transparent untersucht und Tatverdächtige müssen vor Gericht gestellt werden.

Die Regierungen müssen die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung achten und sämtliche Personen, die sich in Willkürhaft befinden, freilassen. Exzessive Gewaltanwendung gegen Demonstrierende muss zeitnah, gründlich, unabhängig und transparent untersucht und Tatverdächtige müssen vor Gericht gestellt werden. Die Regierungen müssen ferner sicherstellen, dass die Betroffenen Zugang zur Justiz und zu effektiven Rechtsmitteln erhalten.

Die Regierungen müssen sicherstellen, dass Menschenrechtsverteidiger_innen nicht drangsaliert oder eingeschüchtert werden. Menschenrechtsverteidiger_innen, die in Gewahrsam gehalten werden oder im Gefängnis sind, müssen sofort und ohne Auflagen freigelassen werden.

Die Regierungen müssen die Medienfreiheit respektieren und sicherstellen, dass Medienkanäle sich frei und unabhängig betätigen und Medienschaffende ihrer Arbeit ohne Einschüchterungsversuche, Schikanen und ohne Angst vor Repressalien nachgehen können.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Recht auf Gesundheit

Am 28. Februar 2020 wurde aus Nigeria der erste Coronafall in einem Staat südlich der Sahara gemeldet. Ende des Jahres gab es in ganz Afrika mehr als 2,6 Mio. bestätigte Coronafälle. Bis Ende 2020 waren mehr als 63.000 Menschen an oder mit Covid-19 gestorben. Der katastrophale Mangel an medizinischer Ausstattung wie Beatmungsgeräte und Schutzausrüstung für das medizinische Personal bedeutete, dass die meisten Gesundheitssysteme in Afrika kaum gerüstet waren, um auf die Pandemie angemessen zu reagieren. Zu geringe Testkapazitäten bedeuteten langes Warten auf Testergebnisse, mit gravierenden Folgen. Lesotho, zum Beispiel, hatte erst ab Mitte Mai eigene Testkapazitäten. Davor wurden Tests zur Auswertung nach Südafrika geschickt.

Einige Staaten hielten Informationen über Covid-19 ganz zurück oder hörten irgendwann auf, sie zu veröffentlichen. Andere ignorierten die Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Schutz der öffentlichen Gesundheit. Die Regierungen von Burundi und Äquatorialguinea wiesen im Mai 2020 hochrangige Mitarbeiter_innen der WHO aus ihren Ländern aus. Die Bekämpfung der Pandemie wurde jedoch auch durch schlechte Straßen, die zu geringe Zahl an Krankenhäusern und zu wenig medizinisches Personal erschwert.

Die Pandemie warf ein Schlaglicht auf die jahrzehntelange Vernachlässigung und die chronische Ressourcenknappheit, unter denen das Gesundheitswesen überall in der Region litt. Dabei hatten die Regierungen Afrikas 2001 versprochen, mindestens 15 % ihres Jahresbudgets für das öffentliche Gesundheitswesen bereitzustellen. Die Pandemie offenbarte auch die inhärente Korruption im Gesundheitsbereich. Aus vielen Ländern gingen Berichte ein, denen zufolge Gelder, medizinische Ausrüstung und Pakete mit Pflegeartikeln, die zur Bekämpfung von Covid-19 bestimmt waren, gestohlen und veruntreut wurden, so u. a. aus Kenia, Nigeria, Südafrika, Sambia und Simbabwe.

Es war jedoch ermutigend, das mindestens 20 Regierungen in Ländern des afrikanischen Kontinents im Rahmen ihrer Maßnahmen gegen die Pandemie versuchten, die Überbelegung in den Gefängnissen abzubauen. Die meisten Gefängnisse waren allerdings weiterhin überfüllt, was die Gesundheit der Gefangenen gefährdete.

 

Rechte von Beschäftigten im Gesundheitswesen

Nicht eine einzige Regierung eines afrikanischen Staates sorgte dafür, dass die medizinischen Fachkräfte vor den Gefahren von Covid-19 auf geeignete Weise geschützt waren. Die Fachkräfte arbeiteten in unhygienischen und unsicheren Umgebungen, weil es zu wenig Schutzkleidung und Desinfektionsmittel gab. In Südafrika waren bis Anfang August 2020 mindestens 240 im Gesundheitswesen Beschäftigte an Covid-19 gestorben. Bis Juli 2020 hatten sich in Ghana etwa 2.065 medizinische Fachkräfte mit dem Coronavirus infiziert. Sechs waren nach einer Covid-19-Infektion an deren Komplikationen gestorben.

Obwohl die Arbeitsbelastung immer höher wurde und sie mit zusätzlichen Arbeitssicherheitsrisiken konfrontiert waren, erhielten die Beschäftigten im Gesundheitswesen in den meisten Ländern keinen angemessenen Ausgleich dafür. Angesichts der unerträglichen Auswirkungen der Pandemie griff das medizinische Personal schließlich auf Arbeitskampfmaßnahmen zurück, um seiner Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen Nachdruck zu verleihen. In der gesamten Region äußerten medizinische Fachkräfte ihre Kritik durch offizielle Beschwerden, Proteste und durch Streiks, darunter in Ländern wie Burkina Faso, Kenia, Lesotho, der Republik Kongo, in Sierra Leone, Simbabwe, Südafrika und Togo. Die Antwort der Regierungen bestand aus Repressalien unterschiedlicher Art.

Eine Krankenschwester in Äquatorialguinea wurde von ihrem Arbeitgeber und der Justiz schikaniert, weil sie in einer WhatsApp-Nachricht den Sauerstoffmangel im Sampaka-Krankenhaus in der Hauptstadt Malabo beklagt hatte. In Simbabwe wurden 17 Krankenpflegekräfte wegen angeblicher Verstöße gegen die Lockdown-Regeln festgenommen, weil sie bei einer Protestaktion eine höhere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen gefordert hatten.

 

 

Auswirkungen der Pandemie auf die Sicherung des Lebensunterhalts und das Recht auf Nahrung

Covid-19 hatte verheerende Auswirkungen auf die ohnehin schwachen Volkswirtschaften der Länder Afrikas. Ausgangssperren, Lockdowns und Anordnungen, zu Hause zu bleiben, hatten besonders schwerwiegende Folgen für die in der informellen Wirtschaft tätigen Menschen, und damit für 71 % der Arbeitskräfte. Viele verloren ihre Lebensgrundlagen und ihre Einkommensquellen. Sie konnten sich Lebensmittel und andere lebensnotwendige Güter nicht mehr leisten. Dies verschärfte die bereits verzweifelte Lage derjenigen, deren Ernährungssituation langfristig – und zwar auch wegen immer wiederkehrender Dürren und Heuschreckenplagen – nicht gesichert war.

Geschäfte und Unternehmen mussten den Betrieb einstellen, Tausende Mitarbeitende verloren ihren Job. In Lesotho wurden mehr als 40.000 Gruben- und Fabrikarbeiter_innen entlassen. Zwar legten die meisten Regierungen Sozialprogramme auf, in deren Rahmen in Armut lebende Menschen mit Lebensmitteln versorgt wurden, doch reichte die Unterstützung häufig nicht aus.

 

Rechtswidrige Zwangsräumungen

Nach wie vor verletzten die Regierungen das Recht auf angemessenen Wohnraum, obwohl durch die Corona-Pandemie deutlich wurde, wie wichtig dieses Recht ist. In Äthiopien, Ghana und Kenia wurden Tausende Menschen obdachlos und waren somit stärker gefährdet, sich mit dem Coronavirus anzustecken, weil die Regierungen in Addis Abeba, Accra und Nairobi, den Hauptstädten dieser Länder, informelle Siedlungen abreißen ließen. In Eswatini und Lesotho lebten Tausende in ständiger Angst davor, von staatlichen Stellen oder privaten Akteuren aus ihren Unterkünften vertrieben zu werden.

Aus Sambia kam dagegen eine gute Nachricht: Das Hohe Gericht in Sambia entschied im April 2020, dass die Vertreibung der Gemeindebewohner_innen von ihrem angestammten Land in Serenje mehrere ihrer Menschenrechte verletzt habe.

 

Recht auf Bildung

Die Corona-Pandemie führte flächendeckend zu Unterrichtsausfällen, da vor allem in der ersten Jahreshälfte in ganz Afrika die Schulen schließen mussten. Der Einsatz von Online-Unterricht bedeutete, dass Millionen Kinder ihr Recht auf Bildung nicht in Anspruch nehmen konnten, da ihnen die geeigneten technischen Mittel dafür fehlten. Dieser Zustand verfestigte die bereits bestehenden Strukturen der Ungleichheit und Armut. In konfliktgeschüttelten Ländern wie Burkina Faso, Kamerun und Mali war es zudem durch die unsichere Lage und die ständigen Angriffe bewaffneter Gruppen kaum möglich, das Recht auf Bildung wahrzunehmen.

 

Die Regierungen Afrikas müssen das Maximum der verfügbaren Mittel für dringende Maßnahmen gegen den chronischen Ressourcenmangel im öffentlichen Gesundheitswesen einsetzen. Zudem müssen sie zur Stärkung der einzelstaatlichen Gesundheitssysteme nach Wegen der Zusammenarbeit auf regionaler und internationaler Ebene suchen. Des Weiteren müssen sie die Sorgen der im Gesundheitswesen arbeitenden Menschen hinsichtlich der Sicherheit und anderer Aspekte ernst nehmen und Abhilfe schaffen. Repressalien und strafrechtliche Verfolgungen müssen aufhören.

Die Regierungen müssen außerdem sicherstellen, dass Räumungen nach internationalen Menschenrechtsstandards durchgeführt werden und dass alle Kinder Zugang zu Bildung haben.

Flüchtlinge, Migrant_innen und Binnenvertriebene

Bewaffnete Konflikte, humanitäre Krisen und anhaltende Menschenrechtsverletzungen zwangen auch im Jahr 2020 Millionen Menschen zur Flucht. In Burkina Faso stieg die Zahl der Binnenvertriebenen auf 1 Mio. Menschen an. In der Zentralafrikanischen Republik waren mit Stand vom 31. Juli 660.000 Menschen vertrieben worden. Nach wie vor flohen Tausende Eritreer_innen aus ihrem Land, hauptsächlich um dem zeitlich unbefristeten Militärdienst zu entgehen. In Somalia verschlimmerten der Konflikt, Dürren, Überschwemmungen und eine Heuschreckenplage die humanitäre Krise und waren der Auslöser dafür, dass bis August 2020 fast 900.000 Menschen ihre Heimatregionen verlassen mussten. In Mosambik wurden durch den Konflikt in der Provinz Cabo Delgado bis September mehr als 250.000 Binnenvertriebene gezählt.

Flüchtlinge, Migrant_innen und Asylsuchende gehörten zu den Gruppen, die besonders stark unter den Auswirkungen der Pandemie litten. Viele kamen wegen der Grenzschließungen nicht weiter. Flüchtlinge und Asylsuchende in Südafrika waren in der ersten Jahreshälfte von den Coronahilfen der Regierung ausgeschlossen.

 

Die Regierungen Afrikas müssen das Recht auf Asyl achten. Sie müssen die Grenzen für Flüchtlinge und Asylsuchende offenhalten und an den Grenzübergängen geeignete Maßnahmen zum Gesundheitsschutz umsetzen. Die Regierungen müssen auch sicherstellen, dass alle Asylsuchenden, Flüchtlinge und Migrant_innen Zugang zu den nationalen Gesundheitssystemen und sozialen Sicherungssystemen haben.

Diskriminierung und Gewalt

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Lockdowns und Ausgangssperren setzten Frauen und Mädchen einem erhöhten Risiko aus, sexualisierte Gewalt und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt zu erleben. Für Überlebende war es häufig sehr schwer, Zugang zur Justiz, gesundheitliche Versorgung und Rechts- und psychosoziale Beratung zu erhalten. In Südafrika nahm die sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt weiterhin in rasendem Tempo zu. Die Fallrate war fast um ein Fünffaches höher als der weltweite Durchschnitt. Die Pandemie hatte außerdem verheerende Folgen für die reproduktive Gesundheit und die reproduktiven Rechte der Frauen, da die Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten für Mütter nicht mehr möglich war.

Vergewaltigungen sowie andere Formen der sexualisierten und geschlechtsspezifischen Gewalt wurden nach wie vor auch bei bewaffneten Konflikten verübt. In der Zentralafrikanischen Republik dokumentierten die Vereinten Nationen für den Zeitraum Juni bis Oktober 2020 im Zusammenhang mit dem Konflikt 60 Fälle sexualisierter Gewalt, darunter Vergewaltigungen, Zwangsverheiratungen und sexuelle Versklavung. In der Demokratischen Republik Kongo nahm die sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen im Zusammenhang mit dem Konflikt im Osten des Landes zu.

Es gab aber auch Fortschritte beim Schutz von Frauen und Mädchen vor Diskriminierung zu verzeichnen: Im Januar 2020 wurde in Eswatini zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ein Mann wegen Vergewaltigung in der Ehe schuldig gesprochen. Südafrika kündigte im Februar 2020 die Ausarbeitung eines Entwurfs für ein Übereinkommen der Afrikanischen Union über den Schutz von Frauen vor Gewalt an. Der Sudan stellte die weibliche Genitalverstümmelung im April 2020 unter Strafe. Im Mai 2020 begnadigte der Staatspräsident Ruandas 36 wegen Abtreibung verurteilte Frauen. In Sierra Leone wurde im Juli 2020 das erste Gericht eingesetzt, das in einem beschleunigten Verfahren über Vergewaltigungsfälle entscheidet.

 

Menschen mit Albinismus

Menschen mit Albinismus waren vor Gewaltangriffen und Verstümmelungen nach wie vor nicht sicher. In Sambia wurde im März 2020 die zerstückelte Leiche eines 43-jährigen Mannes gefunden. Augen, Zunge und Arme des Mannes waren entfernt worden. Im April wurde die Leiche eines Mannes ausgegraben und Teile der Leiche gestohlen. In Malawi wurde im Januar 2020 das Grab eines zwei Jahre alten Jungen mit Albinismus geschändet. Ein unbekannter Angreifer hackte im Februar 2020 einer 92-jährigen Frau zwei Zehen ab.

 

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen

Die Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI) nahm nicht ab. Einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Personen waren in den meisten Ländern weiterhin strafbar. Im Madagaskar befand sich eine Frau wegen "verderblicher Beeinflussung von Minderjährigen" in Untersuchungshaft. Ihr wurde vorgeworfen, eine einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehung mit einer 19-jährigen Frau zu haben. Die staatlichen Stellen in Eswatini lehnten den Antrag auf Zulassung der sich für LGBTI engagierenden NGO Eswatini Sexual and Gender Minorities ab. In Uganda nahmen Polizeikräfte in einer Notunterkunft für LGBTI unter dem Vorwand der Durchsetzung der Corona-Verordnungen 23 Jugendliche fest. Vier von ihnen wurden aus gesundheitlichen Gründen in den ersten drei Tagen nach der Festnahme freigelassen. Die anderen wurden 44 Tage lang ohne Zugang zu ihren Rechtsbeiständen und ohne medizinische Betreuung in Gewahrsam festgehalten.

 

Die Regierungen müssen die Maßnahmen zur Verhinderung von und zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt vor allem während Lockdowns, Ausgangssperren und in bewaffneten Konflikten intensivieren. Es muss mehr getan werden, um sämtliche Formen der Diskriminierung von Frauen und Mädchen in Recht und Praxis zu beseitigen. Dazu gehört auch, dass die Einhaltung internationaler Verpflichtungen sichergestellt wird.

Die Regierungen Afrikas müssen Maßnahmen ergreifen, um sämtlichen Angriffen und Formen der Diskriminierung von benachteiligten Gruppen ein Ende zu setzen. Dringende Maßnahmen sind vonnöten, um Menschen mit Albinismus wirksam zu schützen, Tatverdächtige zur Rechenschaft zu ziehen und den Zugang der Betroffenen zur Justiz sowie zu wirksamen Rechtsmitteln zu gewährleisten. Die Regierungen müssen ferner Gesetze abschaffen, die LGBTI benachteiligen und Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Personen unter Strafe stellen.

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