Amnesty Journal Saudi-Arabien 10. Oktober 2022

Die Lage ist besorgniserregend

Das Bild zeigt das Porträtbild eine Mannes

Abdullah al-Huwaiti ist in Gefahr, in Saudi-Arabien hingerichtet zu werden (Archivbild).

Saudi-Arabien wird immer repressiver. Digitale Überwachung und Einschränkungen der Reise-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit häufen sich. Und es gibt deutlich mehr Hinrichtungen als in den vergangenen Jahren.

Von Oliver Schulz

Menschenrechtsverstöße sind in Saudi-Arabien nicht nur weiter an der Tagesordnung, sie nehmen sogar noch zu. Aktivist*innen und Opposition werden mundtot gemacht. Gerichte verhängen nach unfairen Verfahren Todesurteile und lassen Hinrichtungen vollstrecken. Die Behörden sprechen Reiseverbote aus. Mindestens 3.000 politische Gefangene gibt es derzeit in dem Land.

"Amnesty International dokumentierte bereits im vergangenen Jahr einen Anstieg um 140 Prozent der von den saudi-arabischen Behörden vollstreckten Hinrichtungen. Sie stiegen von 27 im Jahr 2020 auf 65 in 2021", sagt Regina Spöttl, Sprecherin der Koordinationsgruppe Saudi-Arabien und Golfstaaten von Amnesty Deutschland. Und im Jahr 2022 wurden noch mehr Exekutionen dokumentiert: "Zwischen Januar und Juni wurden bereits 120 Menschen hingerichtet. Am 13. März gaben die Behörden die Hinrichtung von 81 Menschen an einem einzigen Tag bekannt. 41 der Hingerichteten waren Angehörige der schiitischen Minderheit."

Juristische Mängel offenkundig

Es könnten bald noch mehr Opfer werden. Ein aktueller Fall ist der von Abdullah al-Huwaiti. Der heute 20-Jährige wurde im Alter von 14 Jahren festgenommen, jetzt droht ihm die Hinrichtung. Am 13. Juni bestätigte ein Berufungsgericht sein Todesurteil wegen eines angeblichen bewaffneten Raubüberfalls und Mordes. Al-Huwaiti wurde in Einzelhaft genommen, er durfte keinen Anwalt hinzuziehen, ein Geständnis soll erzwungen worden sein. Amnesty appellierte zuletzt in einer Eilaktion an das Höchste Gericht und an den König, die Strafe nicht zu vollstrecken. Die juristischen Mängel in diesem Fall sind offenkundig, dennoch kann das Urteil nicht angefochten werden. Das gesamte saudische Justizsystem gilt als mangelhaft und grob unfair.

Selbst aus dem Gefängnis entlassene Menschen unterliegen noch weiteren Restriktionen. Dazu zählen Einschränkungen der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Vor allem aber werden immer wieder Reiseverbote verhängt. In der Regel handelt es sich um gerichtliche oder polizeiliche Anordnungen. Manchmal bemerken die Betroffenen die Restriktionen jedoch erst, wenn sie eine Reise antreten wollen. Amnesty hat mittlerweile 30 offizielle und 39 nicht offizielle Reiseverbote dokumentiert.

Zehn Jahre Haft, 1000 Peitschenhiebe

"Diejenigen, die ihre 'Strafe' verbüßt haben, werden mit einem Reiseverbot von bis zu 15 Jahren belegt", sagt Regina Spöttl. "Prominentes Opfer dieser Praxis ist der Blogger Raif Badawi, der im März zwar freigelassen wurde, das Land jedoch weitere zehn Jahre lang nicht verlassen darf." Badawi hatte unter anderem Texte gegen die strenge Islaminterpretation des in Saudi-Arabien verbreiteten Wahhabismus publiziert. Er war 2014 wegen ­angeblicher Beleidigung der Religion zu zehn Jahren Haft und tausend Peitschenhieben verurteilt worden.

Nach unfairen Gerichtsverfahren, bei denen auch unter Folter erpresste Geständnisse als Beweise anerkannt werden, sitzen derzeit fast alle Menschenrechtsaktivist*innen und friedlichen Reformer*innen hinter Gittern, und das nur, weil sie ihre Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereini­gungsfreiheit ausgeübt haben.

Regina
Spöttl
Sprecherin der Koordinationsgruppe Saudi-Arabien und Golfstaaten von Amnesty Deutschland

Seit Kronprinz Mohammed Bin Salman im Jahr 2015 de facto an die Macht kam, wurden die Menschenrechte weiter eingeschränkt. Für internationales Aufsehen sorgte die Ermordung und Zerstückelung des Journalisten Jamal Khashoggi 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul. Die staatlich geförderte digitale Überwachung, zu der auch Cyberangriffe auf ­saudische Aktivist*innen im Ausland ­gehören, schüren ein Klima der Angst.

"Trotz vollmundiger Versprechen und Ankündigung von Reformen durch den Kronprinzen gibt die Lage der Menschenrechte in Saudi-Arabien weiterhin Anlass zu großer Besorgnis", sagt Regina Spöttl. "Kritik an der Politik des Königshauses wird nach wie vor schwer bestraft." Spöttl sagt, die Regierung habe auf breiter Linie jeden Protest und jede freie Meinungs­äußerung erstickt: "Nach unfairen Gerichtsverfahren, bei denen auch unter Folter erpresste Geständnisse als Beweise anerkannt werden, sitzen derzeit fast alle Menschenrechtsaktivist*innen und friedlichen Reformer*innen hinter Gittern, und das nur, weil sie ihre Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereini­gungsfreiheit ausgeübt haben."

Oliver Schulz ist freier Autor und Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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