Aktuell 09. November 2021

Sudan: Repression nach Militärputsch stoppen!

Das Bild zeigt eine Demonstration, viele Menschen und eine sudanesische Flagge

Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch fordern die sudanesischen Sicherheitsbehörden dazu auf, die im Zuge des Militärputschs vom 25. Oktober 2021 willkürlich Inhaftierten unverzüglich freizulassen. Außerdem müssen sowohl weitere willkürliche Festnahmen als auch der Einsatz von unnötiger, darunter auch tödlicher, Gewalt gegen diejenigen sofort beendet werden, die friedlich gegen die Machtübernahme des Militärs protestieren.

In den frühen Morgenstunden des 25. Oktober 2021 nahmen Sicherheitskräfte in der sudanesischen Hauptstadt Khartum mindestens 30 hochrangige zivile Regierungsangehörige fest, darunter sechs Kabinettsmitglieder. Unter ihnen befand sich auch Premierminister Abdalla Hamdok, der zwei Tage später unter Hausarrest gestellt wurde. Solange er unter Hausarrest steht, kann er nur mit einer Genehmigung des Militärs besucht werden. Der höchste Militärvertreter im Land, Generalleutnant Abdel Fattah al-Burhan, verkündete am Mittag des 25. Oktobers die Auflösung des Kabinetts sowie des Souveränen Rats. Im ganzen Land werde der Ausnahmezustand verhängt, sagte er in den Medien. Der Souveräne Rat war die Übergangsregierung, die aus sechs zivilen und fünf militärischen Mitgliedern bestand. Abdel Fattah al-Buhran war dessen Vorsitzender. 

"In den letzten zwei Wochen hat das Militär auf seine altbekannten und brutalen Taktiken zurückgegriffen und damit kleine, aber wichtige Fortschritte im Bereich der Rechte und Freiheiten rückgängig gemacht, für die Sudanes_innen aus allen Gesellschaftsschichten gekämpft hatten", so Mohamed Osman, Sudan-Experte bei Human Rights Watch. "Das Militär muss alle in den letzten zwei Wochen willkürlich Inhaftierten sofort freilassen und rechtswidrige Inhaftierungen sowie die Praxis des Verschwindenlassens unverzüglich beenden." 

Die sudanesische Bevölkerung hat das Recht auf friedlichen Protest, auf Freiheit und Sicherheit, auf ein faires Gerichtsverfahren und auf vieles mehr, was das Militär nicht untergraben darf.

Sarah
Jackson
stellvertretende Regionaldirektorin für Ostafrika bei Amnesty International

Neben willkürlichen Festnahmen griffen die sudanesischen Sicherheitskräfte zu weiteren repressiven Maßnahmen, um friedliche Proteste gegen die Machtübernahme durch das Militär zu unterdrücken. Amnesty International und Human Rights Watch haben den ungerechtfertigten Einsatz tödlicher Gewalt durch Sicherheitskräfte bei der Bekämpfung der zahlreichen Proteste in Khartum dokumentiert. Mindestens 14 Menschen wurden seit dem 25. Oktober durch scharfe Munition in Khartum getötet, berichtete das Zentralkomitee der sudanesischen Ärzt_innen (Central Committee of Sudanese Doctors – CCSD).

Das African Centre for Justice and Peace Studies (ACJPS), eine sudanesische Menschenrechtsgruppe, berichtete, dass die Sicherheitsbehörden zwischen dem 25. und 27. Oktober mehr als 30 Personen festgenommen haben, darunter Minister_innen, Berater_innen des Premierministers und Journalist_innen. Gespräche mit Familienmitgliedern sowie andere Recherchen von Amnesty International und Human Rights Watch bestätigen, dass mindestens acht der 30 Inhaftierten, die im ACJPS-Bericht erwähnt werden, an unbekannten Orten festgehalten werden, ohne Zugang zu Familienangehörigen oder Rechtsbeiständen und unter Umständen, die dem Verschwindenlassen gleichkommen könnten. Generalleutnant Abdel Fattah al-Burhan sagte am 26. Oktober, dass einige Gefangene strafrechtlich belangt werden würden, genauere Informationen stehen jedoch aus.

Seit dem 25. Oktober sind das Internet und das Mobilfunknetz gestört, wodurch der Zugang der Bevölkerung zu aktuellen und genauen Informationen eingeschränkt ist. Politische Meinungsäußerungen sind somit nur schwer möglich, und auch die Berichterstattung über Rechtsverletzungen – einschließlich der erfolgten Festnahmen und Inhaftierungen – ist, insbesondere außerhalb von Khartum, massiv beeinträchtigt. 

Amnesty-Tweet zur Situation im Sudan:

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Zu den willkürlich Festgenommenen gehört auch der Minister für Kabinettsangelegenheiten, Khalid Omar Youssef, der nach Angaben von Familienmitgliedern am 25. Oktober im Morgengrauen vor ihren Augen von einer Gruppe von Sicherheitskräften in seinem Haus festgenommen wurde. 

Ein Familienmitglied berichtete nach einem Gespräch mit den Angehörigen, die bei der Razzia anwesend waren, folgendes: "Eine Gruppe bewaffneter Sicherheitskräfte in Zivil näherte sich um 03.30 Uhr seinem Haus und begann, in die Luft zu schießen, bevor sie gewaltsam eindrang und seine jungen Töchter in Angst und Schrecken versetzte... Khalid wurde misshandelt und barfuß und in seinem Schlafanzug aus dem Haus gezerrt. Sie haben ihm nicht einmal erlaubt, sich umzuziehen oder Kleidung mitzunehmen."

Khalid Omar Youssefs Verwandten sagten, sie hätten keine Informationen über seinen Verbleib und befürchteten, dass die Behörden konstruierte Anklagen gegen ihn erheben würden. 

Mohamed al-Faki Suleiman, ein ziviles Mitglied und Sprecher des Souveränen Rates, war einer der ersten, die festgenommen wurden. Er war auch stellvertretender Vorsitzender des Committee for Dismantling the Former Regime, eines Regierungsgremiums zur Aufklärung und Verfolgung von Veruntreuung und Korruption durch die gestürzte Vorgängerregierung unter Langzeitpräsident Omar al-Baschir. Das Gremium wurde unmittelbar nach der aktuellen Machtübernahme durch das Militär aufgelöst. In den Wochen zuvor hatte Mohamed al-Faki die Militärs öffentlich kritisiert und ihnen vorgeworfen, wichtige Reformen zu verzögern und politische Spannungen anzuheizen. 

Ein Familienmitglied sagte, dass er sich am 25. Oktober allein in seiner Dienstwohnung in Isolation befand, da er zwei Tage zuvor positiv auf das Coronavirus getestet worden war. "Als wir hörten, dass Amtspersonen festgenommen wurden, versuchte seine Frau, die zu diesem Zeitpunkt nicht in der Wohnung war, ihn anzurufen, konnte ihn aber nicht erreichen", sagte das Familienmitglied. "Später erfuhren wir von einigen Zeug_innen, dass ihn bewaffnete Militärangehörige festgenommen hatten. Wir wissen nicht, wo er ist und ob er seine Medikamente mitgenommen hat. Er leidet an chronischen Krankheiten, unter anderem hat er Herzprobleme. Seine Familie ist sehr beunruhigt, da das Militär dafür bekannt ist, bestehende Rechte zu missachten. Wir wollen wissen, wo er ist und wie es ihm geht." 

Von vielen Festgenommenen fehlt jede Spur

Die Familie von Yasir Arman, einem politischen Berater des Premierministers, veröffentlichte eine öffentliche Erklärung, in der sie mitteilte, dass er am 25. Oktober zusammen mit seinem Bruder gewaltsam festgenommen worden sei. Im Morgengrauen seien 18 uniformierte Soldat_innen in sein Haus eingebrochen, hätten die Sicherheitskameras zerschlagen, das Haus durchsucht und sein Schlafzimmer "auf den Kopf gestellt". 

Wagdi Salih, ein Rechtsanwalt und weiteres prominentes Mitglied des Committee for Dismantling the Former Regime, wurde ebenfalls am 25. Oktober festgenommen. Ein Familienmitglied sagte, dass etwa 20 bewaffnete Männer in Zivilkleidung gegen 4 Uhr morgens in sein Haus eingedrungen seien und ihn gewaltsam aus seinem Schlafzimmer geholt hätten. Währenddessen hätten sie die Wachleute im Haus mit Waffen bedroht und seinem Sohn Handschellen angelegt.

Über die Sozialen Medien erfuhr seine Familie, dass Wagdi Salih und andere zur Bundespolizei in Bahri in Khartum Nord gebracht worden waren, und erkundigte sich dort nach ihm. Die Polizei teilte jedoch mit, dass er sich nicht in ihrem Gewahrsam befinde, und auch die Generalstaatsanwaltschaft konnte keine Angaben zu seinem Aufenthaltsort machen.

Nach dem Völkerrecht handelt es sich um Verschwindenlassen, wenn eine Person von staatlichen Kräften festgehalten wird und diese die Inhaftierung entweder nicht zugeben oder den Aufenthaltsort der Person verheimlichen, wodurch die "verschwundene" Person dem Schutz des Gesetzes entzogen wird. Das Verschwindenlassen ist unter allen Umständen verboten. 

Die Festnahmen durch das Militär werden weiter fortgesetzt. Am 26. Oktober gegen 19.00 Uhr nahmen Sicherheitskräfte in Zivil Ismail al-Taj, einen bekannten Rechtsanwalt und Mitglied des Gewerkschafts- und Berufsverbändebunds (Sudanese Professionals Association – SPA), in seinem Büro fest. "Seit der Festnahme hatten wir keinen Kontakt mehr zu ihm", sagte sein Sohn. "Wir wollen, dass er freigelassen wird. Welches Recht haben sie, ihn festzunehmen? Mit welcher Begründung tun sie das?" 

Am 4. November ließ das Militär vier Minister frei, darunter den Telekommunikationsminister und den Informationsminister, nachdem sie zehn Tage lang willkürlich inhaftiert gewesen waren. Gegen 19.00 Uhr am selben Tag nahm das Militär jedoch Berichten zufolge den politischen Sekretär der oppositionellen Sudanesischen Kongresspartei (SCP), Shareef Osman, sowie seinen Stellvertreter, Hamzah Farouq, und den Berichterstatter des Committee for Dismantling the Former Regime, Taha Osman, fest. Die drei Männer hatten zuvor an einem Treffen in den Büros der UN-Mission UNITAMS (United Nations Integrated Transition Assistance Mission) teilgenommen, welche die Festnahmen danach öffentlich verurteilte.

"Wir wissen nicht, wer sie entführt hat", sagte ein Familienmitglied von Shareef Osman. "Es gibt keine Zeug_innen dieser Festnahme. Wir müssen wissen, wo sie sind, damit wir die Medikamente liefern können, die er [Shareef Osman] für seine zahlreichen Erkrankungen benötigt."

Zahlreiche Menschenrechtsverstöße durch das Militär

Die sudanesischen Streitkräfte, einschließlich der militärischen Sondereinheit Rapid Support Forces (RSF), sind nicht befugt, Zivilpersonen festzunehmen oder Strafverfolgungsmaßnahmen durchzuführen, weshalb die Festnahmen willkürlich und rechtswidrig sind. Am 21. Januar erließ der ehemalige Generalstaatsanwalt eine Anweisung, die die Befugnisse zur Festnahme und Inhaftierung von Zivilpersonen auf die Polizei und die Staatsanwaltschaft beschränkt und klarstellt, dass jede Festnahme durch andere Kräfte widerrechtlich ist.

Trotz regionaler und internationaler Aufforderungen an das Militär, das harte Vorgehen einzustellen, gehen die Menschenrechtsverstöße weiter. Am 7. November lösten Sicherheitskräfte, darunter Polizei und Militär, gewaltsam eine Sitzblockade auf, zu der die Lehrer_innenvereinigung im Norden Khartums aufgerufen hatte. Nach Angaben einer_s Anwält_in wurden etwa 100 Lehrer_innen und andere Demonstrierende in die Garnison des Militärzentralkommandos in Khartum gebracht. Einige wurden am nächsten Tag wieder freigelassen, aber andere sind noch in Haft, ohne dass sie Zugang zu einem Rechtsbeistand haben oder offiziell eines Vergehens angeklagt wurden.

"Die sudanesische Bevölkerung hat das Recht auf friedlichen Protest, auf Freiheit und Sicherheit, auf ein faires Gerichtsverfahren und auf vieles mehr, was das Militär nicht untergraben darf", sagte Sarah Jackson, stellvertretende Regionaldirektorin für Ostafrika bei Amnesty International. "Menschenrechtsverletzungen durch das Militär sollten eine gemeinsame, koordinierte und klare regionale und internationale Reaktion nach sich ziehen."

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